# taz.de -- Foto-Ausstellung in Schöneberg: Bewahren, was verschwindet | |
> Berlin verändert sich so rasant, dass liebgewonnene Orte oft plötzlich | |
> einfach weg sind. Das Projekt „Vanishing Berlin“ verewigt diese Orte. | |
Bild: Der Ausstellungsort, Schöneberg | |
Und plötzlich ist wieder etwas weg: die Pommesbude auf der Oranienburger | |
Straße, die hier lange wie ein schiefer Zahn stand und die auf dem | |
nächtlichen Nachhauseweg immer eine gute Option war. | |
Oder das Schild vom Bierhimmel, das jahrzehntelang die Kreuzberger | |
Oranienstraße schmückte, auch noch, als der ursprüngliche Bierhimmel längst | |
Geschichte war und man hier unter anderem guten Kuchen aß – leider auch | |
Geschichte. Auch wenn sich die Stadt laufend wandelt, versetzt es einem | |
doch einen Stich, wenn Liebgewonnenes über Nacht verschwindet. | |
Was vom Verschwinden bedroht ist zu dokumentieren, hat sich Alexander | |
Steffen zur Aufgabe gemacht. Sein Fotoprojekt „Vanishing Berlin“ – | |
verschwindendes Berlin – betreibt er als Blog. Zudem brachte er im | |
Selbstverlag einen hübschen Bildband heraus, angereichert mit | |
Kindheitserinnerungen und ein paar Hintergründen. | |
Aufgewachsen ist der heute 50-Jährige in der Schöneberger Nollendorfstraße, | |
nicht weit von dort, wo er jetzt im ehemaligen Pudel-Salon die zweite | |
Auflage seines Buchs mit einer Ausstellung feiert. | |
## Kur gegen Berlinmüdigkeit | |
2008 entdeckte der Autodidakt, der seine Brötchen in der | |
Sponsoringabteilung der Berlinale verdient, bei einem New-York-Aufenthalt | |
eine alte Leidenschaft neu: „Ich hatte viel Zeit und habe drauflos | |
fotografiert, viel Serielles: Ladenfronten, Atombunker“. | |
Zurück in Berlin fiel es ihm wie „Schuppen von den Augen“, dass es auch vor | |
der eigenen Haustür viel zu entdecken gibt. Das, so erzählt er, kurierte | |
ihn von einer latenten Berlinmüdigkeit, schließlich hatte er so einen | |
Grund, sich ganz neue Ecken zu erschließen. | |
Dass eine blutleere Investorenarchitektur und kurzlebige Geschäftsmodelle, | |
die beim Ladendesign entsprechend wenig Aufwand betreiben, Städte immer | |
gleichförmiger aussehen lassen, macht ihn nicht nur melancholisch, sondern | |
wütend. „Es stört mein ästhetisches Empfinden. Ich empfinde es als totalen | |
Verlust, was alles durch hässliches, uniformes Design ersetzt wird.“ Und | |
dazu noch all die Ketten, die Einkaufsstraßen immer mehr homogenisieren. | |
Dass er einen Nerv trifft, zeigt der Zuspruch, den sein Projekt bekommt. | |
Eine Crowdfundingkampagne hatte das Buch schnell finanziert, auch eine | |
erste Ausstellung in den ehemaligen Räumen von Linoleum Pannier in der | |
Katzbachstraße (mittlerweile sind die übrigens wieder vermietet) fand viel | |
Anklang. | |
Und auch wenn die von Steffen dokumentierten Veränderungen die Bewohner | |
dieser Stadt – anders als etwa explodierende Mieten – nicht direkt in | |
Bedrängnis bringen, steht das Interesse an „Vanishing Berlin“ wohl auch f�… | |
ein Unbehagen angesichts rapider Veränderungen im eigenen Lebensumfeld. | |
Beim Einfangen der Motive sei inzwischen Eile geboten, so Steffen: „Anfangs | |
konnte ich mir beim Fotografieren Zeit lassen. Das ist seit vier, fünf | |
Jahren anders. Nun wird auch auf Grundstücken gebaut, die lange | |
Spekulationsobjekt waren, aber in Ruhe gelassen wurden.“ | |
Eine Fortsetzung des Bildbands ist aktuell nicht geplant. Öfter mal einen | |
Blick auf den Blog zu werfen, lohnt dennoch: Auf dieser Ebene will Steffen | |
das Projekt weiterführen, angedacht sind etwa Kurzfilme über besondere | |
Orte. Auch interessiert ihn die Internationalität, die in dem Thema steckt. | |
Schließlich finden vergleichbare Prozesse in vielen Städten statt. Auf | |
seiner Webseite gibt es auch Fotos aus Wien, Barcelona oder New York. | |
Kein Wunder, dass dieses Thema einen vom Hölzchen aufs Stöckchen bringt. | |
Einen halben Nachmittag sitzen wir vor dem Pudel-Salon, wo Steffen die | |
Ausstellung vorbereitet, die das Besondere im Vertrauten, manchmal aber | |
auch ein fast fremdes Berlin präsentiert (der Gartencenter Alfred Bajon, am | |
Spandauer Damm etwa wirkt geradezu mediterran – ganz früher war da mal ein | |
Ausflugslokal). Immer wieder freuen sich Passanten, einen Blick in den | |
Pudel-Salon werfen zu können, schließlich sind sonst immer die Rollläden | |
unten. | |
## Rumpelig-schiefes Patchwork | |
Als Klage, dass früher vieles besser war, will Alexander Steffen seine | |
Bilder nicht verstanden wissen. Tatsächlich geht es nicht nur um den | |
Vintage-Appeal vergangener Zeiten, die Fotos bilden auch das | |
rumpelig-schiefe Patchwork ab, das Berlin eben auch ist: die unwirtliche | |
Ecke an der Imbiss-Oase am Anfang der Karl-Marx-Allee, die schwindenden | |
Brachen und Brandmauern. | |
Lieber sieht Steffen seine Arbeit als Ermunterung, Veränderungen | |
mitzugestalten und das Besondere der Stadt nicht zu verlieren. Er freut | |
sich über Bürgerinitiativen wie Bizim Kiez oder Stadt von unten. „Die | |
politische Stimmung ist ja: ‚Da kann man nix machen.‘ “ findet er. „Oft | |
bewegen aber Menschen mit langem Atem doch viel. Selbst wenn es nur wenige | |
sind.“ | |
Doch zurück zu den immer gleichförmigeren Ladenfronten. Steffen begeistert | |
sich auch für die Arbeit des Buchstabenmuseums Moabit, in dem Typografie | |
aus dem öffentlichen Raum gesammelt wird: „Besser ist es natürlich, wenn | |
die Schriftzüge hängen bleiben. Es gibt ja auch Beispiele, wo | |
Geschäftsleute den Charme eines Ladens bewahren, wenn ein neues Gewerbe | |
einzieht.“ | |
Über die Fassade des Pudel-Salons muss man sich erst einmal keine Sorgen | |
machen. In der Ladenwohnung wohnt Okan Onur samt Familie. Onur handelt mit | |
Mid-Century-Möbeln, der einstige Salon dient als Lagerraum, gern würde er | |
den Raum künftig auch als Laden nutzen. | |
Eine schönere Werbung für seine Möbel kann man ja kaum vorstellen – wenn | |
alles gleich aussieht, wird schon eine interessante Typografie zum | |
Hingucker. Zumindest in diesem Punkt könnten die Mechanismen des Markts | |
dann doch etwas Begrüßenswertes für das Stadtbild tun. | |
16 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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