| # taz.de -- Diskriminierende KIs: „Zeigen den Status quo von gestern“ | |
| > Queere Menschen werden durch Künstliche Intelligenz oft diskriminiert. | |
| > Sowohl Technologie an sich, als auch die Entstehungsbedingungen sind | |
| > schuld. | |
| Bild: Männlichen Stereotypen oft Teil unserer Vorstellung: der humanoide Robot… | |
| taz: Wie kann eine KI queer sein, Frau Morais dos Santos Bruss? | |
| Sara Morais dos Santos Bruss: Der Begriff ist entstanden aus einer | |
| Frustration über eine sehr enge Vorstellung von [1][künstlicher | |
| Intelligenz]: die Vorstellung, dass es eine bestimmte Wahrheit gibt und KI | |
| eine Art von universell gültigem Wissen produziert. Wir sollten aber | |
| verstehen, dass Fragen der Repräsentation oder des Geschlechts ambivalent | |
| und im Wandel sind. Im Sinne der Queeren KI wollen wir uns anschauen, wie | |
| sich Technologie auf den Körper auswirkt, das heißt auf bestimmte Menschen | |
| eben unterschiedlich wirkt. | |
| Haben Sie ein Beispiel? | |
| Bei einem Software-Unternehmen gab es einen [2][Algorithmus, der | |
| Bewerbungen von Frauen schlechter bewertet] hat, weil bei diesem | |
| Unternehmen sehr viele Männer gearbeitet haben. In Bezug auf queere | |
| Identitäten gab es den Fall bei Uber, wo eine Gesichtserkennung-Software | |
| eingesetzt wurde, die trans Menschen nicht korrekt identifizieren konnte | |
| und damit von deren Arbeit ausgeschlossen hat. | |
| In dem wissenschaftlichen Sammelband „Queere KI“, den Sie mitherausgegeben | |
| haben, steht der Satz: „KI wird als Superintelligenz gesehen und mit einem | |
| weißen, männlichen, rationalen Subjekt gleichgesetzt.“ Wo macht sich das | |
| noch bemerkbar? | |
| Wenn man künstliche Intelligenz in der Bildersuche eingibt, sind die | |
| Suchergebnisse sehr einheitlich: Die Bilder zeigen einen weißen Roboter vor | |
| blauem Hintergrund. Dadurch wird ein Stereotyp herausgebildet, bei dem das | |
| Männliche wieder mit dem Kalten und Rationalen verbunden wird. Oder es wird | |
| ein Gehirn mit einem Schaltkreis gezeichnet. Die Bilder von KI sind geprägt | |
| von einer sehr vermenschlichten Sci-Fi-Ästhetik. Unsere Vorstellung von KI | |
| würde aber sehr konkreter werden, wenn man zum Beispiel einen humanoiden | |
| Roboter abbilden würde, der wirklich existiert. Gleichzeitig gibt es KI, | |
| die vergeschlechtlicht vermarktet wird, bei Dating-Apps zum Beispiel. | |
| Inwiefern? | |
| Diese Apps sind unterschiedlich codiert, und das hat mit Vorstellungen zu | |
| tun, wie Menschen mit einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit agieren. | |
| Die [3][Dating-App Grindr], die vor allem von schwulen Männern genutzt | |
| wird, funktioniert primär über GPS und ortsbasierten Services – im | |
| Gegensatz zu Apps, die eher ein heterosexuelles Publikum ansprechen. Daraus | |
| lassen sich bestimmte Vorstellungen von sexuellem Verhalten schlussfolgern, | |
| etwa, was das Wichtigste an dem akuten Begehren ist. | |
| Es ist auffällig, dass KI-Stimmen wie Alexa oder Siri weiblich sind. Was | |
| ist daran problematisch? | |
| Die beruhen auf einer Vorstellung, die anknüpft an eine Rolle der | |
| Bediensteten, die eine Art Servicedienstleistung erbringt. An der | |
| Hochschule Merseburg gab es 2020 eine Installation mit der fiktiven | |
| Sprachassistenz „Miau Miau“. Das Publikum konnte mit ihr direkt | |
| interagieren. Allerdings wurde sie – fürs Publikum unsichtbar – live | |
| gesprochen von einer Schauspielerin. „Miau Miau“ war nicht unterwürfig, | |
| sondern eher unhöflich und frech. Und doch haben einige männliche | |
| Teilnehmer versucht, mit ihr zu flirten und sich ihr anzunähern. Selbst bei | |
| KIs und auch bei Gegenständen verfallen wir in vergeschlechtlichte | |
| Vorstellungen. Ich habe einen Freund, dessen Fahrrad eine „Sie“ ist, und | |
| eine Bekannte, deren Laptop ein „Er“ ist. Das Problem sind natürlich nicht | |
| die Geschlechter, sondern die Rollen, die wir damit verknüpfen. Mir war es | |
| im Sinne der Queeren KI aber auch wichtig zu überlegen, in welchen | |
| Kontexten KI daran beteiligt ist, diese deterministischen Strukturen | |
| umzudeuten. | |
| Auf was sind Sie gestoßen? | |
| Gerade in der Kunst gibt es dafür tolle Beispiele. Der Künstler Jake Elwes | |
| etwa hat eine Art Deepfake-[4][Dragshow] gestaltet. Für seine KI saßen ihm | |
| mehrere Dragqueens Modell. Die KI hat daraus eine Performance kreiert, bei | |
| der die Körper ineinander morphen und die Identitäten sich ständig | |
| verändern. Körperbewegungen oder -formen, die ungewöhnlicher waren, konnte | |
| die KI nicht codieren: Sie hat dann Sequenzen produziert, bei denen die | |
| Körper teils in etwas Monströses oder Fantastisches gekippt sind. Insofern | |
| ist der Begriff Queere KI auch ein Plädoyer dafür, KI fluider und offener | |
| zu gestalten. | |
| Aber wie soll das gehen? KI beruht doch immer auf eindeutigen Daten. | |
| Es gibt bereits mehrere Projekte mit queeren Chatbots, vor allem in der | |
| Kunst. Die Trainingsdatensätze bestehen dort etwa aus queerer Poesie und | |
| feministischer Theorie. Die Künstlerin Sara Ciston hat ein intersektionales | |
| KI-Tool kreiert, infolgedessen Google-Ergebnisse keine Stereotype mehr | |
| produziert haben, sondern für Fragen zum Thema Queerness hoffnungsstiftende | |
| und poetische Vorschläge lieferten. Aus solchen Projekten lassen sich | |
| Prinzipien ableiten, zum Beispiel, dass Daten von weißen Männern auch nur | |
| auf ebensolche angewendet werden sollten. Oder dass man zulässt, dass | |
| Algorithmen auch Ambivalenzen produzieren. Viele Technologieunternehmen | |
| finanzieren experimentellere Formen des Umgangs mit KI, etwa durch | |
| Fellowships oder Künstler*innen-Residenzen. Das künstlerische Experiment | |
| kann also zu realen Technologien beitragen, das sollte man nicht | |
| unterschätzen. | |
| Was muss noch passieren im Sinne einer Queeren KI? | |
| Ich plädiere dafür, nicht nur die Technologien selbst zu sehen, sondern | |
| auch die Entstehungsbedingungen. Das Clickworking, das Aufbereiten der | |
| Daten, passiert, weil Menschen weniger bezahlt werden als die deutsche Norm | |
| und unter prekären Bedingungen arbeiten. Da frage ich mich, ob diese | |
| Menschen, die an der Schnittstelle zu den Technologien sitzen, mehr | |
| Mitspracherecht bekommen könnten. Das Problem einer Queeren KI ist auch, | |
| dass [5][KIs in der Regel den Status quo von gestern zeigen], weil dieser | |
| auf Daten beruht, die erst mal gesammelt werden müssen. Wir müssen solche | |
| Wissenskonstruktionen also stärker hinterfragen, das wäre schon ein erster | |
| großer Schritt in Richtung Queere KI. | |
| 5 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Dombrowski | |
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