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# taz.de -- Warum Ehe Frauen abhängig macht: Geld für Sex
> Die Ehe ist ein Instrument, das Frauen finanziell in Abhängigkeit halten
> soll. Unsere Autorin fordert deshalb das „Ende der Ehe“. Ein Auszug.
Bild: Die Ehe ist ein goldener Käfig, findet unsere Autorin
Die Unterwerfung der Frau beginnt damit, sie wirtschaftlich von den Männern
abhängig zu machen. In französischen TV-Archivaufnahmen aus dem Jahr 1983
berichten sechs ältere Frauen von ihrer Ehe und der dort erlebten
Herabwürdigung. Die Interviewerin fragt daraufhin: „Konnten Sie sich nicht
gegen Ihre Männer wehren?“, und sie antworteten gemeinsam: „Oh, sicherlich
nicht! Er war derjenige, der das Geld einbrachte. Wir konnten es nicht
riskieren, rausgeschmissen zu werden!“
Diese Sorge kenne ich aus meiner Kindheit. Ich hatte Angst, dass mein Vater
sterben könnte und wir [1][ohne ihn verloren] wären. Vor dem Einschlafen
malte ich mir ein Leben auf der Straße mit meiner Mutter und den Schwestern
aus, wie wir in Lumpen zur Schule gehen und abends mit leerem Magen auf
alten Pappkartons zusammengedrängt einschlafen würden.
Obwohl meine Mutter berufstätig war und Geld verdiente, war ich davon
überzeugt, dass sie ohne meinen Vater nicht in der Lage wäre, für uns zu
sorgen. Meine Ängste waren nicht rational, sie hatten keine objektive
Grundlage. Wo kamen sie bloß her?
Ich wuchs in patriarchalen Strukturen auf: Mein Vater arbeitete Vollzeit
als Arzt, meine Mutter kümmerte sich zusätzlich zu ihrer Tätigkeit als
Krankenschwester um den gesamten Haushalt. Eine solche Aufteilung war
damals – und bleibt es bis heute – keine Ausnahme. Als Kind hatte ich
verinnerlicht, dass mein Vater die „wichtigere“ Arbeit leistet, die Arbeit,
die Geld und Sicherheit bringt. Meine Mutter hatte nur ein symbolisches
Mitspracherecht, und dessen war ich mir schon als siebenjähriges Kind sehr
bewusst.
## Alles für die Mittelschicht
Männer haben im Laufe der Geschichte unterschiedliche Mittel eingesetzt, um
Frauen in der häuslichen Sphäre abzustellen, wodurch sie sich ihre
reproduktive Funktion aneignen und sie kontrollieren konnten. Die Ehe
gehört zu diesen Instrumenten und stützt sich auf einen Vertrag,
demzufolge die Frau die unbezahlte reproduktive Arbeit leistet –
Schwangerschaften, Kindererziehung und Haushaltsarbeit – im Austausch gegen
finanzielle Absicherung.
Die unbezahlte reproduktive Arbeit von Frauen nimmt dem Staat eine
unglaubliche Last ab. Der Staat ist deshalb daran interessiert, dass die
Haushalts-, Pflege- und Erziehungsarbeit weiterhin privat organisiert und
geleistet wird – überwiegend von Frauen innerhalb der Familie. Die
Interessen des Staates sind die Interessen von weißen, heterosexuellen,
verheirateten Mittelschichtsmännern, denn er wird überwiegend durch genau
diese Menschen repräsentiert.
Die hegemoniale Männlichkeit verlangt von Jungen und Männern, dass sie
alles tun, damit ihre Machtposition gegenüber den Frauen erhalten bleibt.
Geld ist dafür ein Vehikel. Männer kontrollieren den Zugang zu Geld für
Frauen, innerhalb der Ehe, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene und in
den globalen finanziellen Sphären. Männern gehört das Kapital – privat und
kollektiv.
## Ehe als goldener Käfig
Dies führt dazu, dass Frauen kontinuierlich gezwungen sind, Sex gegen
Zugang zum Geld zu tauschen. Deshalb sind Sex und Geld im Leben der Frauen
immer miteinander verwoben, mittelbar und unmittelbar – heute noch. Die
Themen Sex und Geld sind nicht nur tief in der traditionellen
Familienstruktur verankert, sondern sie halten sie zusammen. Es ist kein
Zufall, dass Sex und Geld die beiden umstrittensten und am stärksten
belasteten Bereiche in Beziehungen sind. Beide sind tabu- und
gefühlsbeladen.
Die Ehe ist ein goldener Käfig, weil Frauen trotz der Unfreiheit gewisse
Vorteile daraus ziehen. Sie mildert die Risiken finanzieller Härten und
verschafft heterosexuellen Paaren gewisse Privilegien, indem sie zur als
überlegen betrachteten Lebensform gezählt werden. Dies betrifft in erster
Linie weiße Familien aus der Mittelschicht. Die Gesellschaft projiziert nur
Schönes auf diese Familien, Glück ohne Ende, ausgeglichene, fröhliche
Kinder, Stabilität, Liebe.
1958 wurde das Ehegattensplitting in Westdeutschland eingeführt und gilt
bis heute. Durch diese Regelung fördert der Staat die kostenlose Arbeit der
Frauen zu Hause, indem er Paare mit großer Gehaltsspanne belohnt. [2][Das
Ehegattensplitting] ist zudem auf die obere Mittelschicht zugeschnitten.
Die Ehe [3][hilft den Reichen], reich zu bleiben – verheiratete Paare
können bis zu 18.000 Euro im Jahr sparen. Arme Menschen oder
Alleinerziehende haben vom Ehegattensplitting nichts. Das Armutsrisiko
Alleinerziehender ist in Deutschland viermal so hoch wie das von Paaren mit
Kindern.
Die Gehaltslücke zwischen Frauen und Männern hat ihre Wurzeln in einem
Steuersystem, das die Vollbeschäftigung und hohe Gehälter verheirateter
Männer fördert und subventioniert. Die Steuerlücke und die Vermögenslücke
entstehen innerhalb von Familien, zwischen Brüdern und Schwestern, zwischen
Ehemann und Ehefrau, in der „privaten“ Sphäre. Es wird oft behauptet, der
Staat greife ungern in die private Sphäre ein.
Aber das ist eine Ausrede, die entlarvt werden muss. Denn der Staat tut
nichts anderes, als unsere privaten Leben zu prägen. Gesetze sind in Bezug
auf Geld und Ehe nicht neutral. Nicht über genug eigenes Geld zu verfügen
kann sehr demütigend sein. Einige Frauen aus meinem erweiterten Umfeld
mussten ihre bezahlte Arbeit drastisch reduzieren, damit sie sich um die
Kinder kümmern konnten, während ihr Mann Lohnarbeit nachging. Sie erzählten
mir, dass sie kein gemeinsames Bankkonto hätten, von dem sie über das
Familieneinkommen frei und selbstständig verfügen könnten. Stattdessen
müssten sie ständig nach Geld fragen, oder der Mann lege täglich einen
20-Euro-Schein auf den Tisch.
Wie die Finanzen innerhalb der Ehe organisiert werden, ist „Privatsache“,
also kann der Mann entscheiden, ob seine Frau über einen Teil des Geldes
frei verfügen kann. Er kann entscheiden, ob er seine Einkünfte transparent
mitteilt oder ob er sie verschweigt. Frauen in solchen Situationen sind der
Entscheidungsmacht der Männer ausgeliefert.
Wenn diese respektvoll und ehrlich sind, haben sie Glück – wenn nicht,
haben sie wenige Hebel, um der Machtdynamik entgegenzuwirken. Studien
zeigen, dass 99 Prozent der Fälle von [4][häuslicher Gewalt] auch mit
finanziellem Missbrauch einhergehen und dass finanzielle Unsicherheit einer
der Hauptgründe ist, warum Frauen zu einem misshandelnden Partner
zurückkehren.
Wie können Frauen vermeiden, sich finanziell abhängig zu machen? Die Lösung
wäre, so utopisch sie klingen mag, die Aufwertung und Bezahlung der
Care-Arbeit. Doch dies kann nur geschehen, wenn wir das gesamte System
stürzen, denn es ist nicht möglich, die [5][Care-Arbeit in einem
kapitalistischen patriarchalen System aufzuwerten] und gerecht zu
entlohnen.
## Geld ist kalt
In Portugal wurde im Januar 2021 ein Mann dazu verurteilt, seiner Ex-Frau
eine Entschädigung in Höhe von 60.782 Euro für die Hausarbeit zu zahlen,
die sie während ihrer 30-jährigen Ehe geleistet hatte. Das Gericht
begründete seine Entscheidung mit dem „seltsamerweise unsichtbaren“, aber
dennoch „sehr realen“ wirtschaftlichen Wert der Hausarbeit. Doch anstatt
die Frauen im Nachhinein mehr schlecht als recht zu entschädigen: Wäre es
nicht sinnvoller und gerechter, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
und die Institution, die sie aufrechterhält – die Ehe – abzuschaffen?
Geld ist kalt und rational – der Gegensatz von Liebe. Doch jegliche
Trennung von intim und wirtschaftlich ist künstlich und illusorisch.
Weil für Mädchen Intimität, Emotionalität und Affekt als natürlich erachtet
werden, wird ihnen sehr früh vermittelt, dass Geld keine Frauensache ist.
Es stand sogar im Gesetz: Bis 1962 war das „Geheimsparen der Hausfrauen“ in
Westdeutschland gesetzlich verboten. Bis zu diesem Jahr durften Frauen in
der BRD kein eigenes Bankkonto eröffnen und blieben somit in der absoluten
finanziellen Abhängigkeit gefangen. Erst 1969 wurden Frauen für voll
geschäftsfähig erklärt. Erst seit 1977 dürfen Frauen selbstständig einen
Arbeitsvertrag unterschreiben, ohne dass der Ehemann ihn jederzeit kündigen
könnte, falls sie ihrer ersten Pflicht, der Haushaltsführung, nicht gerecht
werden.
## Empowern alleine nützt nichts
Immer noch gilt: Frauen geben Liebe, Aufmerksamkeit, Fürsorge, und wer
gibt, sollte nicht zählen. Diese Überzeugung ist tief in vielen Frauen
verwurzelt und führt dazu, dass sie häufiger dazu neigen, ohne Bezahlung zu
arbeiten, und auch dazu, dass Schuld und Scham ihren Umgang mit Geld
begleiten. Interessieren sich Frauen für Geld, werden sie dafür angefeindet
und beschämt. Wenn Geld knapp und damit ein Problem ist, kümmern sich in
der Regel die Frauen darum; wenn Geld einen Vorteil bedeutet, kontrollieren
es die Männer.
Denn sich um Geld zu kümmern, wenn es vorhanden ist, heißt, Macht zu
erlangen. Demnach ist das Kapital Männersache. Frauen aus den höheren
Sozialschichten werden ferngehalten von den Geldangelegenheiten; sie kennen
selten das genaue Ausmaß des Vermögens, das sich verkompliziert, je größer
es wird. Sowohl das Finanzamt wie auch die Frauen sollen nicht wissen, was
sie beanspruchen können.
Viele Social-Media-Accounts machen sich zum Ziel, Frauen aus der
finanziellen Abhängigkeit von Männern herauszuholen, indem sie das nötige
Wissen in Sachen Finanzen vermitteln, um Frauen darin zu unterstützen, ihr
Leben und ihre Finanzen selbstbestimmt zu gestalten. So hilfreich diese
Initiativen sein können – die Armut und die finanzielle Abhängigkeit der
Frauen werden allein durch einen empowernden Ansatz nicht gelöst.
Solange die Ehe die institutionelle Beraubung der Frauen erlaubt, werden
Frauen in einer kapitalistischen Welt schlechter aufgestellt sein als
Männer.
16 Jul 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Emilia Roig
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