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# taz.de -- Umstrittene Elterngeld-Kürzungen: Die gefühlte Armut der Reichen
> Einkommensreiche Haushalte sollen den Anspruch auf Elterngeld verlieren.
> Nun schlagen sie Alarm, dabei ist das nur gerecht. Es ginge aber auch
> gerechter.
Bild: Für Wohlhabende ist Elterngeld oft nur ein Stolperstein bei der Tilgung …
Die Frage, ab wann jemand reich ist, wird je nachdem, wo man selbst
finanziell steht, sehr unterschiedlich beantwortet. Eine Eigenart von
wohlhabenden Menschen, vor allem FDP-Wähler*innen, ist ja, dass sie sich
zum einen als „arm“ genug empfinden, um zur Mittelschicht zu gehören, aber
gleichzeitig denken, sie seien „reich“ genug, um [1][von einer
Vermögensteuer] betroffen zu sein, die sie deshalb vorsorglich ablehnen.
Wie absurd diese Gleichzeitigkeit dann praktisch aussieht, zeigt sich
derzeit in sozialen Medien, wo nun Spitzenverdiener*innen trotzig die
Familienplanung über Bord werfen, weil sie meinen zu verarmen, wenn ihnen
die 1.800 Euro Elterngeld pro Monat gestrichen würden, wie es im
Bundesfamilienministerium unter Lisa Paus (Grüne) zur Debatte steht.
Das Finanzministerium unter Christian Lindner (FDP) hatte die Einsparungen
auferlegt. Nun sollen Haushalte, deren zu versteuerndes Einkommen im
jeweiligen Berechnungsjahr über 150.000 Euro liegt, was brutto etwa 180.000
Euro entspricht, [2][kein Elterngeld mehr bekommen]. Das würde laut Paus
etwa 60.000 Familien betreffen. Insgesamt gibt es in Deutschland 11,9
Millionen Familien.
Bisher lag die Grenze bei 300.000 Euro für Paare. Das Elterngeld soll
grundsätzlich den Lohn während der Elternzeit teilweise ersetzen. Es wird
nach Einkommen gestaffelt und liegt zwischen 300 und 1.800 Euro monatlich.
Nur eben nicht nach Bedarf, sondern wer mehr hat, kriegt auch mehr. Der
Höchstsatz von 1.800 Euro wird erst ab einem Nettoeinkommen von 2.770 Euro
ausgezahlt, darunter bekommt man etwa 65 Prozent des zu versteuernden
Einkommens, wer unter 1.000 Euro verdient, bis zu 100 Prozent.
## Wo oben eigentlich ist
Grundsätzlich sollte bei Familien nicht gekürzt werden, solange man auch
bei Dienstwagen, Erbschaft und Vermögen etwas machen könnte. Das
Familienministerium macht mit seinen etwa 2,8 Prozent im Bundeshaushalt
auch sicher nicht die größten Wellen. Lisa Paus hat im Grunde das einzig
Richtige gemacht und versucht, die Einsparungen nicht per Gießkanne zu
verteilen, sondern sozialverträglich zu gestalten und oben anzusetzen.
Zur Orientierung, wo oben eigentlich ist: [3][Zu den einkommensreichsten 10
Prozent gehörte man im Jahr 2019] als ein Paar ab einem
Haushaltsnettoeinkommen von 5.780 Euro, als Familie mit zwei Kindern unter
14 bei 8.090 Euro im Monat.
Eine Maßnahme, die also vor allem Privilegierte betrifft. Dennoch ist nun
in vielen Kommentaren von einer unsozialen Ohrfeige für alle Familien, vom
Ende der Gleichbehandlung von Eltern oder gleich von der Abschaffung der
Gleichstellungspolitik für Akademiker*innen die Rede. Das klingt
bedrohlich, nur verdienen Akademiker*innen in Deutschland im Schnitt
nicht genug, um hiervon generell betroffen zu sein. Für viele Eltern ist
eine Elternzeit heute kaum noch leistbar. Für Wohlhabende ist sie hingegen
oft nur ein Stolperstein bei der Tilgung des Eigenheimkredits.
Das Argument, dass die fehlenden 1.800 Euro Elterngeld bei
Spitzenverdiener*innen nun dazu führen werden, dass noch weniger
Väter Elternzeit nehmen, womit Rollenklischees weiter zementiert würden,
geht leider komplett an der Ursache vorbei. Denn wer mit 150.000 Euro
Haushaltseinkommen als Vater nichts übrig hat, um ein halbes Jahr bei
seinem Kind zu bleiben, kann entweder nicht mit Geld umgehen oder ist ein
schlechter Vater. Im schlimmsten Fall beides.
Was die Gleichstellung in Paarbeziehungen angeht, wäre allen mehr geholfen,
würde das Ehegattensplitting abgeschafft oder würde die Kinderbetreuung
ausgebaut. Das Elterngeld müsste außerdem reformiert werden. Es sollte sich
an Lebenshaltungskosten und Vermögen orientieren. Es müsste nicht nur
Lohnarbeit, sondern auch Care-Arbeit berücksichtigen und besonders Frauen
vor finanzieller Abhängigkeit schützen.
Ein Elterngeld, das sieben Monate pro Partner*in ausgezahlt wird, wäre
eine Möglichkeit. Es sollte inzwischen auch endgültig klar sein, dass es
nichts bringt, noch mehr Geld auf wohlhabende Väter zu werfen. Denn hier
geht es nicht ums Können, sondern ums Wollen.
5 Jul 2023
## LINKS
[1] /Vorstoss-zu-Vermoegenssteuer/!5887251
[2] /Elterngeld-fuer-Bestverdienende/!5941934
[3] https://www.iwd.de/artikel/hohes-einkommen-ist-relativ-583319/
## AUTOREN
Saskia Hödl
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