Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Elterngeld für Bestverdienende: Ein anderer Blick auf die Welt
> Die geplante Streichung des Elterngelds für besonders gut Verdienende ist
> fatal. Denn sie trifft vor allem Männer – und die haben Nachholbedarf.
Bild: Hier geblieben, Papa!
In Berlin gibt es viele [1][öffentliche Toiletten,] bei denen auf der einen
Seite ein kostenlos zugängliches Pissoir ist. Auf der anderen Seite muss
man 50 Cent bezahlen, um hinter verschlossenen Türen sein Geschäft zu
verrichten. Genderpolitisch ist das eine große Ungerechtigkeit. Denn Frauen
müssen immer blechen. Aber müssten Männer auch zahlen, würden viele einfach
irgendwohin pinkeln. Das kann und muss man zu Recht doof finden.
Gesamtgesellschaftlich aber hat die pekuniäre Ungerechtigkeit einen
positiven Effekt: Es stinkt wenigstens im Wortsinn nicht zum Himmel.
Damit sind wir beim Thema dieses Textes: Männer und ihre Steuerung durch
Finanzpolitik. Aktuelles Beispiel: die geplante Kürzung beim Elterngeld.
Weil Finanzminister Christian Lindner (FDP) allen seinen Kolleg:innen
für den [2][Bundeshaushalt, der am Mittwoch beschlossen werden soll,]
deftige Sparauflagen aufgebrummt hat, will Familienministerin Lisa Paus
(Grüne) künftig die Förderung von besonders reichen Eltern ausschließen.
Paare mit einem Jahreseinkommen von mehr als 150.000 Euro sollen künftig
kein Elterngeld mehr bekommen. Bisher liegt die Einkommensgrenze noch bei
300.000 Euro.
Die erste Reaktion liegt auf der Hand. Wer so viel Geld hat, muss nicht
auch noch vom Staat gepampert werden, bloß weil er sich ums Baby kümmert.
Also weg mit dem Scheiß.
## Zu kurz gedacht
Aber das ist zu kurz gedacht. Denn beim genauen Hinschauen erkennt man: Die
Kürzung trifft in erster Linie Väter. Also Männer. Denn es gibt nur eine
Gruppe, bei denen die elternzeitnehmenden Väter vorne liegen: die der
Eltern mit hohem Voreinkommen. Von allen, die den höchst möglichen
Elterngeldsatz von 1.800 Euro pro Monat bekommen, sind mehr als 60 Prozent
Männer.
Bei allen anderen ist die Beteiligung der Männer an der Babybetreuung
immer noch [3][peinlich niedrig]. Frauen beantragen dreimal häufiger
Elterngeld als Männer. Und sie beziehen es viermal länger. Auf einen
Papamonat kommen also 12 Mamamonate.
Dieses krasse Ungleichgewicht hat viele Gründe. Einer davon ist die
Situation am Arbeitsplatz. Männer, die Väter nicht nur auf dem Papier sein
wollen, haben es im Arbeitsalltag extrem schwer, ihr Recht auf eine
Familienauszeit auch wahrzunehmen. Wer den Vätermonologen auf Spielplätzen
lauscht, kennt die Geschichten von Kollegen, die sich lustig machen. Vor
allem aber von Vorgesetzten, die Vätern alle Steine in den Weg legen.
Elternzeit? Mach dich nicht lächerlich!
Nur wie könnte man dieses verkorkste Weltbild in den immer noch überwiegend
männlich geprägten höheren Hierarchieebenen nahezu aller Betriebe, diese
völlig überholte Sicht auf die Geschlechterrollen aufbrechen? Durch mehr
Erfahrung.
## Steine aus dem Weg geräumt? Leider nicht
Jeder einzelne Mensch in Leitungsfunktion, der eine intensive Elternzeit
erleben durfte, ist ein Gewinn. Weil sie den Blick auf die Welt verändert.
Auch auf die Arbeitswelt. Den Umgang mit Kolleg:innen in ähnlicher
Situation.
Woher ich das weiß? Weil ich selber seit vielen Jahren leitender Redakteur
mit Personalverantwortung bin. Und weil ich mich nach zwei Elternzeiten
entschuldigen musste bei Kolleg:innen, denen ich früher nicht alle Steine
aus dem Weg geräumt habe. Im Gegenteil.
Der Weg zu mehr Vätern in Elternzeit führt also auch über das Wissen bei
den Vorgesetzten auf den höchsten Hierarchieebenen. Über Menschen mit
tendenziell sehr gutem Einkommen. Und genau die trifft die nun geplante
Kürzung.
Finanziell hätte diese Vätergruppe das Elterngeld gewiss nicht nötig. Als
in Euro ausgedrückte gesellschaftliche Anerkennung aber umso mehr. Und es
ist eine für die Gesamtgesellschaft lohnende Investition, weil sie – nein,
keine Revolution von oben, aber doch an entscheidender Stelle eine
Kettenreaktion auslösen kann.
So aber wird gut verdienenden Männern zu verstehen geben, dass es auf sie
bei der Kinderbetreuung nicht so ankommt. Da ist es kein Wunder, wenn sich
viele beim Wickeln wie beim Pinkeln ins Gebüsch schlagen.
4 Jul 2023
## LINKS
[1] /Oeffentliche-Toiletten-in-Berlin/!5937321
[2] /Lindners-Etatplaene/!5945447
[3] /Nur-wenige-Vaeter-nehmen-Elternzeit/!5902762
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Elterngeld
Männer
Reiche
GNS
Elterngeld
wochentaz
Elterngeld
Kolumne Der rote Faden
Reichtum
Christian Lindner
Elterngeld
Feminismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geplante Änderungen beim Elterngeld: Immerhin Babyschritte
Die Care-Arbeit bleibt oft an den Müttern hängen. Ein Plan der Ampel für
das Elterngeld könnte die Situation etwas verbessern.
Streit um Elterngeld: Reiche Kinder erwünscht
Das Elterngeld war schon immer ungerecht: Während die Armut von
Alleinerziehenden wuchs, ließen sich andere vom Staat ihre Traumreise
bezahlen.
Kürzungen bei Familienpolitik: Weiter Zoff um Elterngeld für Reiche
SPD-Chef Klingbeil will beim Ehegattensplitting sparen statt beim
Elterngeld. Auch die FDP will andernorts kürzen. Familienministerin Paus
weist das zurück.
Bundesjugendspiele, Thüringen und Bundestag: Ich reg' mich nicht auf!
Je lauter man in den Thüringer Wald hineinruft: „Ihr seid scheiße“, desto
mehr wählen dort erst recht rechts. Deshalb gilt: nur immer die Ruhe
bewahren.
Umstrittene Elterngeld-Kürzungen: Die gefühlte Armut der Reichen
Einkommensreiche Haushalte sollen den Anspruch auf Elterngeld verlieren.
Nun schlagen sie Alarm, dabei ist das nur gerecht. Es ginge aber auch
gerechter.
Lindners Etatpläne: Sparen, sparen, sparen
Der Bund will rund 30 Milliarden Euro weniger ausgeben. Die Sozialkassen
sollen weniger Steuermittel erhalten, Entwicklungszusammenarbeit und Bafög
schrumpfen.
Familienförderung in Deutschland: Mehr Väter beziehen Elterngeld
Noch immer sind es vor allem Frauen, die Elterngeld beantragen. Der Anteil
der Männer steigt nur langsam. Insgesamt nahm die Zahl der Beziehenden
sogar ab.
Gender Care Gap in Deutschland: Who cares?
Kinder betreuen, Kaffeetassen wegräumen oder Pflanzen gießen – bei
Sorgearbeit halten sich Männer zurück. Das liegt nicht nur an
traditionellen Werten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.