# taz.de -- Gender Care Gap in Deutschland: Who cares? | |
> Kinder betreuen, Kaffeetassen wegräumen oder Pflanzen gießen – bei | |
> Sorgearbeit halten sich Männer zurück. Das liegt nicht nur an | |
> traditionellen Werten. | |
Bild: Wie Care-Arbeit verteilt ist, ändert sich kaum: Männer (nicht im Bild) … | |
MAGDEBURG taz | Weiße Fliesen, Sitzbänke aus Holz, in der Mitte ein Tisch | |
mit einem Kasten Bier – die Fußballkabine einer Hobbymännermannschaft in | |
Magdeburg. Ein guter Ort, um über die gerechte Verteilung von Sorgearbeit | |
zu sprechen. Darüber, was sich tun muss, damit sich der Gender Care Gap | |
weiter verkleinert. Denn [1][nach wie vor verbringen Frauen deutlich mehr | |
Zeit] als Männer mit unbezahlter Hausarbeit und Kinderbetreuung. | |
Geschafft vom Wintertraining, streifen sich die Spieler ihre Schuhe ab. Auf | |
sie wartet eine warme Dusche. Die meisten hier sind in ihren Dreißigern. | |
Den Traum, selbst Fußballprofi zu werden, haben sie längst an den Nagel | |
gehängt. Heute, als Väter, möchten sie ihren Kindern die Lebensträume | |
ermöglichen. | |
„Aufgabenteilung? Gibt’s bei uns nicht“, sagt der Stürmer Thorsten halb | |
ernst. „Wäsche, Kochen, Staubsaugen: Das erledige alles ich, Homeoffice sei | |
Dank.“ Seine Frau ist Ärztin und tagsüber in der Klinik. Linksverteidiger | |
Fabian ist erst kürzlich Vater geworden; neun Monate Elterngeld hat er | |
beantragt. Man möchte meinen, das Familienmodell des männlichen Ernährers | |
existiere überhaupt nicht mehr, zumindest hier, in der schmucklosen | |
Umkleidekabine in Sachsen-Anhalt. | |
Von einer „kleinen Kulturrevolution“, die mit der Einführung des | |
Elterngeldes 2007 begonnen habe, spricht der Geschlechterforscher und | |
Diversity-Berater Marc Gärtner. Seitdem steht beiden Elternteilen für | |
insgesamt 14 Monate das sogenannte Basiselterngeld zu – wenn jeder | |
Elternteil mindestens zwei Monate für sich in Anspruch nimmt. Arbeitet man | |
in dieser Zeit nicht, bekommt man trotzdem 65 Prozent des Einkommens | |
fortgezahlt, mindestens aber 300 Euro und nicht mehr als 1.800 Euro im | |
Monat. | |
## Anreiz auf Island wirkt | |
Waren es beim Vorgängermodell, dem Erziehungsgeld, lediglich 3 Prozent der | |
Väter, die es beantragten, nutzen inzwischen mehr als [2][40 Prozent das | |
Elterngeld]. Davon beschränken sich aber nach wie vor drei von vier auf die | |
Mindestdauer von zwei Monaten. Das spiegelt sich auch im Gender Care Gap | |
wider: Er hat sich im vergangenen Jahrzehnt nicht wesentlich verringert. | |
Die Fortschritte bei der Aufteilung von Sorgearbeit sind ins Stocken | |
geraten. | |
Mit dem ersten Kind wächst meist die Kluft zwischen den Geschlechtern. Ein | |
Dominoeffekt: Der Care Gap vergrößert den Gender Pay Gap, Frauen zahlen | |
weniger in die Rentenkasse ein und im Alter betrifft sie dann Altersarmut | |
stärker als Männer – der sogenannte Pension Gap. Deshalb sei es | |
entscheidend, dass sich die Betreuungszeiten annähern, sagt Marc Gärtner. | |
Aber was muss passieren, damit sich der Abstand weiter verringert? Gärtner | |
fordert neue Modelle, [3][die es für Väter attraktiver machen], mehr Zeit | |
mit dem Kind und weniger Zeit auf der Arbeit zu verbringen. | |
Als Vorbild für eine realistische Alternative sieht er Island. Dort haben | |
beide Eltern Anrecht auf sechs Monate Elterngeld, bei einer Fortzahlung von | |
80 Prozent ihres Durchschnittseinkommens. Aber entscheidet sich ein | |
Elternteil gegen das Elterngeld, halbiert sich die Bezugsdauer für die | |
Familie. Das Resultat: Praktisch alle Väter nehmen sich eine halbjährige | |
Auszeit vom Beruf. | |
Dass [4][Frauen immer noch deutlich mehr unbezahlte Arbeit] erledigen als | |
Männer, liegt jedoch nicht nur an strukturellen Hürden. Tradierte Werte | |
wirken nach wie vor. Das kennen auch die Fußballer in der Magdeburger | |
Umkleidekabine: Ihnen wurde von verschiedenen Seiten vermittelt, sie sollen | |
sich auf zwei „Papamonate“ beschränken. Das gehöre sich so. Ein Spieler | |
wirft ein: „Ich finde das auch okay. In den ersten Monaten kann man als | |
Vater sowieso nicht so viel beitragen. Richtig spannend wird es erst mit | |
drei, vier Jahren.“ Stürmer Thorsten, Vater von drei Kindern, entgegnet: | |
„Gerade in den ersten Monaten passiert so viel, ich möchte diese Zeit nicht | |
missen.“ | |
Einen weiteren Vorteil der frühen Beteiligung des Vaters betont Claire | |
Samtleben vom Analyse- und Beratungsunternehmen Prognos: „Väter, die | |
Elternzeit nehmen und in dieser Zeit allein für die Versorgung des Kindes | |
verantwortlich sind, sind auch später engagierter in der Kinderbetreuung | |
und im Haushalt.“ Das Familienministerium hat Prognos damit beauftragt, zu | |
untersuchen, wie väterfreundlich die deutsche Wirtschaft ist. | |
Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice sind zwar mittlerweile verbreitet, | |
aber das Arbeitsumfeld gilt nach wie vor als einer der Haupttreiber des | |
Gender Care Gaps. Und die im [5][Dezember 2022 erschienene Studie von | |
Prognos] zeigt: Jeder zweite Vater hat schon den Arbeitgeber gewechselt | |
oder darüber nachgedacht, um Familie und Beruf besser miteinander vereinen | |
zu können. Bei den unter 35-Jährigen sind es sogar zwei von drei. | |
Laut der Studie gibt es offenbar auch einen Wahrnehmungs-Gap: Während zwei | |
von drei Unternehmen angaben, sie seien väterfreundlich aufgestellt, sah | |
das nur jeder dritte befragte Vater so. Bei der Vereinbarkeit von Familie | |
und Beruf werde zu wenig an Väter gedacht und familienbewusste Angebote | |
richteten sich selten explizit an sie, so die Studienteilnehmer. | |
Zudem fehlt es an Vorbildern für eine aktive Vaterschaft. Vor allem in | |
Unternehmen, die laut Studie wenig väterfreundlich sind, arbeiten nahezu | |
alle männlichen Führungskräfte in Vollzeit. Sie nehmen sich [6][seltener | |
und kürzer Auszeiten für ihre Kinder]. „Geht der eigene Vorgesetzte mit | |
gutem Beispiel voran und nutzt er beispielsweise die Möglichkeit, in | |
Elternzeit zu gehen oder in Teilzeit zu arbeiten, haben die ihm | |
unterstellten Väter weniger Sorge, Karriereeinbußen zu erfahren, und die | |
Wahrscheinlichkeit steigt, dass auch sie sich mehr in die Familienarbeit | |
einbringen“, schreiben die Studienautor:innen. | |
## Mehr als Kinderbetreuung | |
Zurück in der Umkleidekabine: Die Spieler haben inzwischen geduscht und | |
ihre Taschen gepackt. Langsam leert sich der Raum. Bisher haben sie | |
hauptsächlich über ihre Rolle als Väter gesprochen. Um andere Formen der | |
Sorgearbeit ging es kaum. Dieses Muster kann man auch in der öffentlichen | |
Debatte über den Gender Care Gap beobachten – und in vielen Unternehmen. | |
Dabei [7][ist Kümmern mehr als Kinderbetreuung.] „Wer ist im Betrieb | |
eigentlich zuständig für eine gute Stimmung, dafür, die Pflanzen zu gießen | |
oder die Kaffeetassen wegzuräumen?“ Das sind wichtige Fragen, erklärt | |
Diversity-Berater Marc Gärtner. „Wie zu Hause lastet auch im Betrieb der | |
Großteil der Care Load und Mental Load auf den Schultern von Frauen.“ Damit | |
meint er den mit der [8][Sorgearbeit verbundenen zeitlichen und | |
gedanklichen Aufwand]. | |
Draußen, zwischen Vereinsheim und Kunstrasenplatz, erzählt Flügelspieler | |
Simon von der Aufgabenteilung an seinem Arbeitsplatz, wobei von Teilung | |
nicht die Rede sein kann. „Bei uns im Büro läuft das eigentlich ab wie in | |
einer WG: Es gibt keine festen Regeln und am Ende sind es dann schon die | |
Frauen, die das meiste erledigen.“ | |
Das thematisiert Marc Gärtner auch immer, wenn er einen Betrieb berät. | |
Männer lägen in ihrer Selbsteinschätzung, wer wie viel übernimmt, meistens | |
ganz schön daneben. „Wir machen dann Übungen und fragen die Belegschaft, | |
wer sich wofür zuständig fühlt und wie es eigentlich sein sollte.“ Im | |
Anschluss helfe es, ein geschlechtergemischtes Team aufzustellen, das auf | |
eine gerechte Aufgabenverteilung achtet. | |
Ein solch kritischer Blick kann auch außerhalb des Arbeitsumfeldes sinnvoll | |
sein. Das zeigt sich besonders eindrücklich am Wochenende. [9][Auch dann | |
verbringen Frauen nämlich deutlich mehr Zeit mit Sorgearbeit]. „Daran sieht | |
man, dass das häufig vorgebrachte Argument zu kurz greift, Männer wären | |
weniger engagiert in der Kinderbetreuung und im Haushalt, weil sie wegen | |
der Erwerbsarbeit keine Zeit dafür hätten“, folgert Claire Samtleben. | |
Wochenende. Für die Magdeburger Fußballpapas heißt das auch: Trikot | |
überstreifen, Schienbeinschoner anlegen, Schuhe schnüren. Die Teamkollegen | |
müssen samstags früh raus und kommen meistens erst nachmittags wieder nach | |
Hause. Wer passt in der Zwischenzeit auf die Kinder auf? Diese Frage stellt | |
sich vor jedem Spiel aufs Neue. Aktuell denken die Fußballer über eine | |
gemeinsame Kinderbetreuung während der Spiele nach. | |
1 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wissenschaftlerinnen-ueber-Mutterschaft/!5867136 | |
[2] https://www.bib.bund.de/Publikation/2022/pdf/15-Jahre-Elterngeld-Erfolge-ab… | |
[3] /Nur-wenige-Vaeter-nehmen-Elternzeit/!5902762 | |
[4] /Care-Arbeit-und-Gleichberechtigung/!5834059 | |
[5] https://www.prognos.com/sites/default/files/2022-12/BMFSFJ_Vaeterstudie_202… | |
[6] /Elternzeit-in-Deutschland/!5895270 | |
[7] /Care-Arbeit/!t5692935 | |
[8] /Philosophin-ueber-Care-Arbeit/!5834052 | |
[9] https://www.diw.de/de/diw_01.c.616037.de/publikationen/wochenberichte/2019_… | |
## AUTOREN | |
Anton Benz | |
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