| # taz.de -- Care-Arbeit und Gleichberechtigung: Ist Spielen auch Arbeit? | |
| > Ein Paar versucht mit einer Handy-App, Putzen, Kochen und Kinderbetreuung | |
| > gerecht aufzuteilen. Ein Wettbewerb entsteht. Kann es Sieger geben? | |
| Bild: Wer räumt hier irgendwann mal auf? Und gibt es Punkte dafür? | |
| Er: Wir sind seit neun Jahren ein Paar, seit sieben Jahren wohnen wir | |
| zusammen. Wir kamen beide aus WGs und uns war klar, dass wir keinen festen | |
| Putzplan mehr wollten. Wir dachten, zu zweit brauchen wir das nicht. | |
| Sie: Wir kannten die [1][Studien], dass Frauen, selbst die, die Vollzeit | |
| arbeiten, mehr im Haushalt tun als ihre Vollzeit arbeitenden Männer. Wir | |
| waren uns einig, dass das bei uns anders sein würde. Wir wollten die | |
| Hausarbeit fifty-fifty aufteilen, ohne mit der Stoppuhr zu messen. Ich habe | |
| trotzdem nach dem Fußbodenwischen die Stühle länger auf dem Tisch stehen | |
| lassen, um zu zeigen: Hier wurde gerade geputzt! Albern, aber es ist nun | |
| mal so: Hausarbeit ist unsichtbar. Dreck sieht man, keinen Dreck sieht man | |
| nicht. | |
| Er: Heute, fünf Jahre und zwei Kinder später, ist jeder Tag der Versuch, | |
| das Chaos zu bändigen. | |
| Sie: Seit wir Kinder haben, hat sich unser Alltag radikal verändert. Unser | |
| Anspruch macht es zusätzlich schwer. Denn gerecht bedeutet eben auch: ganz | |
| viel reden, planen, aushandeln. „Wer holt heute die Kinder?“, „Kannst du … | |
| der Zeit einkaufen?“, „Montag ist Fasching in der Kita, wir sollen Kuchen | |
| mitbringen.“ Wir haben gleich viel Elternzeit genommen, aber die Aufgaben | |
| fifty-fifty aufzuteilen haben wir irgendwann gelassen, damit wir uns nicht | |
| immer absprechen müssen. Ich mache jetzt fast immer die Wäsche, Johan kauft | |
| fast immer ein. | |
| Er: Vielleicht ist es ein mathematisches Problem: Kopfrechnen im Zahlenraum | |
| über 1.000 ist einfach kompliziert. Jeden Tag fallen zehntausend kleine | |
| Arbeiten an und vieles davon könnte ein Roboter besser erledigen. Aber es | |
| gibt keinen Roboter. Wenn ich es nicht mache, macht es Hedi. | |
| Sie: Irgendwann sind wir auf eine [2][App] gestoßen, die eigentlich | |
| WG-Haushalte managen soll. Man trägt ein, welche Aufgaben zu erledigen sind | |
| und wer am Ende der Woche die meisten Sterne gesammelt hat, der … ja, was | |
| eigentlich? Ist der bessere Mitbewohner? Kann sich nächste Woche ausruhen? | |
| So genau haben wir das nicht definiert. Aber wenn da am Ende der Woche | |
| stand, dass ich die Rangliste anführe, fühlte ich mich gut. | |
| Er: Unser sportlicher Ehrgeiz war geweckt, die Wohnung viel sauberer als | |
| vorher. Meistens gewann Hedi, aber knapp. Dann fing die App an zu nerven: | |
| Einmal saß ich im überfüllten Wartezimmer beim Kinderarzt, Babys schrien, | |
| ich schwitzte in meiner dicken Jacke mit Baby vorm Bauch und wartete, bis | |
| wir endlich drankommen, da vibrierte mein Handy. Hedi hatte den Müll | |
| runtergebracht, die Wohnung gesaugt, das Klo geputzt. Dafür gab es Punkte. | |
| Für den Kinderarztbesuch nicht. | |
| Sie: In unserem Recheneifer wurde alles zur Aufgabe, auch auf den | |
| Spielplatz gehen. Irgendwann haben wir uns gefragt: Wo fängt Arbeit | |
| eigentlich an? Und was ist mit den Aufgaben, die sich nicht so leicht | |
| zählen lassen? An den Geburtstag von X denken? Bemerken, dass die | |
| Gummistiefel vom Kind zu klein geworden sind? | |
| Er: Klar, man könnte die Aufgabe „Kinderarzt“ oder „Geburtstagsgeschenk�… | |
| der App hinzufügen. Aber wir wollen nicht unser ganzes Leben zählbar | |
| machen, und wir hängen eh schon zu viel am Handy. | |
| Sie: Unser Alltag wurde zum Wettbewerb. Wenn Johan einkaufen gegangen ist, | |
| erschien auf meinem Display: „Yeah! Johan hat die Aufgabe ‚Einkaufen‘ | |
| erledigt“. Ich dachte mir dann nicht „Yeah“, sondern entweder „Na endli… | |
| oder „Mist, ich muss auch mal wieder“. Mit der App und dem Anspruch, alles | |
| ganz genau aufzurechnen, stieg der Druck in unserer Beziehung. | |
| Er: Wenn selbst Memory spielen mit meinen Kindern Arbeit ist, dann ist mein | |
| ganzes Leben Arbeit, außer wenn ich schlafe. Das will ich nicht. | |
| Sie: Eine Freundin von mir, die ein fünfmonatiges Baby zu Hause hat, lässt | |
| ihren Mann mit einer App die Minuten tracken, die er mit dem Kind | |
| verbringt. Wenn er auf fünf Stunden täglich kommt, haben sie ihr | |
| gemeinsames Ziel erreicht. Verrückt! Und trotzdem rechne auch ich immer | |
| noch auf: Wie oft hat Johan diese Woche die Kinder abgeholt? Rechnen nervt, | |
| es ist kleinlich und sät Misstrauen in einer Beziehung. Aber ich glaube | |
| langsam, es geht auch nicht ganz ohne. Das ist wie mit den Quoten: super | |
| unsexy, niemand will die Quotenfrau sein. Aber ohne Quoten kommen Frauen | |
| seltener nach oben. | |
| Er: Oft ist es auch schwierig, die Hausarbeit gerecht aufzuteilen, weil wir | |
| unterschiedliche Bedingungen bei unserer Lohnarbeit haben. Wir arbeiten | |
| zwar gleich viel, aber Hedi kann häufiger Homeoffice machen und hängt dann | |
| die Wäsche auf. Ist das unfair? | |
| Sie: Wenn wir in unserer Beziehung nicht wenigstens grob überschlagen, wer | |
| wie viel macht, dann können wir nicht wissen, ob wir annähernd fifty-fifty | |
| aufteilen. | |
| Er: Rechnen muss sein. Aber als wir noch zu zweit waren, konnten wir uns | |
| richtig doll darüber streiten, ob zum Badputzen auch gehört, die Kacheln | |
| hinter der Badewanne zu schrubben. Jetzt machen wir beide so viel | |
| Hausarbeit, dass wir keine Kraft mehr dafür haben. Ich weiß nicht, ob das | |
| jetzt ein gutes Zeichen ist. | |
| Sie: Und dann sind da noch die Aufgaben, die sich nur schwer in Minuten | |
| aufrechnen lassen. Der Mental Load, also immer alles auf dem Schirm zu | |
| haben, zum Beispiel beim Verreisen. Wenn wir wegfahren, bin ich es, die die | |
| Klamotten für die Kinder und für mich packt. Meist beginne ich Tage vorher | |
| das zu planen: Wann wasche ich was, damit es rechtzeitig trocknet? Am Ende | |
| wirft Johan vier Unterhosen, drei T-Shirts und eine Hose für sich in den | |
| Koffer. Dann werde ich wütend, kiefer-malmend-herzrasend-wütend. | |
| Er: Wenn ich am Abend vor der Abreise sage, ich packe jetzt mal für mich | |
| und die Kinder, sagt Hedi: „Hab ich schon“. | |
| Sie: Einmal hat Johan das Packen übernommen. Als wir ankamen, fehlten die | |
| Bodys für unsere Tochter. Es war kalt, die Läden waren wegen der Feiertage | |
| geschlossen. „Ist doch egal“, hat Johan gesagt, „wir haben genug andere | |
| Sachen mit“. Aber darum ging es mir nicht. Mir hat das gezeigt: Wenn ich | |
| mich nicht selber darum kümmere, geht es schief. Noch am selben Abend habe | |
| ich bei Ebay-Kleinanzeigen Bodys eingekauft. Am Ende habe also doch wieder | |
| ich dafür gesorgt, dass unsere Kinder warm angezogen sind. | |
| Er: Wenn es Winter wird, greift Hedi in eine Kiste und holt einen passenden | |
| Schneeanzug, Handschuhe, Mützen hervor, die sie schon im September gekauft | |
| hat. Ich würde unsere Kinder einen oder zwei Tage mit einer zu dünnen Jacke | |
| in die Kita schicken und dann hektisch etwas kaufen. Was ist richtig? Darf | |
| Hedi ihren Anspruch, wie eine Aufgabe zu erledigen ist, auf mich | |
| übertragen? Oder mache ich es mir bequem, weil Hedi es schon längst | |
| erledigt hat, wenn ich es tun will? Ich finde, es darf schon eine Rolle | |
| spielen, ob einem eine Aufgabe Spaß macht. Hedi kauft gern Klamotten. Ich | |
| mag Kochen und lese mir gern Testberichte von Kühlschränken durch. (Das | |
| klingt aufgeschrieben noch bescheuerter, als es sowieso ist). | |
| Sie: Auch deswegen, weil es ein Klischee ist. Ein Genderstereotyp, das wir | |
| doch eigentlich bekämpfen wollten. Damit unsere Kinder nicht denken: Frauen | |
| gehen gerne shoppen und Männer bohren gern Löcher in die Wand. Aber wenn | |
| ich jetzt auch noch den Anspruch hätte, zu handwerken, damit meine Kinder | |
| wissen, Frauen können das auch, dann würde ich durchdrehen. | |
| Er: Mittlerweile haben wir die App abgeschafft, wir rechnen und diskutieren | |
| weniger über Hausarbeit. In vielen Dingen sind wir mittlerweile | |
| eingespielt. Und wir haben einen Teil der Hausarbeit ausgelagert. Alle zwei | |
| Wochen kommt E., unsere [3][Putzhilfe]. Das ist der beste Tag. | |
| Sie: Wir bezahlen unsere Putzhilfe ordentlich, sie finanziert sich damit | |
| ihre Ausbildung, aber es ist natürlich kein Zufall, dass E. eine Frau ist | |
| und keinen deutschen Pass hat. Am Jahresende geben wir ihr mehr Trinkgeld | |
| als dem Zeitungsausträger. Weil wir sie persönlich kennen oder weil wir ein | |
| schlechtes Gewissen haben? | |
| Er: Mehr Homeoffice und die Auslagerung von Hausarbeit an eine Migrantin – | |
| dürfen wir uns damit zufriedengeben? Ich muss oft an ein Interview mit der | |
| Scheidungsanwältin Helene Klaar denken. Sie sagt über das Geheimnis ihrer | |
| langjährigen Beziehung: „Außerdem haben mein Mann und ich feste politische | |
| Überzeugungen und sind der Meinung, dass an allem wirklich Schlechten der | |
| Kapitalismus schuld ist. Daher lassen wir uns nicht gegeneinander hetzen.“ | |
| Sie: Es hilft natürlich, wenn sich beide einig sind, dass am Ende der | |
| Kapitalismus schuld ist. Andererseits gehört zur Wahrheit auch, dass wir | |
| uns leisten könnten, weniger Lohnarbeit zu leisten, um weniger Stress zu | |
| haben. Aber wir arbeiten beide viel und meistens gern. Zumindest teilweise | |
| ist also der Stress in unserem Leben selbstgewählt. | |
| Weil die Autor*innen nach investigativen Recherchen in der Vergangenheit | |
| bedroht wurden, schreiben sie diesen Text mit Informationen über ihr | |
| Privatleben unter Pseudonym. | |
| 7 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-unbezahlte-arbeit-frauen-leisten… | |
| [2] https://www.unicum.de/de/studentenleben/wohnen/wg-apps-liste | |
| [3] /Dreck-und-Moral/!5275432/ | |
| ## AUTOREN | |
| Hedi Kehr | |
| Johan Kehr | |
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