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# taz.de -- Feministische Neuveröffentlichungen: Mütende Feministinnen
> Wo steht der Kampf um Gleichberechtigung nach der Pandemie? Drei Bücher
> beschäftigen sich mit Frauen zwischen Wut, Erschöpfung und Zärtlichkeit.
Bild: FLINT*-Demonstration zum internationalen Frauenkampftag in Hamburg 2020
Den Fernseher zertrümmern, das Geschirr zerdeppern, den Tisch zerhacken –
einfach einmal alles kurz und klein schlagen. Das scheint eine Fantasie
vieler Frauen zu sein. Zumindest sind 70 Prozent der Kund*innen eines
Crash Rooms in Berlin Frauen. Sie zahlen dort 220 Euro für eine Stunde
Wutausbruch ohne Publikum. Das berichtet der Besitzer des Raumes in
Ciani-Sophia Hoeders Buch „Wut und Böse“. Hoeder überrascht das gar nicht,
denn die These ihres Buches lautet, dass es für Wut von Frauen keinen Platz
in unserer Gesellschaft gibt.
Natürlich sind auch Frauen wütend. Sie haben nur gelernt, dass es nicht gut
ankommt, wenn sie das auch zeigen. Es entspricht nicht dem Bild des sich
kümmernden Geschlechts, der hingebungsvollen Geliebten, der stummen
Zuhörerin. Und wer sich diesem Bild nicht anpasst, wird bis heute
sanktioniert.
Wer etwa auf eine Anmache auf der Straße nicht mit dankendem Lächeln
reagiert, läuft Gefahr, beschimpft zu werden. Das ständige Nachdenken über
die Folgen des eigenen Handelns macht Frauen müde, das Verdrängen von
Empörung macht sie krank.
In diesem Herbst sind drei feministische Schriften erschienen, wobei alle
drei Autorinnen ausführen, dass sie die Kategorie Frau nicht an
geschlechtlichen Merkmalen festmachen, sie diese Kategorie in einem binär
aufgebauten System aber als Bezugspunkt beibehalten wollen. Der Kategorie
Frau attestieren sie jedenfalls alle: Sie ist mütend. Das Wort entstand in
der Coronapandemie und beschreibt eine Mischung aus wütend und müde.
## Wut und Böse
Dass diese Themen die aktuelle feministische Literatur bestimmen, lässt
sich schon an den Titeln erkennen. „Wut und Böse“ heißt Ciani-Sophia
Hoeders Buch, „Die Erschöpfung der Frauen“ von [1][Franziska Schutzbach]
das andere. Ann-Kristin Tlustys Kritikschrift „Süß“ ist im Titel eher vag…
steigt dann aber gleich zu Beginn mit der Feststellung ein: „Ich bin
Feministin. Ich bin wütend darüber, dass Frauen im Alter wie
selbstverständlich stärker unter Armut leiden als Männer.“
Die [2][Feminist*innen im deutschsprachigen Raum] sind also mütend –
aber gibt es dazu auch etwas Neues zu sagen? Audre Lorde, die alle drei
Autorinnen zitieren, beschäftigte sich in den Achtzigern bereits mit Wut
als Antwort auf Rassismus. Als Frau, zumal als Schwarze, der eigenen Wut
öffentlich Raum zu verschaffen, kostet allerdings Kraft. Kraft, die
erschöpfen kann, weshalb Lorde Selbstfürsorge als Akt politischer
Kriegsführung bezeichnet.
Hinzu kamen in den letzten Jahren bezeichnende Begrifflichkeiten. Activism
burnout oder auch rage fatigue versuchen die spezifischen Entkräftungen zu
beschreiben, die nicht nur Frauen berühren, bei ihnen jedoch oft auf ein
besonders niedriges Selbstwertgefühl treffen.
Die verschiedenen Dimensionen von weiblicher Erschöpfung beschreibt von den
drei Publikationen Franziska Schutzbach besonders profund. Die promovierte
Soziologin nimmt quellenreich die Geschichte des aufgeklärten Subjekts in
den Blick, das in Abgrenzung zu Frauen und den „Wilden“ entstand.
## Das schwache Geschlecht
Sie zeigt ganz nach Theweleit, wie Männlichkeit im Faschismus über
Ablehnung alles Schwachen konstruiert ist – und Frauen gelten als schwaches
Geschlecht. Der Blick von Männern auf Frauen, diesen hätten Frauen
internalisiert und er führe dazu, dass sie sich selbst und einander
abwerten.
Der Versuch von Frauen, sich aktiv von den zugeschriebenen Attributen zu
distanzieren, führe laut Schutzbach letztlich zu einer permanenten
Erschöpfung. Schutzbach versteht ihr Buch als Aufruf zur Imperfektion. Das
angstfreie Zulassen und Ausleben von Unterschiedlichkeit funktioniere aber
nur, wenn „Menschen ihre Sehnsucht nach Bezogenheit und ihre Bedürftigkeit
nach Umsorgung ernst nehmen, wenn sie zueinander in Beziehung stehen,
können sie sich einander verletzlich zeigen – und auch erschöpft.“
Am Ende des Buches wünscht sich Schutzbach eine Care Revolution. Die
Studienlage dazu ist dicht: Frauen übernehmen mehr Hausarbeit, mehr Pflege,
sie übernehmen im Beruf die Aufgabe, Teams zusammenzuhalten und in ihrer
Freizeit die Geschenke für alle Familienmitglieder zu kaufen.
## Sanft und süß
Dieses Bild der sich kümmernden Frau fasst die Journalistin Ann-Kristin
Tlusty mit dem Bild der sanften Frau zusammen. In ihrem Buch „Süß“
beschreibt sie neben der sanften auch die süße Frau, die allzeit sexuell
verfügbar ist, aber eben auch aktiv. Sie weiß, was sie will und wer
old-fashioned Blümchensex mag, also „vanilla“, gilt mitunter als frigide.
Und dann gebe es laut Tlusty noch die zarte Frau, die dünn und zerbrechlich
ist. Sanft, süß und zart, diese Kategorien kommen als Anspruch von außen
und bestimmen auch das weibliche Selbstbild.
Tlusty plädiert in „Süß“ aber nicht dafür, sich von diesem Selbstbild
abzugrenzen, aus „sanft“ ein „stark“ zu machen: „Ich weigere mich, an…
weibliche Eigenverantwortung zu appellieren und zum fröhlichen Empowerment
aufzurufen.“
Ihre starke Kritik gilt deshalb dem „Potenzfeminismus“. Sie meint damit
eine Art Karrierefeminismus, den bereits Angela McRobbie in „The Aftermath
of Feminism“ kritisiert hat. Anstatt zu fordern, dass gleichberechtigt
viele Frauen in Führungspositionen sind, möchte Tlusty eher Strukturen
schaffen, die eine „sanfte Gesellschaft“ ermöglichen.
Eine sanfte Gesellschaft baue „auf einer sozialen Infrastruktur auf, die
eine unkomplizierte, nicht profitgesteuerte Betreuung von Kindern, Kranken
und Pflegebedürftigen ermöglicht, anstatt alles Soziale vor allem ins
Private zu verlagern.“ Entsprechend solle der Care-Sektor komplett
vergesellschaftet werden. Sanftheit für alle ist eine schöne Utopie. Wie
dieses Konzept in einer Gesellschaft funktionieren soll, die auf Stärke
basiert, bleibt allerdings offen.
## Die Wut ist Triebmittel
Als wichtiges Triebmittel für Veränderungen macht Ciani-Sophia Hoeder die
Wut aus. Auf diese fokussiert sich die Journalistin in ihrem Buch „Wut und
Böse“. Die Gründerin des „Rosa Mag“, einem Online-Magazin für Schwarze
Frauen, möchte vor allem einen Mut zur Wut kultivieren.
Der Drang nach Veränderung ist bei Hoeder offensichtlich der Antrieb. Sie
weiß, dass sich Strukturen nicht von alleine ändern, sondern handfeste
Kämpfe dazugehören. Sie spricht mit Expert*innen wie etwa einer
51-jährigen Pflegerin, die sehr stolz auf den Titel „Bitch der Station“
ist. Die Lektüre von Hoeders Recherchen ist ein Gewinn, nur verwundert bei
dem gewählten Thema etwas, wie freundlich die Autorin schreibt.
Überhaupt schreiben alle drei Frauen sehr freundlich. Tlusty steigt in ihr
Buch zwar mit der Feststellung ein, dass sie wütend sei – um dann mit dem
Wunsch nach Dolce Vita für alle zu enden. Dabei brodelt es doch unten
drunter. Diese drei Autorinnen möchten im Grunde genommen endlich ihre
verfickte Ruhe haben und nicht mehr um Gleichberechtigung auf allen Ebenen
kämpfen müssen. Nur dass sie nicht verfickt schreiben. Warum eigentlich
nicht?
## „King Kong Theorie“
In Virginie Despentes’ „King Kong Theorie“ von 2006 spuckt der Leserin die
Wut zwischen jeder Zeile ins Gesicht. Despentes hält sich nicht damit auf,
Belege für die Ungleichbehandlung von Frauen zu recherchieren. Sie listet
nicht Gender Pay und Pension Gap auf, selbst der Gender Orgasm Gap wäre der
ehemaligen Sexarbeiterin egal. Sie rotzt aufs Patriarchat und scheißt auf
tone policing. Das ist das Wort dafür, wenn Leuten gesagt wird, sie hätten
sich im Ton vergriffen.
Diese drei deutschen Publikationen sind wohlformuliert und dies sicherlich
sehr bewusst. Wütende Frauen müssen sich immer fragen, welche Konsequenzen
ihr Handeln hat. Die Beispiele von Morddrohungen gegen unflätige
Feminist*innen sind bekannt. Die sanftere Sprache in diesen Büchern ist
so gesehen auch ein Schutzmechanismus.
Letztlich wollen alle drei Autorinnen auf ihre Weise weiblich konnotierte
Eigenschaften aufwerten und Frauen vom Nachahmen männlichen Dominanzgehabes
befreien. Funktionieren kann das nur, wenn Frauen auch Wut als aktiven Teil
ihrer Emotionalität verstehen.
20 Oct 2021
## LINKS
[1] /Debatte-um-Meinungsfreiheit/!5641494
[2] /Buchpreis-fuer-Antje-Ravik-Strubel/!5805982
## AUTOREN
Katrin Gottschalk
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