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# taz.de -- Buchpreis für Antje Rávik Strubel: Literarisch geformte Wut
> Hohe Einsätze in der literarischen Form: Die Autorin Antje Rávik Strubel
> erhielt am Montag den Deutschen Buchpreis für den Roman „Blaue Frau“.
Bild: Antje Rávik Strubel bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises in Fran…
Das war natürlich schon ein besonderer Augenblick. Gerade hatte am
Montagabend um 18 Uhr im Frankfurter Römer das Procedere zur Verleihung des
Deutschen Buchpreises begonnen, da kamen die Eilmeldungen aufs Handy:
[1][Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gefeuert.] Offiziell weil er den
Vorstand des Springer-Verlages belogen hat, tatsächlich vor dem Hintergrund
von #MeToo-Vorwürfen.
In der ganzen folgenden Stunde, in der man auf die Verkündung der
Preisträgerin wartete, konnte man da schon an [2][Antje Rávik Strubels
Roman „Blaue Frau“] denken. An beschwichtigende Sätze wie: „Sind solche
Anschuldigungen im Moment nicht sehr in Mode?“ Vor allem auch an die
unterdrückte und stets literarisch geformte und aufgefangene Wut, die an
manchen Stellen des Buches durchschimmert, in dem Antje Rávik Strubel mit
einer nie direkt beschriebenen Vergewaltigung als Glutkern das Leben einer
Frau und darüber hinaus das Zusammenleben in Europa nach dem Zusammenbruch
der Ost-West-Teilung schildert.
Und dann hatte sie den Deutschen Buchpreis tatsächlich gewonnen und
bezeichnete in ihrer souveränen Dankesrede, ganz kühl und sachlich, das
Bashing einer Haltung, die sich weigert, auf strukturelle Demütigungen mit
dem üblichen „Jetzt hab dich nicht so“ zu reagieren, als wenig subtile
Strategie zur Sicherung patriarchaler Bastionen.
## Der Mann erschien plötzlich ganz klein
Leute, die im Internet Shitstorms gegen Feministinnen organisieren,
bezeichnete sie als „Klingel-an-der-Tür-und-dann-weg-Männer“. Zugleich
verkörperte sie geradezu das Selbstbewusstsein einer Autorin, die in sich
selbst und ihrem Schreiben ruht und von normalisierenden identitären
Zuschreibungen nichts hält.
Ohne dass sie Reichelt nur im Blick hatte, erschien der Mann, während
zeitgleich die Nachrichtenlage und die soziale Medien wegen ihm
explodierten, plötzlich ganz klein.
Es wäre allerdings ganz falsch, „Blaue Frau“, jetzt als „Roman des Jahre…
ausgezeichnet, nur als „Roman über …“ zu lesen. Es ist kein direkter
#MeToo-Roman, allerdings schon ein Buch, das auf die heute akzeptierte
Sachlage, dass wir über sexuelle Gewalt reden müssen, mit literarischen
Mitteln reagiert. Mit Figuren, mit denen die Autorin beim Schreiben viel
Zeit verbracht und sie von allen Seiten aus betrachtet hat. Sehr
vielschichtig auch, wie viele unterschiedliche Lebensentwürfe von ost- und
mitteleuropäischen Frauen darin aufgeblättert werden.
Es kann etwas Wohlfeiles haben, die vielen Unwägbarkeiten eines
Juryprozesses bis hin zur Auswahl der einen Preisträgerin nachträglich mit
Sinn aufzuladen, aber etwas von einer Richtungsentscheidung schwingt hier
schon mit. Um Missverständnisse auszuschließen: Sie besteht keineswegs
darin, dass es hier und heute unbedingt ein #MeToo-Roman sein musste.
Sondern vielmehr darin, dass es angesichts der Lage um so einen
literarischen Ernst geht, der „Blaue Frau“ tatsächlich durchweht, und um
hohe Einsätze in der literarischen Form.
Die Form – die oft gleitenden Übergänge aus der Gegenwart in die
Erinnerung, die genau beschriebenen Details und wie abgelauschten Dialoge
–, sie lässt einen bei der Traumaverarbeitung der Hauptfigur, die die ganze
Zeit über im Zentrum bleibt, stets am Ball bleiben.
19 Oct 2021
## LINKS
[1] /Abgesang-auf-Julian-Reichelt/!5806003
[2] /Abgesang-auf-Julian-Reichelt/!5806003
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
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