# taz.de -- Verlegerin über feministische Krimis: „Eine gerechtere Welt ist … | |
> Die Hamburger Verlegerin Else Laudan hat ein Netzwerk für feministische | |
> Krimis mitgegründet. Ihr Anspruch ist, Konflikte auszutragen. | |
Bild: Will Unrecht sichtbar machen: Else Laudan vor ihrem Verlag | |
taz: Frau Laudan, als Sie 1963 in Berlin geboren wurden, war Else kein | |
typischer Name, oder? | |
Else Laudan: Nein. Und ich hieß tatsächlich auch nicht so. Else ist mein | |
Kampfname. In meinem Teenagerleben gab es eine krasse Zäsur mit | |
Schulwechsel. Zuvor war ich auf einem Berliner Elitegymnasium mit Latein | |
und Altgriechisch. Ich war dort kreuzunglücklich, hatte keinen sozialen | |
Kontext und wurde gemobbt. Ich habe mich nur in meinen Schmökern | |
wohlgefühlt und nicht in der wirklichen Welt. Kurz bevor ich die Schule | |
wechselte, sprach mich ein Kommilitone auf dem Schulhof an. Er war ein | |
Outlaw, von den Lehrer:innen gehasst, von den Schüler:innen | |
bewundert, lebte im Heim und war sehr selbstbewusst. Er sagte zu mir: „Wenn | |
du die Chance hast, neu anzufangen, dann reiß mal die Klappe auf. Dich wird | |
nie jemand respektieren, wenn du immer versuchst, den anderen zu gefallen.“ | |
Und dann haben Sie die Klappe aufgerissen? | |
Ich bin an die neue Schule gekommen und habe vom ersten Tag an versucht, | |
laut zu sein. Vorlaut. Das hat mir den Spitznamen „die kluge Else“ | |
eingebracht. Ich war hingerissen. Ich wollte eine Heldin sein, die | |
vorausgeht. Else ist für mich der Name des Aufbruchs. Ich habe dann alles | |
Mögliche ausprobiert, viel angefangen, vieles nicht fertig gemacht. Bis ich | |
meine Nische gefunden habe. | |
Die Nische feministischer Krimis? | |
Ja, meine Mutter Frigga Haug hat das Ariadne-Programm Mitte der 80er | |
gegründet. Da kamen aus englischen und amerikanischen Frauenverlagen | |
plötzlich feministische Krimis. Wir haben alle gern Krimis gelesen, wie die | |
meisten Frauen. | |
Frauen lesen gerne Krimis? | |
Ja, Kriminalromane werden zu 60 bis 70 Prozent von weiblichem Publikum | |
gelesen. Friggas Vision war eine feministische Landnahme in einem Genre, in | |
dem die Männer bis auf die eine strickende Dame völlig allein spielten. Das | |
hat mich sofort gecatcht. Zuvor war ich wild entschlossen, nie etwas mit | |
dem Verlag, mit dem ich ja aufgewachsen bin, zu tun zu haben. Das | |
Krimi-Projekt Ariadne hat mich aber auf Anhieb überzeugt, und ich habe es | |
später übernommen. | |
Warum Krimis? | |
Weil Krimis die radikalste Form der Gegenwartsliteratur sind. Sie erzählen | |
vom Härtesten, von Gewalt. In einer populären, leicht verständlichen Form. | |
Sie ermöglichen das Erzählen von unten, aus der weiblichen Perspektive. | |
Damit haben wir bei Ariadne ja Erfahrung: Frauen als Handelnde, deren | |
Lebensraum der Ort des Geschehens ist, als neue subversive Perspektive. | |
Also feministische Krimis als ein Erzählen von unten? | |
Im Patriarchat ist der sichere und saturierte Standpunkt immer weiß und | |
männlich. In unserer Kultur fehlt eine Hälfte der Erzählung, die weibliche, | |
fast völlig. Alle Menschen, die studieren, werden mit Klassikern, mit | |
männlichen Weltsichten vollgestopft. Die literarischen Heroen sind | |
männlich. Wir schaffen eine Literatur, in der Frauen diese Plätze | |
einnehmen: die Heldin, die Anti-Heldin, die Ermittlerin. | |
Warum eignen sich Krimis dazu, politische Themen zu verhandeln? | |
Alle Verbrechen haben einen politischen Hintergrund, sage ich. Direkt oder | |
indirekt. Die Pathologisierung des Verbrechens lenkt nur davon ab, was | |
Verbrechen wirklich ist. Ein Verbrechen ist ein Konflikt. Konflikte drehen | |
sich immer um Ressourcen und Macht. Jede Form von Gewalt wird ausgeübt, | |
weil es um Herrschaft geht. Es gibt blutige Gewalt, aber auch subtilere | |
Formen. Zum Beispiel, dass Menschen in erbärmlichen Verhältnissen leben | |
oder sich verbiegen müssen. Feministische Krimis eint eine starke Pflicht | |
zum Realismus. | |
Warum? | |
Damit das Unrecht sichtbar wird und wir erkennen können, was wir ändern | |
müssen. Feministische Krimis verfolgen das Ziel, dass eine gerechtere Welt | |
möglich ist, in der nicht einige wenige sich bereichern und andere | |
ausbeuten und unterdrücken, sondern alle kooperieren. | |
Haben Sie diese Positionen von Ihrer Mutter, der Frauenrechtlerin, | |
übernommen? | |
Nicht übernommen. Ich komme politisch woanders her. Meine Mutter ist | |
glühende Marxistin, sie ist marxistische Feministin. Ich bin keine | |
Marxistin, ich bin eine Leseratte und Marx spricht nicht mit mir. Wer mit | |
mir spricht, sind die Gesellschaftstheoretiker Gramsci und Bourdieu. | |
Warum? | |
Weil sie für mich gut lesbar sind und kompromisslos in ihrer Kritik an | |
jeder Form von Elite und Herrschaft. Beide gucken sich die Gesellschaft | |
wirklich an. Meine Mutter hat mir mit vier Jahren Lesen beigebracht, weil | |
sie nebenbei promoviert und habilitiert hat. Bücher waren meine Schutzzone | |
und meine Art, die Welt kennenzulernen. Als Kind hat mich das American | |
Indian Movement begeistert. Ich habe mich damit identifiziert, wie Native | |
Americans tapfer, gemeinschaftlich und eins mit der Natur gegen grausame | |
Unterdrückung gekämpft haben. Das war Teil meiner politischen | |
Selbstfindung. | |
Wie sind Sie an diese Bücher gekommen? | |
Meine Eltern sind oft mit mir nach Ost-Berlin gefahren. Den Zwangsumtausch | |
von 25 Mark durfte ich in den Buchhandlungen verballern. Dadurch bin ich an | |
die Kinderschmöker der DDR-Literatur gekommen und hab’ versucht, mit einem | |
Auslands-Abo eine indianische Zeitung zu lesen. | |
Sie sind mit 16 von der Schule geflogen, warum? | |
Ich habe versucht, eine Revolution anzuzetteln. Auf einer Wanderreise haben | |
die Lehrer:innen Mist gebaut. Sie haben vollkommen unverhältnismäßig | |
durchgegriffen und einen Schüler ohne Verwarnung nach Hause geschickt. Wir | |
haben kurzerhand entschieden, alleine weiterzureisen. Ich wusste, dass ich | |
gerade dabei war, mir meine Zukunft zu verbauen. | |
Das war Ihnen bewusst? | |
Ja, aber es musste sein. Bis zu diesem Konflikt war ich davon ausgegangen, | |
dass ich Lehrerin werde. In den Konflikt war meine Lieblingslehrerin | |
involviert und ich habe erlebt, wie sie all ihr Blühen und Leuchten verlor, | |
weil sie sich in eine Durchsetzerin verwandeln und sich dem beugen musste, | |
was die Herrschenden wollen. Da war mir klar: In diesem System werde ich | |
meinen Beruf nicht suchen. Die nächsten zehn Jahre wusste ich nicht, was | |
ich werde. Ich hab alles Mögliche ausprobiert. | |
Ihre Mutter hat Sie dann zu einem Studium motiviert? | |
Ja, sie hat mich überredet. Sie lehrte an der HWP, der Hamburger | |
Universität für Wirtschaft und Politik, die es heute nicht mehr gibt. Dort | |
konnte man ohne Abitur eine Aufnahmeprüfung machen. Im Januar 1988 war ich | |
in Berlin in einer Situation, in der es für mich nicht weiterging. Ich war | |
krank. Meine Mutter war unglaublich für mich da und sagte: „Komm nach | |
Hamburg, studier einfach und guck was draus wird.“ Ich hatte mir fest | |
vorgenommen, nicht bei meiner Mutter zu studieren, so wie ich mir auch | |
vorgenommen hatte, nichts mit dem Verlag zu tun zu haben. BWL und VWL waren | |
aber nichts für mich, ich hab dann doch Soziologie studiert, bei meiner | |
Mutter und es war mir ein Fest. | |
Es ist auffallend, wie oft Ihre Mutter vorkommt. | |
Absolut! Sie ist ja eine schillernde Person mit gewaltigem Charisma. Unser | |
Verhältnis hatte krasse Auf und Abs. Zwischen 16 und 24 habe ich nur das | |
Nötigste mit ihr gesprochen. Wenn ich mal zum Essen hin musste, weil ich | |
mich so lange nicht gemeldet hatte, oder wenn ich Geld brauchte. In meinen | |
Vierzigern haben wir dann systematisch und heiter unsere gemeinsame | |
Geschichte ergründet. Wir haben festgestellt, dass wir sie komplett | |
unterschiedlich wahrgenommen hatten. Das waren innige Gespräche. Wir waren | |
uns immer nah, weil sie mich wahnsinnig geliebt hat, aber es gab auch | |
erbitterte Kämpfe. Ich hatte große Loyalitätskrisen und | |
Abgrenzungsbedürfnisse. | |
In welchen Punkten grenzen Sie sich ab? | |
Ich möchte Konflikten nicht ausweichen, sondern in sie reingehen und sie | |
lösen. Ich möchte nie gefügig sein. Und ich setze nicht auf Theorie. Ich | |
setze auf das Kulturelle, auf Respekt, Vernetzung und Kommunikation mit dem | |
Ziel, Gesellschaft aktiv gemeinsam zu machen. | |
Das Ariadne-Programm haben Sie von Ihrer Mutter übernommen. Das Netzwerk | |
für feministische Krimiliteratur HerLand haben Sie dann selbst gegründet. | |
Mitgegründet! Das ist wichtig. Es war eine unglaublich bereichernde | |
Erfahrung, mit Autorinnen aus verschiedenen Generationen dieses Netzwerk | |
aufzubauen. Das hat uns alle so viel stärker gemacht und uns eine eigene | |
Kultur ermöglicht, in der wir mit Exzellenzanspruch wirken können. | |
HerLand bezeichnet sich unter anderem als erfolgreich. Wie funktioniert | |
Erfolg in einer literarischen Nische? | |
Erfolgreich ist unser Postulat gegen Bescheidenheit. Frauen sind zu lange | |
bescheiden gewesen und sind heute noch oft zu bescheiden. Wir sind | |
erfolgreich, weil wir charismatisch und aufrecht sind. Unser Erfolg ist | |
nicht, ob wir auf einer Bestsellerliste stehen, sondern dass wir unsere | |
Stärken zusammenlegen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Unser Erfolg | |
ist der Ausbruch aus dem Konkurrenzprinzip. | |
25 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Carla Geiger | |
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