# taz.de -- Abschaffung der Witwenrente: Charmant in die Altersarmut | |
> Für viele ist die Hinterbliebenenrente eine Aufstockung für den | |
> Lebensunterhalt. Eine Kürzung würde nur eins bedeuten: verschärfte | |
> Altersarmut. | |
Bild: Die Wirtschaftsweise Schnitzer fordert die Abschaffung der Witwenrente | |
Über die Rente wird permanent diskutiert, aber ein Thema blieb bisher | |
relativ unbeachtet: die Witwenrente. Doch nun hat die Chefin der | |
Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer [1][eine Reform vorgeschlagen,] die | |
darauf hinauslaufen würde, die Witwenrenten langfristig zu kürzen. | |
Konkret stellt sich Schnitzer vor, dass es zu einem „Rentensplitting“ | |
kommt. Dabei werden die Rentenansprüche der Ehepartner hälftig geteilt – | |
und zwar nur die Ansprüche, die tatsächlich während der Ehe erworben | |
wurden. Frühere Beiträge werden nicht berücksichtigt. Wenn dann ein Partner | |
stirbt, erhält der Hinterbliebene diese Hälfte sowie die eigenen Ansprüche, | |
die vor der Ehe entstanden sind. | |
Auch jetzt ist ein Rentensplitting schon möglich, aber Schnitzer schlägt | |
vor, dass es verpflichtend wird. Faktisch würden damit die Witwenrenten | |
gekürzt, denn bisher erhalten Hinterbliebene im Normalfall 55 bis 60 | |
Prozent der Rente ihres verstorbenen Partners – plus die eigene Rente. | |
Allerdings sind konkrete Berechnungen schwierig, wie groß die Nachtteile | |
tatsächlich wären, weil derzeit das eigene Einkommen des Hinterbliebenen | |
bei der Witwenrente berücksichtigt wird. | |
## Nur eine Minderheit war nie erwerbstätig | |
Wie auch immer: Klar ist, wer garantiert verlieren würde. Dies wären alle | |
Ehepartner, die selbst nicht arbeiten. Das ist gewollt. „Di[2][e jetzige | |
Regelung reduziert die Anreize, eine eigene Beschäftigung aufzunehmen“, | |
sagte Schnitzer dem Spiegel.] „Außerdem tragen so alleinstehende | |
Beitragszahlende zur Finanzierung von Rentenansprüchen für nicht | |
erwerbstätige Partner bei, die selbst nicht in das System einzahlen.“ | |
Selbst wenn es zu dieser Reform käme, würde sie nicht sofort greifen. | |
Stattdessen soll es lange Übergangsfristen geben, damit sich alle | |
Arbeitnehmer auf die künftigen Realitäten einstellen können. Die heutigen | |
Rentner müssten also nicht fürchten, dass sie plötzlich ein Teil ihres | |
Einkommens verlieren. | |
Auf den ersten Blick wirkt es charmant, wenn nicht alle Beitragszahler | |
dafür aufkommen müssten, dass einzelne Ehepartner lieber zu Hause bleiben | |
und nicht arbeiten. Dabei wird jedoch übersehen, dass nur eine Minderheit | |
der Hinterbliebenen nie erwerbstätig war. 2022 bezogen etwa 5,3 Millionen | |
Menschen eine Witwenrente, wovon aber nur etwa 1,2 Millionen keine eigenen | |
Rentenansprüche hatten. Der Rest hat früher gearbeitet – und erhält die | |
Witwenrente zusätzlich. | |
## Rentenkassen benötigen mehr Geld | |
Diese Zusatzgelder werden dringend gebraucht, damit die alten Menschen | |
überhaupt über die Runden kommen: 2022 erhielten Männer, die auch eine | |
Witwerrente erhielten, im Schnitt 1.717 Euro netto. Frauen mit eigener | |
Rente und Witwenrente bekamen monatlich 1.573 Euro ausgezahlt. | |
Dies sind Durchschnittswerte. Es gibt viele Rentner, die weit weniger | |
erhalten. Das große Thema lautet also nicht Witwenrente – sondern | |
Altersarmut. Die letzte Statistik stammt vom 1. Juli 2021: Als arm galten | |
damals Rentner, die im Monat weniger als 1.135 Euro bekamen. Das waren rund | |
18 Prozent der Rentner, also mehr als 3,5 Millionen Menschen, wie die | |
Bundesregierung jüngst [3][auf eine Anfrage der Linksfraktion] mitgeteilt | |
hat. Und die Zahl der armen Rentner wird weiter steigen, nicht sinken. | |
Die Rentenkassen benötigen mehr Geld, wenn Alter nicht zu einem | |
existenziellen Risiko werden soll. Doch die Bundesregierung hat gerade | |
beschlossen, den staatlichen Zuschuss an die Rentenkassen zu deckeln, um | |
die „Schuldenbremse“ einzuhalten. Das kann gar nicht funktionieren. Denn es | |
ist ein Skandal, wenn in einem reichen Land sehr viele Rentner arm sind – | |
obwohl sie diesen Wohlstand aufgebaut haben. Die Rente wird ein Dauerthema | |
bleiben, ganz unabhängig davon, wie die Witwenrente konkret aussieht. | |
9 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wiwo.de/finanzen/vorsorge/debatte-um-die-witwenrente-warum-wirt… | |
[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/rente-wirtschaftsweise-monika-schnitzer-w… | |
[3] https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/altersarmut-mehr-als… | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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