# taz.de -- Ungleichheit in der Arbeitswelt: Gute Jobs wirken bis ins Alter | |
> Längere Lebensarbeitszeit verstärkt Ungleichheit, sagen | |
> Demografieforscher:innen. Besserverdienende können besser länger | |
> arbeiten. | |
Bild: Kann man das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung anpass… | |
BERLIN taz | Die Rechnung ist populär unter Rentenreformer:innen: Wenn sich | |
die Lebenserwartung verlängert, müsste auch der Renteneintritt später | |
erfolgen dürfen. Was wiederum die Rentenkassen entlasten könnte. Teile der | |
Union und [1][Ökonom:innen] schlagen daher vor, das Renteneintrittsalter | |
an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. | |
Diese Koppelung könnte aber Ungleichheiten befördern. Denn es sind bisher | |
schon vor allem besser verdienende Beschäftigte, die länger arbeiten. Dies | |
geht aus einer neuen Studie [2][des Max-Planck-Instituts] für demografische | |
Forschung in Rostock hervor. | |
„Es wird länger gearbeitet, aber Geringverdienende sind dabei | |
benachteiligt“, sagt Studienleiter Christian Dudel der taz. Laut der | |
Erhebung hat die Lebensarbeitszeit in den vergangenen Jahrzehnten zugelegt. | |
Westdeutsche Männer des Jahrgangs 1955, die in akademischen oder | |
Leitungspositionen tätig waren, arbeiteten im Schnitt noch achteinhalb | |
Jahre nach ihrem 55. Lebensjahr, bevor sie in den Ruhestand wechselten. Die | |
westdeutschen Männer, die nur angelernte Jobs ausübten, waren hingegen nur | |
noch fünf Jahre jenseits des 55. Lebensjahres berufstätig. | |
Bei ostdeutschen Männern und Frauen sowie bei westdeutschen Frauen waren | |
die Lebensarbeitszeiten insgesamt kürzer als bei den westdeutschen Männern. | |
Auch dort aber waren die gut Ausgebildeten auf höheren Positionen länger | |
tätig als niedrig Qualifizierte in Helferjobs. Die Studie bezog sich auf | |
Daten aus dem Mikrozensus von 1996 bis 2019. „Die Aufgabe für die Zukunft | |
besteht darin, ein längeres Erwerbsleben zu ermöglichen, ohne aber die | |
Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Beschäftigtengruppen zu | |
vergrößern“, sagt Dudel. | |
Warum genau die Menschen in angelernten Jobs früher ausschieden, ob der | |
Grund eine Arbeitslosigkeit war, eine Krankheit oder eine | |
Erwerbsminderungsrente oder eine Rente mit hohen Abschlägen, geht aus der | |
Studie allerdings nicht hervor. | |
Aber bedeutet ein längeres Leben auch automatisch längere gesunde | |
Arbeitsjahre? Man gehe davon aus, dass die Lebensarbeitszeit jenseits des | |
55. Lebensjahres zu 90 Prozent aus sogenannter „gesunder Lebensarbeitszeit“ | |
und zu zehn Prozent aus „ungesunder Lebensarbeitszeit“ bestehe, sagte | |
Dudel. | |
Unter „ungesunder Lebensarbeitszeit“ verstehe man dabei Berufsjahre, in | |
denen die Beschäftigten im Alltag altersbedingt schon unter Einschränkungen | |
leiden, aber immer noch berufstätig sind, so Dudel. Das Verhältnis zwischen | |
„gesunder“ und „ungesunder“ Lebensarbeitszeit werde laut der Prognosen … | |
dann beibehalten, wenn sich die Lebenserwartung verlängere. | |
## Weniger Geld, kürzeres Leben | |
Es gibt allerdings ebenfalls Ungleichheiten in der Lebenserwartung: | |
Menschen mit niedrigen Einkommen haben eine kürzere Lebenserwartung und | |
stehen daher auch kürzer im Rentenbezug. Nach Daten des | |
[3][Sozio-ökonomischen Panels (SOEP)] lag die mittlere Lebenserwartung von | |
Männern der niedrigsten Einkommensgruppe bei Geburt stolze 8,6 Jahre unter | |
der von Männern der höchsten Einkommensgruppe. Auch bei Frauen gibt es | |
diese Unterschiede, die aber nicht so gravierend sind. | |
Die Frage stellt sich, inwieweit es arbeitsmedizinisch möglich ist, | |
zwischen belastenden und weniger belastenden Tätigkeiten zu differenzieren | |
und dies auch in der künftigen Rentenpolitik zu berücksichtigen. | |
Körperliche und mentale Belastungen objektiv zu quantifizieren, stellt sich | |
als sehr schwierig dar. „Die Forschung steht damit erst am Anfang. Das wird | |
in den kommenden Jahren womöglich eine zunehmende Rolle spielen“, sagt | |
Dudel. | |
Ein Problem besteht darin, dass sich Belastungen auch bei ansonsten | |
gleichen Tätigkeiten [4][deutlich unterscheiden] können, auch weil sie von | |
der jeweiligen Wochenarbeitszeit, der Führungskultur und Organisation im | |
Unternehmen und der subjektiven Resilienz abhängen. | |
Die [5][Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin] hat in | |
Zusammenarbeit mit der Leuphana Universität Lüneburg einen Late Life | |
Workplace Index (LLWI) entwickelt, an dem sich Unternehmen orientieren | |
können, wenn sie ein altersgerechtes Arbeitsumfeld bieten wollen. Dabei | |
spielen ergonomische Erleichterungen, ein wertschätzender Führungsstil und | |
altersgerechte Arbeitszeiten eine entscheidende Rolle. | |
31 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Vorschlag-von-Oekonomen/!5855743/ | |
[2] https://www.demogr.mpg.de/de/news_events_6123/news_pressemitteilungen_4630/… | |
[3] https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/gesundheit… | |
[4] /Arbeitsmarktforscher-zu-Renteneintritt/!5793852/ | |
[5] https://www.baua.de/DE/Forschung/Forschungsprojekte/f2533.html | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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