| # taz.de -- Zähes Ringen um neues Asyl-System: EU-Staaten einigen sich auf Ref… | |
| > Nach stundenlangen Verhandlungen einigen sich die EU-Innenminister auf | |
| > einen bitteren Kompromiss. Der Zugang für Geflüchtete soll verschärft | |
| > werden. | |
| Bild: Im Camp für Geflüchtete auf der griechischen Insel Samos: Der Zugang zu… | |
| Berlin taz | Zwölf Stunden haben sie gerungen, Italien und Griechenland | |
| drohten bis zuletzt mit Abbruch. Doch nun steht er – der [1][Kompromiss zur | |
| Asylreform]. Die 27 Innenminister der EU haben sich in Luxemburg geeinigt. | |
| Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von einem „historischen | |
| Ergebnis“. | |
| Nun sei gelungen, woran die EU seit der Flüchtlingskrise 2015 scheiterte: | |
| einen gerechten Ausgleich zwischen den Ankunftsländern rund um das | |
| Mittelmeer und den Aufnahmeländern im Norden zu finden. Der Deal soll die | |
| Krise an den Außengrenzen entschärfen und die Verteilung der Flüchtlinge | |
| fairer machen. | |
| Er könnte aber krachend scheitern. Denn im Zuge der Verhandlungen mussten | |
| die EU-Staaten so viele Kröten schlucken, dass das Reformpaket wieder | |
| auseinanderfallen könnte. Auch die anstehenden Verhandlungen mit dem | |
| EU-Parlament werden schwierig; im beginnenden Europawahlkampf zeichnen sich | |
| Turbulenzen ab. | |
| Dabei sind sich die EU-Politiker – [2][mit Ausnahme der Grünen] und Linken | |
| – über das Grundprinzip einig: Die Asylverfahren sollen wegen der | |
| zunehmenden irregulären Migration verschärft werden. Die „Festung Europa“ | |
| wird ausgebaut – die Innenminister begründen das damit, die Reisefreiheit | |
| im Schengenraum sichern zu wollen. | |
| ## Härterer Umgang mit Menschen | |
| Neu ist vor allem der härtere Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. | |
| Für sie soll es Schnellverfahren geben, in denen ein Asylantrag inhaltlich | |
| geprüft wird. Das betrifft Menschen aus Ländern, bei denen die | |
| durchschnittliche Anerkennungsrate der Asylanträge in der EU unter 20 | |
| Prozent liegt oder die aus sogenannten sicheren Herkunftsländern stammen. | |
| Die 20-Prozent-Quote greift etwa bei Ägypten, Bangladesch oder Nigeria. | |
| Als sichere Herkunftsländer dürften etwa Marokko, Tunesien oder Algerien | |
| eingestuft werden. | |
| Menschen aus diesen Ländern sollen nach Ihrer Einreise in die Europäische | |
| Union dann für die gesamte Dauer Ihres Asylverfahrens in den streng | |
| kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen an der Außengrenze bleiben. Sie gelten | |
| dann als offiziell nicht in die EU eingereist. | |
| Allerdings – und das erwähnt die offizielle Ratsmitteilung nicht – soll dem | |
| Ganzen eine sogenannte Zulässigkeitsprüfung vorgeschaltet sein: Als | |
| unzulässig gelten dabei Anträge, wenn der Antragsteller über einen | |
| „sicheren Drittstaat“ eingereist ist. Dann gibt es keine Asylprüfung, und | |
| eine direkte Abschiebung in den Drittstaat ist möglich. Die | |
| Schutzsuchenden sollen dann dort Asyl beantragen. | |
| Viele der potenziellen „sicheren Drittstaaten“ bieten jedoch keinen Schutz. | |
| Die Türkei etwa schiebt Afghan:innen in den Iran und nach Afghanistan | |
| ab. Und die EU dürfte versuchen, viele Nachbarstaaten als sichere | |
| Drittstaaten einzustufen – neben der Türkei etwa Bosnien, Marokko, Tunesien | |
| oder Serbien. Von dem Grenzverfahren können dann auch Menschen aus Ländern | |
| mit hohen Anerkennungsquoten – etwa Syrien, Afghanistan, Somalia, Iran oder | |
| Eritrea – betroffen sein. | |
| ## Neue Regeln sollen Dublin-Verordnung ersetzen | |
| Die geplante Internierung in den Lagern an den EU-Grenzen kann dauern. | |
| Inklusive Abschiebung „soll“ sie „nicht mehr als 6 Monate betragen“, he… | |
| es im Ratsbeschluss. Am vergangenen Wochenende hatte die grüne | |
| Außenministerin Annalena Baerbock noch gesagt, sie wolle „sicherstellen, | |
| dass niemand länger als einige Wochen im Grenzverfahren stecken bleibt“. | |
| Die Staaten an den Außengrenzen sind künftig verpflichtet, | |
| [3][Internierungslager für die neuen Grenzverfahren] zu schaffen. Wie viele | |
| Plätze diese pro Land umfassen müssen, wird nach einem bestimmten Schlüssel | |
| gemäß der Ankünfte festgelegt. Insgesamt sollen EU-weit zunächst 30.000 | |
| Plätze entstehen. Allein in Griechenland wurden bereits Lager mit etwa | |
| 5.000 Plätzen geschaffen. | |
| Die neue „Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement“ soll die | |
| bisherige Dublin-Verordnung ersetzen. Die legt fest, dass in der Regel der | |
| EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, in den ein Schutzsuchender | |
| einreist. Allerdings sind die Bedingungen innerhalb der EU sehr | |
| unterschiedlich. Viele Flüchtlinge reisen deshalb in andere EU-Staaten | |
| weiter. Die Möglichkeiten dieser Länder, Menschen ins Land der ersten | |
| Einreise zurückzuschicken, sollen nun erleichtert werden. Damit wird die | |
| bisher bestehende Möglichkeit, hierzulande mit einem Kirchenasyl Zugang zu | |
| einem Asylverfahren in Deutschland zu erlangen, stark erschwert oder | |
| entfällt womöglich ganz. | |
| ## Hardliner ließen nicht locker | |
| Überraschend ist, dass die sogenannten Grenzverfahren auch für Familien | |
| mit Kindern gelten sollen. Nancy Faeser wollte dies eigentlich verhindern. | |
| Doch sie hat ihre eigene rote Linie überschritten, um den Widerstand | |
| besonders restriktiver Länder wie Malta, Slowakei oder Bulgarien zu | |
| überwinden. Auch Italien und Österreich forderten eine harte Linie bei den | |
| Grenzverfahren. | |
| Faeser lenkte ein. Sie unterzeichnete aber eine Zusatzerklärung, die | |
| Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn auf den Weg brachte. „Deutschland, | |
| Irland, Luxemburg und Portugal weisen darauf hin, dass uns Ausnahmen vom | |
| Grenzverfahren für Minderjährige und ihre Familienangehörigen sehr wichtig | |
| bleiben“, heißt es darin. | |
| [4][Doch die Hardliner ließen nicht locker]. Sie wollen abgelehnte | |
| Asylbewerber künftig auch in Nicht-EU-Länder abschieben. Einzige | |
| Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. | |
| Auch diese Forderung war umstritten. Reicht ein einfacher Transit, oder | |
| muss der Asylbewerber Verwandte in dem Drittland haben? | |
| Am Ende einigte man sich darauf, dass die Entscheidung bei jenem EU-Land | |
| liegen soll, das für das Asylverfahren zuständig ist. Italien feiert dies | |
| als Erfolg. Nun kann die rechtsradikale Regierung abgelehnte Asylbewerber | |
| auch nach Tunesien zurückschicken. Um den Weg frei zu machen, ist ein | |
| eigenes Rückführungsabkommen geplant. | |
| Als Ausgleich für die harten Regeln an den Außengrenzen soll es in der EU | |
| solidarischer zugehen. Die Aufnahme von Asylbewerbern soll künftig nicht | |
| mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Zunächst sollen 30.000 | |
| Ankommende pro Jahr aus den Außengrenzstaaten nach einem Schlüssel | |
| umverteilt werden. | |
| ## Härtere Regeln statt Solidarität | |
| Allerdings müssen die Staaten die ihnen zugewiesenen Menschen nicht | |
| wirklich aufnehmen. Länder, die keine Migranten aufnehmen wollen, würden | |
| zu Ausgleichszahlungen gezwungen. Im Gespräch ist eine „Kopfprämie“ von | |
| 20.000 Euro. Das kann auch in Form von Beiträgen für Grenzschutzausgaben | |
| oder durch die Entsendung eigener Grenzschützer geschehen. „Die | |
| Mitgliedstaaten können nach eigenem Ermessen entscheiden, welche Art von | |
| Solidaritätsbeitrag sie leisten“, heißt es im Ratsbeschluss. | |
| Tschechien hat bereits angekündigt, sich nicht am Solidaritätsmechanismus | |
| zu beteiligen. Polen und Ungarn sind ohnehin nicht mit im Boot – sie | |
| lehnten den Deal ab. Auch Malta und die Slowakei haben Vorbehalte. Deshalb | |
| bleibt unklar, ob es tatsächlich zu einer faireren Verteilung kommen wird. | |
| Am Ende könnten vor allem die härteren Regeln umgesetzt werden, während die | |
| Solidarität wieder einmal auf der Strecke bleibt. Zunächst muss das neue | |
| Asylregime aber durch das Europaparlament. Dort geben die Anhänger einer | |
| fairen „europäischen Lösung“ den Ton an; aber auch die Hardliner haben | |
| ein Wörtchen mitzureden. | |
| ## Schirdewan spricht von einer „Bankrotterklärung“ | |
| So sprach sich Manfred Weber (CSU), Chef der größten Parlamentsfraktion, | |
| für eine harte Linie aus. „Wenn es uns gelingt, eine europäische Rechtslage | |
| zu schaffen, die wirklich funktioniert, dann werden die Zahlen (der | |
| Flüchtlinge) deutlich zurückgehen“, sagte er im Bayerischen Rundfunk. Für | |
| jeden, der versuche, illegal nach Europa zu kommen, sei künftig „an der | |
| Außengrenze Schluss“. | |
| Der Co-Vorsitzende der Europäischen Linksfraktion und Parteivorsitzende der | |
| Linken, Martin Schirdewan, sprach dagegen von einer „Bankrotterklärung“. Er | |
| sei „fassungslos“, dass die Grünen in Berlin für den Deal wärben. Sie | |
| würden sich „vor der versammelten Rechten Europas in den Staub“ werfen. | |
| Allerdings gingen auch die Grünen im EU-Parlament auf Distanz. „Die | |
| Position des Rats widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und | |
| der Achtung der Rechtsstaatlichkeit“, erklärte Terry Reintke, Co-Chefin der | |
| Grünen-Fraktion. „Es kann keine Einigung um jeden Preis geben“, warnte sie. | |
| Das Verfahren soll im Februar 2024 abgeschlossen sein, drei Monate vor den | |
| Wahlen zum Europäischen Parlament. | |
| 9 Jun 2023 | |
| ## LINKS | |
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| [2] /Asylpolitik-der-Gruenen/!5935900 | |
| [3] /Innenministerinnen-zu-EU-Asylreform/!5936290 | |
| [4] /Einigung-der-EU-Innenminister/!5939569 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| Eric Bonse | |
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