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# taz.de -- Einigung der EU-Innenminister: Grüne fetzen sich über Asylpolitik
> Die EU-Innenminister haben sich auf ein schärferes Asylrecht verständigt,
> die Bundesregierung stimmt zu. Die Grünen streiten wie lange nicht.
Bild: Grünen-Parteichefin Ricarda Lang lehnt die Asyl-Einigung ab
Berlin taz | Nach der Einigung der EU-Innenminister*innen auf eine
[1][Verschärfung des Asylrechts] ist bei den Grünen ein scharfer
innerparteilicher Konflikt ausgebrochen. „Diese Asylverschärfung ist nicht
tragbar“, meint die schleswig-holsteinische Sozialministerin Aminata Touré.
„Aus humanitären und geostrategischen Gründen darf diese
Asylrechtsverschärfung nicht kommen“, sagt Toni Hofreiter, der Vorsitzende
des Europa-Ausschuss im Bundestag. „Ich werde dafür kämpfen, dass diese
Positionen in den Verhandlungen mit dem Europaparlament nicht Gesetz
werden“, kündigt der Europaabgeordnete Erik Marquardt an. Timon Dzienus,
Sprecher der Grünen Jugend, twittert: „Ich werde das so nicht akzeptieren.“
Und Svenja Borgschulte, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration
und Flucht meint: „Wir müssen Annalena anzählen.“ Gemeint ist Annalena
Baerbock, die als Außenministerin den Kompromiss für die Bundesregierung
mitverhandelt – und am Donnerstag ihre Zustimmung gegeben hat.
Es ist ein Konflikt in einer Schärfe, den es bei den Grünen lange nicht
gab. Und: Es sind nicht nur, aber vor allem Grüne vom linken Flügel, die
gegenüber den Medien und in den sozialen Netzwerken ihrem Unmut Luft
machen. Man habe sich trotz diverser Zumutungen bislang loyal verhalten,
sagt einer von ihnen. Der Asylkompromiss aber könne der eine Tropfen sein,
der das Fass zum überlaufen bringe. Der alte Flügelstreit der Grünen, er
scheint zurück zu sein.
Die grüne Einigkeit brökelt
Dazu passt: Auch die beiden Vertreterinnen des linken Flügels in der
sechsköpfigen Grünen-Spitze lehnen die Einigung ab. Die Parteivorsitzende
Ricarda Lang und Fraktionschefin Katharina Dröge sind der Ansicht,
Deutschland hätte dem Kompromiss nicht zustimmen dürfen. Und sie haben dies
auch öffentlich kundgetan. Das ist neu – und bemerkenswert. Bislang hatte
sich die so genannte Sechser-Runde darauf verständigt, sich als
verantwortungsbewusste und staatstragende Kraft zu positionieren – und in
maximaler Übereinstimmung zu kommunizieren.
Jetzt aber sind zwei aus der Runde erstmals nicht bereit, eine Einigung in
der Ampel, die sie kritisch sehen, öffentlich mitzutragen. Das mag auch
taktische Gründe haben. Es dürfte aber auch daran liegen, dass für viele
Grünen die Themen Flüchtlingspolitik und Menschenrechte
Herzensangelegenheiten sind, die klar für die Werte der Partei stehen. Und
für viele in der Partei ist die Entscheidung vom Donnerstag mit diesen
Werten nicht vereinbar – und auch nicht mit dem Koalitionsvertrag.
Ricarda Lang veröffentlichte umgehend nach der Einigung auf Twitter eine
abwägende Stellungsnahme, mit dem Ergebnis, „dass Deutschland bei dem
Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen.“ Sie
schrieb aber auch: „Das ist eine verdammt schwierige Entscheidung.“ Deshalb
habe sie Respekt für alle, die zu einem anderen Entschluss gekommen seien.
Wie ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour. Der wägt etwa zeitgleich auf
Twitter ab, zieht aber eine andere Schlussfolgerung: „In der Gesamtschau
komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger
Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen.“ Die Spitze der grünen
Partei ist in dieser zentralen Frage also gespalten. Genauso sieht es bei
den beiden Fraktionsvorsitzenden aus.
Bundesregierung konnte sich nicht durchsetzen
Die EU-Innenminister*innen hatten sich am Donnerstagabend auf eine
Verschärfung des Asylrechts verständigt. Unter anderem sieht die Eingung
Verfahren an der EU-Außengrenze vor, die dem eigentlichen Asylantrag
vorgeschaltet werden. Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen
dafür eingesetzt, dass zumindest Familien mit Kindern unter 18 Jahren davon
ausgenommen werden, auch die Grünen hatten diese Forderung stark gemacht.
Durchsetzen konnten sie dies nicht.
Bis spät in die Nacht haben die Grünen in Videoschalten die Einigung der
EU-Innenminister*innen diskutiert, am Freitagmorgen ging es weiter. Dabei,
so ist aus der Partei zu hören, sei es extrem kontrovers zugegangen. „Einen
so harten inhaltlichen Konflikt habe ich noch nie erlebt“, sagt etwa Rasmus
Andresen. Er ist seit 14 Jahren Abgeordneter, erst in Kiel, jetzt im
EU-Parlament.
Außenministerin Baerbock, die gerne ihre wertegeleitete Außenpolitik
betont, ist gerade in Lateinamerika unterwegs. In Kolumbien strich sie
einen Teil ihres Programms, um an den Schalten teilzunehmen und für den
Kompromiss zu werben. Auch verschickte sie einen fünfseitigen Brief an alle
Mitglieder, der der taz vorliegt. Darin heißt es: „So schwierig der
Kompromiss ist, ich bin überzeugt, dass er richtig ist: Um zu verhindern,
dass Europa auseinanderdriftet und um sicherzustellen, dass wir gemeinsame
geordnete Verfahren und humane Verfahren haben.“ Ähnlich hat sich auch
Vizekanzler Robert Habeck geäußert.
Baerbock schreibt auch: „Am Ende kam es auf die deutschen Stimmen an. Ein
Nein oder eine Enthaltung Deutschlands hätte bedeutet, dass GEAS
gescheitert wäre.“ Manche Grüne macht auch genau das wütend: Dass
Deutschland die aus ihrer Sicht eindeutigen Verschlechterungen beim
europäischen Asylrecht hätte verhindern können – sie aber mit Unterstützu…
der Grünen ermöglicht haben.
„Ein historischer Fehler“
„Verfahren an den EU-Außengrenzen führen nicht zu einer Lösung, sondern
folgen einer rechtspopulistischen Diskursverschiebung“, sagte etwa der
Europaabgeordnete Andresen. „Es gab einen Durchmarsch rechter Positionen“,
urteilt auch Marquardt. „Man verschärft Probleme, setzt auf Abschreckung
und Abschottung und verstetigt Chaos und Leid.“
Julian Pahlke, der früher Seenotretter war und für die Grünen im Bundesatg
sitzt, spricht von „einem historischen Fehler“ und schreibt: „Heute ist
vielleicht der bitterste Tag in meinem politischen Leben.“ Ähnlich lesen
sich auch Stellungnahmen von anderen, gerade jüngeren Abgeordneten.
Mehr als 700 Grüne hatten schon im Vorfeld in einem Brief von der grünen
Spitze gefordert, solchen Kompromissen nicht zuzustimmen. Die Asylpolitik
dürfte nun zum bestimmenden Thema auf dem Länderrat, einer Art kleiner
Parteitag der Grünen werden, der in acht Tagen in Bad Vilbel bei Frankfurt
zusammenkommt. Anders als ursprünglich geplant, wird neben Habeck auch
Baerbock erwartet. Am Montag will der Bundesvorstand seinen Leitantrag zum
Thema noch einmal überarbeiten. Bislang heißt es darin: „Die im Rahmen der
GEAS-Reform geplante Verschärfung von Grenzverfahren an den Außengrenzen
sehen wir kritisch.“
Der Länderrat war eigentlich auch als Unterstützung für die hessischen
Grünen bei der Landtagswahl im Oktober gedacht war. Parteinterner Streit
ist da nicht hilfreich. Vermeidbar wird er nicht sein.
9 Jun 2023
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[1] /Zaehes-Ringen-um-neues-Asyl-System/!5939573
## AUTOREN
Sabine am Orde
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Schwerpunkt Flucht
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