| # taz.de -- Länderrat der Grünen: Der Aufstand bleibt aus | |
| > Beim Länderrat der Grünen gibt es Küsschen für Annalena Baerbock. Die | |
| > große Abrechnung mit dem Ja zum EU-Asylkompromiss fällt aus. | |
| Bild: Ein Zeichen an die Grünen: Mini-Protest gegen EU-Asylreform in Bad Vilbel | |
| Bad Vilbel taz | Zur Kundgebung von Pro Asyl vor der schicken neuen | |
| Stadthalle im hessischen Bad Vilbel sind zwei, vielleicht drei dutzend | |
| Menschen gekommen. Die Kritik an der realpolitisch motivierten Zustimmung | |
| der Grünen [1][zum Asylkompromiss] ist eindeutig. Man müsse „Nein zum | |
| Europa der Haft- und Elendslager“ sagen, fordert Pro Asyl. Auch Tim van | |
| Slobbe, ein Grüner aus Gießen, sympathisiert mit dem Protest. „Man kann bei | |
| Menschenrechten keine Kompromisse machen“, sagt er. Er will klarmachen, | |
| dass es „linke Grüne gibt, die auf der Seite von Pro Asyl“ stehen. Beim | |
| Länderrat in der Stadthalle ist er nur Gast, kein Delegierter. Und er | |
| hofft, dass der Länderrat das zögerliche grüne Ja zu einem klaren Nein | |
| macht. Doch leider vergeblich. | |
| Emily Büning, Geschäftsführerin der Grünen, versucht in der Halle derweil | |
| die Proteste von Pro Asyl einzugemeinden. „Es ist gut, dass da draußen | |
| zivilgesellschaftliche Organisationen demonstrieren“, sagt sie. Auch | |
| Parteichef Omid Nouripour umarmt rhetorisch Pro Asyl. Die kenne er „schon | |
| lange und würden unglaublich tolle Arbeit leisten.“ So klingt sie – die | |
| spezielle grüne Harmonie-Dialektik. Die Logik der Macht aber sagt: | |
| Deutschland kann nicht erst Ja zum EU-Kompromiss sagen, und am Ende in ein | |
| Nein schwenken. [2][Doch die Logik vieler Grüner sagt]: Wir dürfen nicht ja | |
| zu etwas sagen, das wir grundsätzlich ablehnen. Die Freundlichkeiten | |
| Richtung Pro Asyl dienen dazu, das Unvereinbare zu vereinen. | |
| Die Parteispitze setzt auf den Weg der Mitte. Ricarda Lang, Parteichefin | |
| vom linken Flügel, ist milde gegen den EU-Asylkompromiss, Omid Nouripour, | |
| Realo-Parteichef, ist zweifelnd dafür. Diese Rollenverteilung zielt darauf, | |
| den Konflikt einzuhegen und die Affektelage zu schwächen. Lang sagt zu | |
| Beginn: „Wir werden nicht in die Nische zurückkehren“. Sie erntet dafür | |
| lauten Beifall. Es ist das erste Zeichen dafür, in welche Richtung die | |
| Stimmung an diesem Nachmittag im Konflikt „Moral versus Realpolitik“ kippen | |
| wird. | |
| ## Streiten mit viel Rücksicht | |
| Bad Vilbel wird kein Bielefeld zwei, wo damals Farbbeutel auf Joschka | |
| Fischer flogen. [3][Der Asylstreit ist zwar ernst.] Schließlich haben 80 | |
| grüne Landtagsabgeordnete in einem Protest-Brief ein klares Nein gefordert. | |
| Aber dieser Streit wird nicht so hart ausgetragen wie der Konflikt um | |
| Kriegseinsätze. Erwachsener, gelassener – und mit sehr viel Rücksicht auf | |
| Robert Habeck und Annalena Baerbock wird diskutiert. Verantwortung scheint | |
| das Schlüsselwort zu sein. | |
| Robert Habeck warnt noch: „Habt keine Sehnsucht nach der Opposition“. Die | |
| Grünen würden derzeit von allen Seiten Druck bekommen, aber die Partei | |
| dürfe deshalb nicht „konfrontativer werden“ und sich „in die Nische“ | |
| zurückziehen. Er benutzt dabei den gleichen Sprech wie die Parteilinke | |
| Lang. Dass der Aufstand abgeblasen wird, zeichnet sich früh ab – nämlich | |
| als Erik Marquardt ans Rednerpult tritt. Marquardt ist als | |
| Flüchtlingsaktivist in die Politik gekommen. Jetzt ist er grüner | |
| Abgeordneter im EU-Parlament – und ein [4][scharfer Kritiker des | |
| Asylkompromisses]. Eigentlich. | |
| Doch Angriffe auf Baerbocks Ja vermeidet auch er tunlichst. „Wir vertrauten | |
| unserem Führungspersonal“, sagt er. Er halte die Entscheidung zwar | |
| inhaltlich für falsch, aber man müsse ja auch wahrnehmen, dass wir beim | |
| Thema Asyl „nicht die Hegemonie haben“. So hisst man weiße Fahnen. Nach der | |
| Rede herzt die Außenministerin den EU-Abgeordneten. Also doch kein | |
| Familienkrach. Dass man den grünen MinisterInnen vertraue, ist ein immer | |
| wiederkehrender Refrain in den Reden. | |
| Baerbock stellte geschickt [5][eigene Zweifel in den Mittelpunkt]. Das Ja | |
| zum Kompromiss sei für sie eine „51 zu 49“ Entscheidung gewesen. Eigentlich | |
| gehe „der Kompromiss für uns Grüne nicht“, aber ein Nein hätte schlimmere | |
| Folgen gehabt. Die EU wäre angeschlagen, Italien würde womöglich aus allen | |
| EU-Verpflichtungen ausscheren. Baerbock beteuert mehrfach, wie schmerzhaft | |
| die Debatte für sie sei. Die Botschaft lautet: Ich bin eine von euch. Wir | |
| wollen das Gleiche. Der Applaus für Baerbocks Rede ist überwältigend. | |
| ## Grüne Gemütslage im Visier | |
| Als Gegenfigur zu Baerbock tritt dann Aminata Touré in den Ring. Die Eltern | |
| der Sozial- und Integrationsministerin in Kiel flohen Anfang der 90er Jahre | |
| aus Mali nach Deutschland. Der EU-Asylkompromiss sei falsch, sagt sie. Die | |
| Grünen dürften sich nicht mehr dafür interessieren, wie Politik ankomme | |
| „als für den Inhalt der Politik“. Und schon gar nicht Menschenrechte in | |
| politischen Deals tauschen. Touré trifft die grüne Gemütslage. Sie drückt | |
| das Gefühl aus, dass man eigentlich lieber Nein sagen würde. Auffällig ist | |
| allerdings, was Touré nicht fordert – nämlich die grünen MinisterInnen in | |
| der Ampel darauf zu verpflichten, im Kabinett den Asylkompromiss | |
| abzulehnen, wenn der in der EU nicht noch besser wird. | |
| Genau dafür wirbt [6][Timon Dzienus, Chef der Grünen Jugend]. Grüne könnten | |
| nicht Ja sagen, wenn „Kinder in Haft kommen“ und asylberechtigte Syrer in | |
| EU-Grenzlagern abgeschoben werden können. Deshalb müsse man die grünen | |
| MinisterInnen auf ein Nein im Kabinett verpflichten. Das würde Stress | |
| bedeuten, den nächsten Ampelstreit. Nur ungefähr 15 Prozent der | |
| Stimmberechtigten heben ihre Delegiertenkarte für den Antrag der Grünen | |
| Jugend. | |
| Am Ende herrscht eitel Sonnenschein. Es gibt, trotz 50 Änderungsanträgen im | |
| Vorfeld, einen geeinten Leitantrag. Ein Erfolg der geschickten | |
| Parteitagsregie. Im Antrag heißt es nun „Der Ratsbeschluss wäre ohne | |
| unseren Einsatz, gerade von grünen Regierungsmitgliedern, ein schlechterer | |
| gewesen. Doch er enthält auch substanzielle Verschärfungen, die wir aus | |
| asylpolitischer Sicht falsch finden.“ | |
| 17 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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