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# taz.de -- Kleiner Parteitag der Grünen: Geschlossen für Waffen und Frieden
> Der Länderrat berät über die Ukraine-Politik. Dissens gibt es kaum. Nur
> die Grüne Jugend stellt das Sondervermögen für die Bundeswehr in Frage.
Bild: Bundesvorsitzende Ricarda Lang spricht beim kleinen Parteitag der Grünen
Berlin taz | Die Grünen ringen mit sich, das ist ihnen wichtig. Auf dem
Länderrat, dem kleinen Parteitag also, treffen sich am Samstag in
Düsseldorf knapp 100 Delegierte. Im Zentrum der Veranstaltung steht der
Krieg in der Ukraine – wie könnte es auch anders sein. Und in der
Diskussion über den eigenen Kurs fallen einige Verben immer wieder: Die
Grünen ringen, sie hadern, sie zweifeln und sie verzweifeln nach eigenem
Bekunden über die Frage, wie sie auf den Krieg reagieren sollen.
So sehr aber auch jeder Einzelne mit sich ringt: Am Ende kommen alle zu
ähnlichen Schlüssen. Geschlossen treten die Delegierten in Düsseldorf auf.
Den Leitantrag des Bundesvorstands, der die Linie der Grünen in der
Regierung stützt, erhält eine klare Mehrheit. Der Länderrat steht hinter
[1][der Lieferung von schweren Waffen] und Investitionen in die Bundeswehr.
Auch in der Debatte, die der Abstimmung vorausgeht, offenbart sich wenig
Dissens.
Stattdessen skizzieren die Delegierten den Korridor, in dem sich ihre
Partei bewegt. Der Ukraine keinen militärischen Beistand zu gewähren, keine
Waffen zu liefern, kommt für sie nicht in Frage. Außenministerin Annalena
Baerbock sagt in einer Videobotschaft, ein „Diktatfrieden“ nach einem
russischen Sieg sei angesichts russischer Kriegsverbrechen „kein Frieden
für die Ukrainerinnen und Ukrainer“. Bundestagsfraktionschefin Britta
Haßelmann kritisiert Forderungen nach einem Kompromiss zwischen den
Kriegsparteien, der die Freiheit der Ukraine „zur Disposition“ stellt.
Eine Absage ist das an Forderungen, wie sie zum Beispiel am Freitag in
einem offenen Brief in der Emma erhoben wurden und die auch aus der
Friedensbewegung immer wieder zu hören sind: Die Regierung möge
Waffenlieferungen unterlassen, da sie das Leid nur verlängerten und den
Krieg eskalieren ließen. Bei den Grünen, die 1999 im Streit um den
Kosovo-Krieg noch erbitterte Debatten führten, gibt es solche Stimmen 2022
nur noch vereinzelt an der Basis.
Auf der anderen Seite geben sich die Delegierten in Düsseldorf aber auch
Mühe, den Vorwurf des Bellizismus abzuwehren. Der Spiegel bezeichnet die
Partei auf seinem aktuellen Titelbild als „Die Olivgrünen“, kleidet ihre
Spitze in Camouflage-Muster. Dieses Bild soll sich nicht festsetzen.
## Immer noch Friedenspartei?
Die Grünen „sind und bleiben die Partei“, die genau wisse, dass Waffen
keinen Frieden schaffen – sondern höchstens in speziellen Situationen die
Voraussetzungen dafür, sagt der hessische Wirtschaftsminister Tarek
Al-Wazir. „Wir werden immer Friedenspartei bleiben“, sagt Parteichef Omid
Nouripour. Und Claudia Roth beklagt eine „Schieflage in der Debatte“ und
Überbietungswettkämpfe bei Forderungen nach schweren Waffen, durch die
ernsthafte Debatten „marktschreierisch übertönt“ würden.
Das könnte mal wieder als Kritik an Ex-Fraktionschef Toni Hofreiter zu
verstehen sein, der sich in den vergangenen Wochen sehr stark für
Waffenlieferungen und ein Energieembargo einsetzte, gepaart mit heftiger
Kritik an Kanzler Olaf Scholz. Zum Streben der Grünen nach Harmonie auch im
Umgang mit den Koalitionspartnern passte das nicht ganz, mit seinen
Auftritten hat Hofreiter daher intern nicht nur Pluspunkte gesammelt.
Kritik am Kanzler bleibt entsprechend auch in Düsseldorf beinahe aus. Am
weitesten wagen sich noch Europaabgeordnete aus der Deckung, die in den
vergangenen Wochen in Brüssel einige Nachfragen von Kolleg*innen aus
anderen Mitgliedsstaaten zu beantworten hatten. Im Ausland habe man das
deutsche Regierungshandeln zuletzt „als zögerlich empfunden“, sagt Michael
Bloss. Er wünsche sich, dass Scholz seine Politik auch europaweit „noch
besser erklärt und auch zuhört“.
Einer der wenigen Änderungsanträge zum Leitantrag kam dann ebenfalls aus
Reihen der Europaabgeordneten, federführend von Rasmus Andresen. Wegen der
steigenden Lebenshaltungskosten in Folge des Krieges brauche es auf
europäischer Ebene neue Instrumente zur sozialen Entlastung. Der Antrag
nannte einen EU-Solidaritätsfonds, die Flexibilisierung der Fiskalregeln
und eine Steuer auf Übergewinne von Energiekonzernen.
In einem Kompromiss mit dem Bundesvorstand fallen diese konkreten Punkte,
die vor allem gegen FDP-Finanzminister Christian Lindner schwer
durchzusetzen wären, wieder raus. Übernommen wird am Ende nur die
allgemeine Forderung nach Entlastungen. Den Vorschlag der Übersteuer macht
sich später immerhin Parteichefin Ricarda Lang in ihrer Rede zu eigen.
## Grüne Jugend gegen Sondervermögen
Ein anderer, noch kontroverserer Änderungsantrag kommt von der Grünen
Jugend. Sie wendete sich [2][gegen das geplante Sondervermögen], das
Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen in die Bundeswehr
vorsieht. Der Kanzler hatte die Grünen damit Ende Februar im Bundestag
überrumpelt, in der Regierung tragen sie das Vorhaben jetzt trotzdem mit.
„Wir müssen anerkennen: Bei der Bundeswehr gibt es Defizite bei den
Fähigkeiten und der Ausrüstung“, sagt in Düsseldorf Timon Dzienus,
Bundessprecher der Grünen Jugend, der auch gegen die Waffenlieferungen an
die Ukraine keinen Einwände hat. Aber, so der Änderungsantrag: Erst müssten
die Probleme im Beschaffungswesen der Bundeswehr behoben werden. Dann könne
man über mehr Geld reden.
Natürlich müsse das Beschaffungswesen reformiert, werden sagt Parteichef
Nouripour in seiner Gegenrede. Aber die Entscheidung über das
Sondervermögen lasse sich nicht lange herausschieben. Warte man erst auf
eine vollständige Reform, „reden wir von einem ganz anderen Zeitalter“,
sagt er. Die Delegierten folgen ihm. Den Antrag der Grünen Jugend weist der
Länderrat mit deutlicher Mehrheit ab.
30 Apr 2022
## LINKS
[1] /Waffen-fuer-die-Ukraine/!5851092
[2] /100-Milliarden-Euro-fuer-die-Bundeswehr/!5851250
## AUTOREN
Tobias Schulze
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