# taz.de -- Gutachten zu Enteignungen in Berlin: Eigentum „potenziell problem… | |
> Nach Einschätzung der Enteignungskommission können Wohnungen in Berlin | |
> vergesellschaftet werden. Die schwarz-rote Koalition bleibt skeptisch. | |
Bild: Die Gespenster der Vergesellschaftung | |
BERLIN taz | Auf ihrer Kundgebung am Mittwochmittag vor dem Roten Rathaus | |
jubelte eine Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen über | |
einen „historischen Tag“. Die Übergabe des [1][Abschlussberichts der | |
Enteignungskommission], die kurz darauf in den Gemäuern hinter ihr | |
stattfinden sollte, sei „ein großer Schritt auf dem Weg der Umsetzung“ der | |
Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne. | |
Dass der [2][Bericht zumindest in der Argumentation einen Durchbruch | |
darstellt], zeigte später auch die Pressekonferenz dreier Mitglieder der | |
Kommission. Zuvor übergab Kommissionspräsidentin Herta Däubler-Gmelin den | |
mehr als 100-seitigen Bericht an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner | |
(CDU) und an Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD). Beide | |
dankten für die geleistete Arbeit, blieben aber ihrer Linie treu. | |
Wegner kündigte an, dass der Senat zügig ein „Rahmengesetz“ erarbeiten | |
wolle, ein Gesetz also, das keine konkrete Vergesellschaftung regelt, | |
sondern Grundlagen für Vergesellschaftungen in verschiedenen Bereichen | |
beschreiben soll. Auch Gaebler argumentierte hierfür mit Verweis auf die | |
„Grundsatzfrage des Umgangs mit Bereichen der Daseinsvorsorge“, die immer | |
wichtiger werde. | |
Ihre Ablehnung einer tatsächlichen Vergesellschaftung der | |
Immobilienkonzerne versteckten beide nicht: Wegner sagte in seinem kurzen | |
Statement: „Ich halte es weiterhin für den falschen Weg“. Gaebler gab noch | |
den Klassiker zu Protokoll: „Durch Vergesellschaftung entsteht keine | |
einzige neue Wohnung.“ | |
## Neue Denkanstöße | |
Spannender wurde es bei der anschließenden Pressekonferenz mit | |
Däubler-Gmelin und den Kommissionsmitgliedern Florian Rödl und Michael | |
Eichberger, bei der die verkürzten Debatten des politischen Raums | |
hinterfragt wurden. Dabei stellte vor allem die Zusammenfassung der | |
Mehrheitsmeinung der Expert:innen, vorgetragen durch den | |
Rechtswissenschaftler der Freien Universität Rödl, einige Grundfesten auf, | |
die längst kein politisches Gemeingut mehr sind. | |
Zunächst erinnerte Rödl an die Bedeutung des Vergesellschaftungsartikels | |
15, „ohne den das Grundgesetz nicht verabschiedet worden wäre“. Auch wenn | |
dieser noch nie angewendet wurde, ist er weiterhin, so die einhellige | |
Meinung, gültig, seine Anwendung sei eine „eminent politische | |
Entscheidung“. Eine Vergesellschaftung müsse, so Rödl in einer Form der | |
Gemeinwirtschaft münden; die gemeinnützige Bewirtschaftung des Wohnraums | |
stellte er der „eigennützigen oder privatnützigen“ entgegen. Wohnen sei, … | |
Rödl ein „existenzielles, menschliches Bedürfnis“, die „Knappheit an | |
bezahlbarem Wohnraum gravierend“. | |
Die große Mehrheit von elf Mitgliedern der 13-köpfigen Kommission vertrete | |
die Ansicht, dass „der private Gebrauch von Grund und Boden an sich oder | |
potenziell problematisch“ sei, auch aufgrund der „gesellschaftlichen und | |
politischen Macht“, die sich durch großen Immobilienbesitz ergebe. Eine | |
Vergesellschaftung ziele daher auf „die Aufhebung ungerechtfertigter | |
Machtpositionen“. Der tiefe Eigentumseingriff spiele vor diesem Hintergrund | |
„keine Rolle“. Eine Entschädigung dürfe nicht in Höhe des Marktwertes | |
erfolgen: „Das wäre die Auszahlung des Barwertes jener Macht, die | |
aufgehoben werden soll.“ Auch resultierten die zuletzt gestiegenen | |
Bodenwerte „nicht aus eigener Leistung“. | |
## Sondervoten | |
Der ehemalige Verfassungsrichter Eichberger präsentierte die vier | |
Sondervoten mit abweichenden Meinungen einzelner Kommissionsmitglieder: | |
Diese hinterfragen die Verhältnismäßigkeit und betonen das „höhere Gewicht | |
des grundgesetzlich geschützten Eigentumsrechts.“ Dieses sei vielfach vom | |
Verfassungsgericht bestätigt, während es noch nie eine Entscheidung zu | |
Artikel 15 gegeben habe. | |
In der Frage der Entschädigungen stellten sich drei Kommissionsmitglieder | |
gegen die Vorschläge der Mehrheit, diese anhand der Belastungsgrenze von 30 | |
Prozent des Einkommens für die Miete oder der finanziellen Fähigkeit der | |
Stadt zu berechnen. Abschläge vom Marktwert dürfe es dennoch geben. Nur | |
zwei der Juristen argumentieren in dem Bericht, dass Berlins | |
Landesverfassung das Eigentum noch stärker schütze als das Grundgesetz und | |
daher die Wirkung des Artikels 15 unterbinde. | |
Die überwiegende Tendenz des Berichts betont dennoch die Möglichkeiten – | |
oder wie es DW Enteignen auf einem großen Banner präsentierte: | |
Vergesellschaftung sei „gesetzmäßig, günstig, gut.“ | |
28 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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