Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Linke-Landesvorsitzende im Interview: „Es geht um Flächengerecht…
> Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer über das soziale Profil der
> Partei, Klimaschutz und wie es jetzt mit dem Volksentscheid weitergehen
> sollte.
Bild: Was würde Marx zur Berliner Linken sagen? Mitte Mai übernehmen Brychcy …
taz: Frau Brychcy, Herr Schirmer, seit fünf Wochen bilden Sie zusammen die
neue Doppelspitze der Berliner Linken. Was sind die drängendsten Aufgaben,
die jetzt anstehen?
Franziska Brychcy: Es geht jetzt darum, dass wir uns als Linke
organisatorisch und programmatisch neu aufstellen mit Blick auf die Wahlen
2026. Und natürlich wollen wir bis dahin unsere Oppositionsrolle stark
ausfüllen.
Wie steht es denn um die Linke? Ihre Partei hat bei der Wahl über drei
Prozent verloren; ist ihre Rolle als führende Kraft in den ehemaligen
Ostbezirken los und nun wieder in der Opposition. Wie dramatisch ist die
Situation?
Maximilian Schirmer: Wir hatten [1][ein stabiles Wahlergebnis], auf dem wir
aufbauen können, aber natürlich liegen jetzt viele Aufgaben vor uns. Dort,
wo wir Wählerstimmen verloren haben, müssen wir uns die Frage stellen,
warum und ob wir da nahe genug an der Lebensrealität der Leute waren.
Was sind das für Realitäten, an denen Sie nicht dran waren?
Schirmer: Oft sind es in den Bezirken kleinteilige Fragen, die einen großen
Unterschied machen. Wir müssen einen stärkeren Fokus auf die
Kommunalpolitik legen, auf die Probleme, die die Leute tagtäglich
umtreiben. Bekommt mein Kind einen Kitaplatz? Gibt es einen Arzt in der
Nähe? Hier gibt es eine soziale Schieflage.
Die Interessen in den Innen- und Außenbezirken gehen ja oft weit
auseinander, etwa im Bereich Mobilität und Verkehrswende: Die Reduzierung
des Autoverkehrs kommt bei potenziellen Wähler*innen in den
Außenbezirken ja meist nicht so gut an.
Schirmer: Verkehr und Mobilität sind soziale Fragen. Uns geht es um
Flächengerechtigkeit: Wie teilen wir den immer knapper werdenden Platz
gerecht auf? Natürlich gibt es Leute, die zum jetzigen Zeitpunkt aufs Auto
angewiesen sind. Wir wissen aber, dass die meisten Wege auch mit ÖPNV,
Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden könnten, wenn es die Gesundheit
zulässt. Wir müssen hier ein Angebot machen: Wenn der ÖPNV gut ausgebaut
ist, barrierefrei, bezahlbar und wohnortnah, wenn der Bus vor meiner
Haustür fährt, dann lasse ich das Auto eher mal stehen.
Trotzdem sollen [2][in der Wuhlheide in Köpenick 16 Hektar Wald für den Bau
der vierspurigen Schnellstraße Tangentiale Verbindung Ost (TVO)] gerodet
werden. Umweltaktivist*innen haben dagegen mit einer Besetzung
protestiert, die auch einige Linke-Politiker unterstützten. Auf
Bezirksebene hat sich die Linke allerdings für den Bau ausgesprochen. Ist
das nicht ein Widerspruch?
Brychcy: Mobilität muss auch für die Menschen in den Ostbezirken
gewährleistet sein, aber nachhaltig. Die TVO, wie sie jetzt geplant wird,
muss in Dimension und Zuschnitt mit allen Beteiligten diskutiert werden –
auch unter Umwelt- und Klimaaspekten. Nachhaltige Stadtentwicklung und
Mobilität heißt auch bei der TVO, den Dreiklang aus Autoverkehr, Radverkehr
und Schiene zusammenzudenken. Wenn ÖPNV-Projekte gebaut werden, kann es
natürlich immer sein, dass ein paar Bäume weichen müssen, dafür braucht es
dann einen Ausgleich. Wichtig ist uns, die soziale Perspektive und
Klimafragen bei der Mobilität mitzudenken, und nicht, wie die aktuelle
schwarz-rote Koalition, einseitig Politik fürs Auto zu machen und darüber
den Fahrradverkehr völlig aus dem Blick zu verlieren. Bis hin dazu, schon
geplante Projekte, die kurz vor dem Abschluss sind und endlich gebaut
werden können, einfach zurückzudrehen.
Sie sprechen vom [3][Planungsstopp für Fahrradwege], den
CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner verhängt hat. Die Grünen-Fraktion in
Friedrichshain-Kreuzberg hat zu zivilem Ungehorsam aufgerufen und
beantragt, den Stopp einfach nicht zu befolgen. Was macht die Linke?
Schirmer: Die Interessen der Menschen, die diese Radwege mitgeplant haben,
in Bürgerbeteiligungsprozessen mit Anwohnern und Initiativen, werden
einfach mit einem Federstrich weggewischt, das grenzt an rechtswidriges
Verhalten. Da wurden jahrelang viel Arbeit, Ressourcen und Geld
reingesteckt. Wir haben ein Mobilitätsgesetz, das sich eben nicht nur auf
Autos bezieht, sondern auch auf den Rad- und Fußverkehr. Auch dieser Senat
hat sich an die Gesetze zu halten.
Brychcy: Hier wird die Rückschritts-Koalition ganz deutlich. CDU und SPD
sagen, sie wollen die verschiedenen Interessen verbinden, aber sie machen
genau das Gegenteil. Dabei sind wir viel zu langsam mit dem Radwege-Ausbau.
Wir müssen da endlich vorankommen, damit sich die Menschen sicher in der
Stadt bewegen können. Was die Koalition in den wenigen Wochen im Amt auf
den Weg gebracht hat, ist fatal. Dabei stehen die Haushaltsberatungen erst
an, das besorgt uns.
Wo sehen Sie die größten Gefahren, die von der neuen Regierung ausgehen?
Schirmer: Wir befürchten, dass sich die Stadt weiter spaltet. Man bedient
die eigene Klientel und spielt die einen gegen die anderen aus: Autofahrer
gegen Radfahrer, die Fußgänger kommen ganz zu kurz, der ÖPNV kommt kaum
vor. Es gibt keinen Plan zum Straßenbahnausbau, sondern man setzt alles auf
U-Bahnen, die erst in 35 oder 40 Jahren kommen werden. Die Mieten kennen
nur noch eine Richtung: nach oben. Es gibt gar keine Idee davon, wie das
gestoppt werden soll. Die Leute werden aus ihren Kiezen an den Stadtrand
verdrängt. Lebendige, funktionierende Nachbarschaften drohen zu zerbrechen,
und dem wird nichts entgegengesetzt, sondern das wird noch verstärkt.
Auch unter Ihrer Regierungszeit wurde das Mietenproblem für die Leute ja
nicht kleiner. Wie kann die Linke jetzt glaubhaft Oppositionsarbeit machen
nach Jahren in der Regierung?
Schirmer: Wir haben unter anderem den Mietendeckel eingeführt, wodurch die
Mieten in Berlin erstmalig wieder gesunken sind. Dann wurde juristisch
entschieden, dass Berlin nicht die Kompetenz dafür hat, das ist natürlich
sehr bitter. Aber wir wissen jetzt, dass der Bund sie hat. Leider ist die
Bundesregierung beim Mieterschutz ein Totalausfall. Berlin könnte aber im
Bundesrat darauf hinwirken, dass die Kompetenz genutzt wird und ein
bundesweiter Mietendeckel kommt.
Brychcy: Die Aufgabe einer sozialen Stadt ist es, leistbaren Wohnraum
bereitzustellen. Wir haben immer gesagt, dass Investoren gar kein Interesse
daran haben, sozial und preiswert zu bauen, sondern dass wir vor allem die
Landeseigenen stärken müssen, um leistbare Wohnungen zu bauen und
selbstredend die Vergesellschaftung umsetzen müssen. Wir stehen weiter fest
an der Seite der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen. Beim
Volksentscheid sehen wir, dass der Wille der Menschen ignoriert wird und
zudem auch kein Konzept für bezahlbare Mieten vorgelegt wird, im Gegenteil.
Jetzt soll im sozialen Wohnungsbau ein Segment mit Mieten ab 11,50 Euro pro
Quadratmeter geschaffen werden, was die Probleme bei den Menschen, die ganz
wenig Einkommen haben, weiter verschärft. Wieder werden die Schwächsten
nicht mitgedacht, staatlicherseits viel subventioniert, nach 30 Jahren
entfällt die Mietpreisbindung, und die Investoren profitieren.
Am Mittwoch kommt der Abschlussbericht der Enteignungskommission. Wie will
die Linke dafür sorgen, dass die Ergebnisse nicht einfach mit einem
Vergesellschaftungsrahmengesetz begraben werden?
Brychcy: Die Berliner*innen haben sich entschieden: Es gibt einen
erfolgreichen Volksentscheid und der muss auch umgesetzt werden. Wir gehen
davon aus, dass die Kommission am Mittwoch final sagt, dass
Vergesellschaftung möglich ist, wahrscheinlich unter gewissen Bedingungen.
Die Ergebnisse müssen dann schnell in ein konkretes
Vergesellschaftungsgesetz überführt werden. SPD, Grüne und Linke haben
jeweils Parteitagsbeschlüsse, die die Umsetzung fordern, wenn die
Kommission sagt, dass es geht. Wir werden die SPD nicht aus der
Verantwortung entlassen. Abgesehen davon steht jeder Senat in der Pflicht,
den Volksentscheid umzusetzen. Wir werden dabei gerne mit unserer Expertise
unterstützen. Wir haben ja einen Gesetzentwurf vorgelegt, ebenso wie die
Initiative.
Während Konzerne weiterhin profitieren, sind auf der anderen Seite immer
mehr Menschen durch die hohe Inflation armutsgefährdet. Gewerkschaften und
Arbeitskämpfe erfahren einen starken Zulauf. Eigentlich gute
Voraussetzungen für eine linke Partei, die auf sozialen Ausgleich setzt.
Warum kann die Linke nicht davon profitieren?
Schirmer: Ich glaube, wir können davon profitieren, indem wir konsequent
unser soziales Profil weiterentwickeln. Wir werden jetzt stärker mit den
Verbänden, Initiativen und Gewerkschaften in den Diskussionsprozess gehen
und gemeinsam Ideen für ein soziales Berlin entwickeln. Im September
starten wir mit einem ersten Kongress zu Klimagerechtigkeit. Wir werden der
Top-down-Politik von Schwarz-Rot, die wir in den vergangenen Wochen sehen
konnten, eine Stadt von unten entgegensetzen.
Unter anderem mit dem Vorwurf, die Linke würde den Schwerpunkt nicht
ausreichend auf soziale Fragen legen, wird wohl noch in diesem Jahr der
Wagenknecht-Flügel die Partei verlassen. Was bedeutet das für die Berliner
Linke?
Schirmer: Wir waren immer klar darin, dass wir die soziale Frage nicht
gegen andere Themen wie beispielsweise Diversität ausspielen, sondern in
solidarischen Debatten um inhaltliche Positionen ringen. Ab dem Zeitpunkt,
wo ein Konkurrenzprojekt aufgemacht wird, ist für uns der Punkt erreicht,
wo das nicht mehr tragbar ist. Dann ist der Zenit einer Debatte weit
überschritten.
Brychcy: Die Menschen knüpfen an die Wahl der Linken konkrete Erwartungen:
dass wir für bezahlbaren Wohnraum kämpfen, dass es genug Kita- und
Schulplätze gibt, genug Fachpersonal, genug Ärzt*innen vor Ort. Das sind
unsere Aufgaben. Öffentlichen Diskussionen über mögliche Abspaltungen
erteilen wir eine klare Absage. Das bringt uns nicht nach vorne.
28 Jun 2023
## LINKS
[1] /Die-Linke-bei-der-Berlin-Wahl/!5915012
[2] /Protest-gegen-Strasse-durch-die-Wuhlheide/!5931801
[3] /Stopp-fuer-Radwege-in-Berlin/!5942714
## AUTOREN
Erik Peter
Marie Frank
## TAGS
Die Linke Berlin
Die Linke
Die Linke Berlin
Neues Bauen
Deutsche Wohnen & Co enteignen
Die Linke Berlin
Die Linke Berlin
Die Linke Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Landesparteitag der Linkspartei: „Dieser Bruch ist ein neuer Anfang“
Die Berliner Landesspitze der Linken spricht dem Wagenknecht-Verein BSW das
Links-Sein ab und dem schwarz-roten Senat den sozialen Kompass.
Berliner Bauordnung: Bauen ohne Plan
Lange wurde über die Novelle der Bauordnung gestritten. Nun soll sie bald
kommen. Über das, was drinsteht, hüllt sich die Bauverwaltung in Schweigen.
Gutachten zu Enteignungen in Berlin: Eigentum „potenziell problematisch“
Nach Einschätzung der Enteignungskommission können Wohnungen in Berlin
vergesellschaftet werden. Die schwarz-rote Koalition bleibt skeptisch.
Parteitag der Berliner Linken: Zwei Neue proben den Aufbruch
Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer führen die Linkspartei. Die
bisherige Chefin Katina Schubert attackierte den schwarz-roten Senat
scharf.
Führungswechsel beim Berliner Parteitag: Die Linke stellt sich neu auf
Am Wochenende übernehmen voraussichtlich zwei bislang weniger bekannte
Gesichter den Landesvorsitz: Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer.
Die Linke bei der Berlin-Wahl: Gar nicht so schlimm
Die Linke erzielt bei der Berlin-Wahl, gegen den Bundestrend, ein passables
Ergebnis. Die Erleichterung ist groß. Nun würde man gerne weiterregieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.