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# taz.de -- Abschiebung am Flughafen Hamburg: Ein Beobachter reicht nicht aus
> Manche Abschiebung hätte früher abgebrochen werden können, heißt es im
> Abschiebe-Monitor. Zudem gehörten Abholung und Flug künftig
> mitbeobachtet.
Bild: Ein bisschen Trost: Blick aus der Zelle auf den Beobachter
Hamburg taz | Eine Abschiebung muss verhältnismäßig sein, darf nicht „Leib
und Leben“ bedrohen. Am Donnerstag stellt [1][Abschiebebeobachter] Moritz
Reinbach, der [2][im Auftrag des Diakonischen Werks] am Flughafen Hamburg
darauf achtet, im Innenausschuss seinen [3][Jahresbericht] vor. Sein Fazit:
Es ist gut für die Betroffen, dass es die Beobachtung gibt. Aber sie reicht
nicht aus.
Insgesamt 427 „Einzelmaßnahmen“ fielen in den Berichtsraum vom 1. Februar
2022 bis 28. Februar 2023. Dabei übergeben die Ausländerbehörden der Länder
Menschen am Flughafen an die Bundespolizei, damit die sie zum Flugzeug
bringt. Reinbach sah sich stichprobenartig 157 Fälle an. In 82 Fällen fand
die Abschiebung nicht statt – etwa weil es zu gefährlich wurde. „Keine
Rückführung um jeden Preis“, heißt es in der Bestimmung für die
Bundespolizei.
Gleich die erste von zehn Maßnahmen, die Reinbach schildert, hätte
schneller enden können. Als er eintrifft, sitzt eine schwangere Mutter mit
drei kleinen Kindern weinend im Warteraum, während nebenan ihr Mann von
vier Polizisten am Boden fixiert wird, Hände und Füße bereits gefesselt.
Der Mann schreit, ist auch mit in die Nase gesprühtem „Benzodiazepin“ nicht
zu beruhigen und versucht, sich zu verletzen.
Die afghanische Familie soll nach Spanien, weil sie dort bereits einen
Schutzstatus besitzt. Schließlich entscheidet die Bundespolizei den
Abbruch. Der Mann kommt in eine Klinik. Die Mutter soll für die Rückfahrt
in einen 150 Kilometer entfernten Ort in Schleswig-Holstein ein Taxi
nehmen, das 380 Euro kostet. Zuvor hatte man der Familie bis auf 700 Euro
alles Geld abgenommen.
## Verletzliche Menschen allein gelassen
Der Fall gehört zu jenen 52, die Reinbach im „Flughafenforum Hamburg“ zur
Sprache bringt. Das ist ein Gremium, in dem auch Behörden der Nordländer,
die Bundespolizei und Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie der
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, Amnesty International und Kirchen
vertreten sind.
Die NGOs äußerten Unverständnis, wieso die Familie bei dem schon früh
gezeigten Verhalten des Vaters überhaupt zum Flughafen gebracht wurde,
warum ein Kind übersetzen musste und es der Behörde nicht möglich war,
Mutter und Kinder zurückzufahren?
Auch im Fall eines 21-jährigen Syrers, der nach Griechenland soll und sich
auf der Toilette die Arme aufschneidet, wird die Abschiebung abgeblasen.
Auch dieser verletzliche Mensch wird allein weggeschickt. Er soll zusehen,
wie er nach Hause kommt.
Schließlich wollte Sachsen-Anhalt sogar einen 17-Jährigen nach Gambia
abschieben. Er werde dort von der Caritas abgeholt. Die Bundespolizei
bricht die Abschiebung ab, da er passiv Widerstand leistet. Ein Anruf bei
der Caritas ergibt: Er war nicht angekündigt. „Das war die Ausnahme“, sagt
Reinbach. „Weitere Abschiebungen unbegleiteter Minderjähriger gab von
Hamburg aus nicht.“
Ein weiteres Manko seien fehlende Information über Krankheiten. So sollte
ein 24-jähriger Afghane von der [4][Abschiebehafteinrichtung Glückstadt]
nach Schweden, obwohl er in einer Substitution war. Ihm seien weder
Anlaufstellen für die Weiterbehandlung noch Dosen mitgegeben worden.
Problematisch sei auch, dass Menschen, die über Drittländer einreisten und
dahin zurück sollen, ohne Geld losgeschickt würden. So hatte ein
22-jähriger Syrer, der aus der Hamburger Abschiebehaft nach Bulgarien
sollte, nur drei Euro.
Ein Kritikpunkt ist, dass Menschen beim Termin in den Ausländerbehörden in
Gewahrsam genommen werden. Ein 28-jähriger Türke, dem das passiert,
schluckt aus Verzweiflung Benzin.
Für einen Beobachter allein schwer zu erfassen seien die vier
Sammelabschiebungen. Für einen Charterflug nach Armenien etwa wird ein
57-Jähriger auf einer Liege fixiert im Krankenwagen aus Bayern gebracht. Er
trägt nur eine eingenässte Badehose und berichtet, er habe nicht auf die
Toilette gedurft.
## Bundesweite Regelung gefordert
„Es wäre wichtig, auch die Abholungen und den Flug stichprobenartig zu
beobachten“, sagt Reinbach. „Denn das sind die [5][sensibelsten und
risikoreichsten Momente.]“ Seit diesem Jahr nutzt Hamburg den
Abschiebegewahrsam in Glückstadt mit. Die schon [6][vor einem Jahr
gestellte Frage], ob Reinbach wie zuvor in Hamburg auch die Abholung
beobachten darf, wird laut schleswig-holsteinischem Sozialministerium
geprüft.
Nötig wäre eine bundesweite Regelung, sagt Reinbach, denn EU-rechtlich sind
unabhängige Beobachter bei Abschiebeverfahren Pflicht. Doch außer in
Hamburg gibt es die nur noch an vier Flughäfen. In Berlin, Düsseldorf und
Frankfurt am Main gibt es sogar jeweils zwei. So eine zweite Person für
diese Aufgabe wäre auch in Hamburg dringend nötig, sagt Reinbach, denn für
einen allein sei diese Arbeit nicht zu schaffen und auch „emotional schwer
auszuhalten“.
10 May 2023
## LINKS
[1] /Beobachter-ueber-Abschiebungen/!5666712
[2] https://www.diakonie-hamburg.de/de/adressen/Abschiebemonitoring/
[3] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Beobachter-haelt-viele-Abschiebungen…
[4] /Gruenen-Politikerin-Toure-ueber-Migration/!5791116
[5] /Asyldrama-in-Hamburg/!5898243
[6] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/79859/abschiebungen_vom_ha…
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Abschiebung
Flughafen Hamburg
Flüchtlinge
Menschenrechte
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