# taz.de -- Asyldrama in Hamburg: Gefährliche Abschiebung bei Nacht | |
> 19-Jähriger flüchtete vor Ausländerbehörde aus Fenster im 5. Stock und | |
> fiel in die Tiefe. Der Afghane sollte nach Kroatien, nun ist er in der | |
> Klinik. | |
Bild: Per Flieger zurück auf die Fluchtroute – das löste wohl Angst aus | |
HAMBURG taz | Einen gefährlichen Ausgang nahm der Versuch einer Abschiebung | |
in der Nacht zu Donnerstag in der [1][Erstaufnahme in der Poststraße] in | |
Hamburg-Harburg. Ein 19-Jähriger hatte versucht, sich mit | |
zusammengeknoteten Bettlaken aus seinem Zimmer im 5. Stock des roten | |
Backsteinbaus abzuseilen, als um 2.45 Uhr Mitarbeiter des Amtes für | |
Migration und zur Unterstützung hinzugezogene Polizisten vor seiner Tür | |
standen. | |
Dabei war der junge Afghane über die letzte Distanz gesprungen und | |
verletzte sich schwer, wie ein Sprecher der Polizei am Freitag bestätigte. | |
Laut einem Bericht des [2][Hamburger Abendblatts], das mit beteiligten | |
Beamten sprach, standen diese zunächst vor der verbarrikadierten Zimmertür | |
und hörten von innen noch Geräusche, bevor es still wurde. Schließlich | |
wurden die geknoteten Laken entdeckt, die am Fenster hingen. Ein Wachmann | |
soll dann von Außen gesehen haben, wie ein Mann in die Tiefe stürzt. | |
Die Polizisten entdeckten den Heranwachsenden dann auf einem Vordach des | |
Gebäudes. Er sei ansprechbar gewesen, so das Blatt, habe aber über | |
Schmerzen am ganzen Körper geklagt, woraufhin er per Rettungswagen ins | |
Krankenhaus kam. | |
## „Dublin“-Abschiebung nach Kroatien | |
Nach Auskunft von Matthias Krum, Hamburger Sprecher des Amtes für | |
Migration, sollte der junge Mann nach den Regeln des | |
[3][„Dublin“-Verfahrens] nach Kroatien abgeschoben werden. Er sei im April | |
von dem Balkan-Land in die Bundesrepublik eingereist, hätte aber dort schon | |
einen Asylantrag gestellt gehabt. Gefragt, warum die Abschiebung nachts | |
stattfand, erklärt Krum, dies habe organisatorische Gründe. Weil die | |
Überführung mit dem Flugzeug über Frankfurt am Main geplant war, müsse man | |
solche Maßnahmen „frühzeitig beginnen“. | |
[4][Nächtliche Abschiebungen] sind sehr umstritten. Die Rot-Rot-Grüne | |
Regierung in Berlin zum Beispiel hatte in ihrem Koalitionsvertrag | |
vereinbart darauf zu verzichten. Dennoch wird dies auch dort noch in jedem | |
sechsten Fall praktiziert, wie [5][die taz jüngst berichtete]. | |
„Nächtliche Abschiebungen sind in Hamburg die Regel“, sagt Moritz Reinbach, | |
[6][„Abschiebebeobachter“ der Hamburger Diakonie]. Das liege daran, dass | |
die meisten Flüge sehr früh am Morgen starten. Daneben ginge es den | |
Behörden auch darum, Aufmerksamkeit zu vermeiden und der Betroffenen | |
habhaft zu werden. Idealerweise, so Reinbach, sollte darauf verzichtet | |
werden, „besonders bei Familien mit Kindern und kranken Menschen“. | |
Laut einer [7][Anfrage der Linken-Politikerin Carola Ensslen] wurden im | |
dritten Quartal dieses Jahres 68 Menschen aus Hamburg abgeschoben und 29 | |
Menschen nach der „Dublin“-Verordnung in ein anderes Land überstellt, über | |
das sie zuerst nach Europa eingereist waren. Darunter waren acht junge | |
Menschen im Alter von 18 bis 23 Jahren. Wären sie einen Tag unter 18, | |
dürften nicht abgeschoben werden. „Es ist brutal, dass die Dublin-Regel für | |
junge Volljährige voll gilt“, sagt Ensslen. | |
## Grüne wünschen gute Besserung | |
Sie hält es für wahrscheinlich, dass der junge Afghane bei der Flucht über | |
die Balkan-Route in Kroation schlechte Erfahrungen machte und große Angst | |
vor der Rückführung hat. „Und die nächtlichen Abschiebungen sind brutal“, | |
sagt Ensslen. „Ich bin jedes Mal erschüttert, wenn die Menschen nachts aus | |
ihrem Bett gerissen und mitgenommen werden“. Da gebe es andere Lösungen. | |
„Dem jungen Mann ist zunächst mal rasche Genesung zu wünschen“, sagt | |
Michael Gwosdz von der in Hamburg mitregierenden Grünen-Fraktion. „Für uns | |
ist Abschiebung ‚ultima ratio‘ und nächtliche Abschiebungen wollen die | |
Behörden in Hamburg eigentlich auch vermeiden“, so der | |
flüchtlingspolitische Sprecher. Das Problem seien aber eben die frühen | |
Abflugzeiten. „Es ist die Frage, ob es besser ist, wenn der Betroffene über | |
Nacht in Abschiebehaft kommt“. | |
Zudem würde bei besagten „Dublin“-Fällen das Bundesamt für Migration und | |
Flüchtlinge (BAMF) entscheiden, so dass Hamburg keinen Spielraum habe. | |
„Aber ich halte das ganze ‚Dublin‘-System für reformbedürftig“, sagt … | |
Grüne Migrationsexperte. „Es ist absurd, Leute zwischen europäischen | |
Ländern hin- und her zu schieben“, sagt Gwosdz. „Besser wäre, sie können… | |
einem Ort eine Aufenthaltsperspektive entwickeln“. | |
25 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.foerdernundwohnen.de/unterkuenfte/erstaufnahme | |
[2] https://www.abendblatt.de/hamburg/article236987451/abschiebung-gefluechtete… | |
[3] https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/D… | |
[4] /Abschiebungen-aus-Berlin/!5836901 | |
[5] /Zahlen-zu-Abschiebungen-aus-Berlin/!5884741 | |
[6] /Beobachter-ueber-Abschiebungen/!5666712 | |
[7] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/81571/ausreise_und_abschie… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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