# taz.de -- Abschiebebeobachtung in Hamburg: Abschiebung bleibt fies | |
> Hamburg schiebt Migrant:innen trotz Suizidgefahr ab und trennt | |
> Familien. Der Jahresbericht des Flughafenforums fordert mehr | |
> Menschlichkeit. | |
Bild: Wer mit der türkischen Airline Freebird aus Hamburg abgeschoben wird, is… | |
Hamburg taz | Bei [1][Abschiebungen] werden oft psychische Belastungen | |
ignoriert, Kinderrechte verletzt und Familien getrennt. Das macht der am | |
Dienstag veröffentlichte [2][Jahresbericht 2024 des Flughafenforums | |
Hamburg] zur Abschiebungsbeobachtung deutlich. Er zeigt detailliert, wo | |
humanitäre Standards nicht eingehalten werden – und wie sich das ändern | |
ließe. | |
Das unabhängige Projekt, getragen vom Diakonischen Werk und finanziert von | |
der Innenbehörde, überwacht seit 2009 Abschiebungen und [3][Überstellungen] | |
nach dem Dublin-Vertrag, um Grund- und Menschenrechte zu schützen. „In | |
einem zunehmend rauen Klima ist Transparenz bei Abschiebungen essenziell“, | |
sagt Haiko Hörnicke, Leiter des Arbeitsbereichs Migration und | |
Internationales der Diakonie. | |
Seit Ende 2023 ist Merle Abel Abschiebebeobachterin in Hamburg. | |
[4][Stichprobenartig begleitet sie Vorgänge] im Organisationsbereich der | |
Bundespolizei am Flughafen. Abels Aufgabe ist es, problematische | |
Situationen zu dokumentieren und quartalsweise in das Flughafenforum | |
einzubringen, ein Gremium, dem Vertreter:innen von Behörden, NGOs wie | |
dem Flüchtlingsrat oder Amnesty International und kirchliche Akteure wie | |
die Nordkirche angehören. Der Bericht, den Abel im Spätsommer im | |
Innenausschuss der Bürgerschaft vorstellen wird, basiert auf der | |
[5][EU-Rückführungsrichtlinie], die solche Überwachungen empfiehlt. Hamburg | |
ist einer von nur fünf Standorten in Deutschland, die ein solches Projekt | |
umsetzen. | |
## Fast anderthalbmal so viele Maßnahmen | |
Im Berichtszeitraum vom 1. März 2024 bis 28. Februar 2025 beobachtete Abel | |
158 Einzelmaßnahmen und 17 Sammelcharter, also gecharterte Flüge etwa nach | |
Bagdad, Madrid oder Zagreb, mit denen mehrere Personen gleichzeitig | |
abgeschoben werden. Von diesen beobachteten Fällen wurden 80 im Forum | |
debattiert. | |
Die Zahlen spiegeln eine größere Entwicklung wider: 2024 wurden | |
deutschlandweit 20.084 Menschen abgeschoben, 22 Prozent mehr als im | |
Vorjahr. Über den Hamburger Flughafen fanden im Berichtszeitraum 601 | |
„Einzelmaßnahmen“ statt, fast anderthalbmal so viele wie im Vorjahr mit | |
425. | |
Der aktuelle Bericht zeigt systematische Probleme, etwa bei der | |
Berücksichtigung psychischer Gesundheit. Eine 38-jährige Frau mit | |
Depressionen sollte beispielsweise nach Polen überstellt werden. Kurz vor | |
der Abschiebung hatte sie einen Suizidversuch unternommen, doch ein | |
Begleitarzt stufte sie als reisefähig ein, da keine akute Suizidalität | |
vorgelegen habe. | |
## Verband und Fesseln über tiefen Schnitten | |
„Ein Mann hatte tiefe Schnitte, darüber trug er einen Verband und Fesseln“, | |
sagt Abel über einen anderen Fall, den sie beobachtet hat. „Die Wunden | |
wurden am Flughafen versorgt – dann wurde er abgeschoben. Aus rechtlicher | |
Sicht wurde die Abschiebung für zulässig erklärt.“ Der Bericht fordert | |
klare Kriterien für solche Untersuchungen, eine bessere Versorgung und eine | |
gesicherte Anschlussbehandlung im Zielland, etwa durch Medikamentenpläne. | |
Das Amt für Migration verweist auf taz-Anfrage darauf, dass die | |
Reisefähigkeit nach einer Einzelfallbewertung festgestellt werde, | |
gegebenenfalls unter ärztlicher Begleitung. „Dabei finden auch die | |
medizinischen Versorgungsmöglichkeiten im Herkunftsland Berücksichtigung.“ | |
Eindringlich sind die Schilderungen über Kinder und Jugendliche, deren | |
Rechte durch Abschiebungen oft verletzt werden. Ein Fall, der im Forum | |
heftige Diskussionen auslöste, betrifft eine alleinerziehende Mutter mit | |
fünf Kindern im Alter von drei bis zwölf Jahren, die nach Madrid überstellt | |
wurde. Sie weigerte sich, ins Flugzeug zu steigen, die Bundespolizei | |
fesselte sie mit einem Gurt, während ihre Kinder in Panik gerieten. Der | |
elfjährige Sohn versuchte, sich zu wehren, und wurde von Beamten ins | |
Flugzeug geschoben – ein Moment, der laut den NGOs psychische Gewalt | |
darstellt. | |
## Familien werden auseinandergerissen | |
Ein weiterer Fall betrifft einen neunjährigen Jungen, der bei einer | |
nächtlichen Abholung von seiner Mutter getrennt wurde. Bewaffnete Polizei | |
versetzte ihn in Angst, während seine Mutter eine asthmabedingte | |
Panikattacke erlitt, ohne dass ein Rettungswagen gerufen wurde. | |
Familien werden häufig auseinandergerissen. So im Fall eines Achtjährigen, | |
dessen Mutter mit drei Geschwistern nach Madrid abgeschoben wurde. Der | |
Vater war unauffindbar, und die Behörde vermutete, die Eltern hätten das | |
Kind versteckt, prüfte das aber nicht. Der Junge blieb bei einer anderen | |
Familie zurück – was laut den NGOs das Kindeswohl missachtete. | |
Der Bericht fordert verbindliche Standards, um sicherzustellen, dass | |
Familien zusammenbleiben, und die Konsultation von Jugendämtern, bevor | |
solche Maßnahmen ergriffen werden. „Die UN-Kinderrechtskonvention gilt | |
uneingeschränkt“, betont Hörnicke. „Daher müssen nächtliche Abholungen,… | |
Anwendung von Zwang gegen die Eltern und die Trennung von Familien gestoppt | |
werden.“ | |
Auch die Anwendung von Hand- oder Fußfesseln benennt der Bericht als | |
Problem. So klagte etwa ein 50-jähriger Mann mit einem nicht operierten | |
Leistenbruch über starke Schmerzen, wurde aber gefesselt, weil er nicht | |
fliegen wollte. Die Fesselung nahe dem schmerzhaften Bereich war laut NGOs | |
unverhältnismäßig, doch die Bundespolizei rechtfertigte sie mit | |
Sicherheitsbedenken. | |
15 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Abschiebung/!t5010216 | |
[2] https://www.diakonie-hamburg.de/export/sites/diakonie/.galleries/downloads/… | |
[3] /Dublin-System/!t5018567 | |
[4] /Hamburger-Abschiebebeobachter-hoert-auf/!5962774 | |
[5] https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/Gesetzestexte/RueckfuehrungsRL.p… | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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