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# taz.de -- Adressenänderung nicht mitgeteilt: Bürokratie führt in die Absch…
> Einem Palästinenser droht die Abschiebung nach Griechenland. Klagen
> konnte er nicht mehr, weil der Bescheid an den alten Wohnort geschickt
> wurde.
Bild: Geschickt wurde der Bescheid an die alte Adresse: die Erstaufnahmeeinrich…
Osnabrück taz | Internationaler Schutzstatus. Das klingt gut – auf den
ersten Blick. Wer ihn als Flüchtling zuerkannt bekommt, scheint im sicheren
Hafen. Aber das kann täuschen. Ein Palästinenser aus Gaza, seit Anfang 2022
in Deutschland und wohnhaft in der Region Hannover, spürt derzeit, wie
wenig Schutz dieser Status bietet, wenn es hart auf hart kommt. Er soll
[1][nach Griechenland abgeschoben] werden. Verwandte hat er dort nicht,
auch keine Wohnung. Er ist mittellos. Die Folge wäre, mit großer
Wahrscheinlichkeit, ein Leben auf der Straße.
Sein Asylverfahren wird durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) geführt. Wie das geschieht, empört Muzaffer Öztürkyilmaz,
Geschäftsführung des Flüchtlingsrats Niedersachsen in Hannover, zutiefst.
„Daraus spricht eine Arroganz der Macht“, sagt er der taz. „Eine
erschreckende Kälte.“
Ein Umzug, Mitte 2022, angeordnet durch die Landesaufnahmebehörde, ist dem
Flüchtling zum Verhängnis geworden. Von der Erstaufnahmeeinrichtung in Bad
Fallingbostel sei er in eine Sammelunterkunft in Burgwedel gewechselt, in
der Region Hannover, sagt Öztürkyilmaz. Obwohl es davon gewusst habe, habe
das Bamf den Asylbescheid, eine Ablehnung, an dessen alte Adresse
geschickt. Als der Palästinenser von der Ablehnung erfuhr, in der
Ausländerbehörde der Region Hannover, war es für eine Prüfung der
Asylentscheidung auf dem Klageweg zu spät.
## Traumatisierender Abschiebeversuch
Vor ein paar Wochen hat die Region Hannover die Abschiebung des
Palästinensers versucht. Was dabei geschah, schildert Öztürkyilmaz so: „Er
ist aus dem zweiten Stock gesprungen und hat sich verletzt. Bis heute ist
er in Behandlung. Hinzu kommt ein psychisches Trauma.“
Jeden Tag könnte ein neuer Abschiebungsversuch folgen. „Wir haben gehofft,
das über Kontakte zur Politik und Verwaltung aus der Welt zu schaffen“,
sagt Öztürkyilmaz. „Aber das schlug fehl.“ Die letzte Chance wäre ein
psychiatrisches Gutachten. Aber das ist langwierig und teuer.
Mehrere Probleme verketten sich hier. Rein rechtlich liegt es in der
Verantwortung der Geflüchteten, dem Bamf jede Adressenänderung mitzuteilen.
„Zu Beginn des Asylverfahrens bekommen sie einen dicken Stapel an Papieren,
in dem auch auf die Pflicht hingewiesen wird, Umzüge zu melden“, sagt
Öztürkyilmaz. „Aber der überfordert stark.“
Der Flüchtlingsrat regt eine Adressermittlungspflicht des Bamf an, zudem
eine Verpflichtung der Landesaufnahme- beziehungsweise Ausländerbehörden,
[2][jede ihnen bekannte Adressänderung dem Bamf mitzuteilen]. „So was kommt
ja häufiger vor“, sagt Öztürkyilmaz. Der Flüchtlingsrat habe den Eindruck,
die Behörde instrumentalisiere die Zustellungsvorschriften, „um Klagen
gegen die Ablehnung von Asylanträgen zu verhindern“.
Und dann ist da noch ein Urteil des niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Lüneburg. Das hatte im Frühjahr 2021
befunden, in Deutschland gestellte Asylanträge von Personen, [3][denen in
Griechenland bereits internationaler Schutz zuerkannt worden sei], dürften
„nicht als unzulässig abgelehnt werden“. Es bestehe „generell die
ernsthafte Gefahr“, dass sie im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland
„ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht werden
befriedigen können“. Das widerspreche der Charta der Grundrechte der EU und
der Europäischen Menschenrechtskonvention. „Dieses Urteil wird von den
Behörden ignoriert“, sagt Öztürkyilmaz.
## Ablehnung im Einzelfall möglich
Die niedersächsische Landesregierung hält an der Abschiebung fest. Oliver
Rickwärtz, Sprecher des Innenministeriums, sagt auf Anfrage der taz, die
Region Hannover sei, als zuständige Ausländerbehörde, an die Entscheidung
des Bamf gebunden, ob laut Aufenthaltsgesetz die Voraussetzungen für ein
Verbot der Abschiebung gegeben seien.
Der ablehnende Bamf-Bescheid beziehe sich auf den Europäischen Gerichtshof:
„Demnach ist eine Ablehnung des Asylantrags eines Antragstellers, dem in
einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationaler Schutz
gewährt wurde, im Einzelfall möglich.“ Dafür müsse festgestellt werden,
dass er „vor Ort keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt sei“, eine
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Nach Auffassung
des Bamf drohe das im vorliegenden Fall nicht.
Ablehnungen von Asylanträgen würden an die Erstaufnahmeeinrichtung
zugestellt. Komme der Flüchtling der Verpflichtung nicht nach,
Adressenänderungen dem Bamf anzuzeigen, müsse er „Zustellungen an die
vorherige, ggf. nicht mehr gültige Anschrift gegen sich gelten lassen“.
## Region beharrt auf Abschiebung
Eine Verpflichtung der Landesaufnahmebehörden beziehungsweise
Ausländerbehörden, jede ihnen bekannte Adressänderung an das Bamf
weiterzugeben, laufe „den gesetzlichen Regelungen zuwider“. Aber: „In der
Praxis“ würden Bescheide von Personen, die bereits auf die Kommunen
verteilt seien, von der Aufnahmebehörde an die Kommunalverwaltungen
weitergegeben, mit der Bitte um Zusendung an die Wohnanschrift. „Im
vorliegenden Fall geschah dies offenkundig nicht“, sagt Öztürkyilmaz. „We…
Behörden Adressen nicht weitergeben, hat das keine Konsequenzen. Wenn
Betroffene das nicht tun, schon.“
Auch die Region Hannover beharrt auf Abschiebung. Sie handele auf Grundlage
der Entscheidung des Bamf, sagt Christoph Borschel der taz, Sprecher der
Region Hannover. Sie laute, „dass die Ausreisepflicht der betroffenen
Person weiterhin besteht“.
28 Jul 2023
## LINKS
[1] /Griechenlands-Justiz-gegen-Schlepper/!5943658
[2] /Bescheid-unzustellbar/!5914318
[3] https://www.proasyl.de/news/anerkannt-in-griechenland-abgelehnt-in-deutschl…
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Niedersachsen
Abschiebung
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Schwerpunkt Flucht
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Migration
Abschiebung
Asyl
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