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# taz.de -- Beobachter über Abschiebungen: „Ein krasser Eingriff in das Sein…
> Felix Wieneke ist am Hamburger Flughafen als Beobachter dabei, wenn
> Menschen abgeschoben werden. Ein Gespräch über Kinderschutz und das
> Wegschauen.
Bild: Trostlosigkeit in einem Bild: Abschiebeknast am Hamburger Flughafen
taz: Herr Wieneke, Sie sind Abschiebungsbeobachter. Was heißt das?
Felix Wieneke: Ich bin als neutrale Instanz am Hamburger Flughafen
anwesend, wenn Menschen von dort in andere Länder abgeschoben werden. Von
dem Moment an, wo sie von der Ausländerbehörde zum Flughafen gebracht
werden, bis zum Einstieg in das Flugzeug. Ich achte darauf, dass Probleme
nicht einfach nur passieren, sondern dass sie dokumentiert und
aufgearbeitet werden. Es gibt ein Gremium, das Flughafenforum, in dem sich
die Verantwortlichen dann erklären und die Fälle besprochen werden.
Sie stehen nur daneben und greifen nicht ein?
[1][Abschiebungsverfahren sind immer sehr extreme Situationen]. Die
Menschen, die abgeschoben werden, wehren sich häufig dagegen, weil sie
einfach nicht gegen ihren Willen irgendwohin gebracht werden wollen. Kein
Mensch will das, das ist eine der äußersten Maßnahmen, die unser Staat
trifft, und ein krasser Eingriff, nicht nur in die Rechte, sondern in das
Sein der Menschen. Wenn ich sehe, dass etwas schiefläuft, beispielsweise
Gewalt in unverhältnismäßigem Maße angewandt wird, dann interveniere ich
nicht selbst, sondern wende mich an die handelnden Personen, in diesem Fall
an die Polizei, die ihr Vorgehen dann noch einmal bewerten kann. Ich
kommuniziere also mit den Verantwortlichen, aber ich habe keine juristische
Kompetenz, sodass ich ein Veto gegen eine Maßnahme einlegen könnte.
Damit befinden Sie sich in einem Spannungsfeld zwischen Behörden und
Betroffenen.
Ja, das ist schon schwierig. Auf der einen Seite stehen die Betroffenen,
die in mir jemanden sehen, der ihre Abschiebung verhindern kann. Aber ich
kann diese Erwartung nicht erfüllen. Das ist auch für mich nicht einfach.
Und auf der anderen Seite stehen die Behörden.
Die wissen, dass ich ihr Handeln kontrolliere. Manche fühlen sich dadurch
auf den Schlips getreten. Diejenigen, die mich und meine Arbeit
kennengelernt haben, haben aber erkannt, dass meine Arbeit ein
konstruktiver Weg ist, Dinge zu reflektieren und kritikwürdige Aspekte
ihrer Arbeit zu besprechen.
Leisten Sie einen Beitrag zur Akzeptanz von Abschiebungen?
Diese Frage kommt oft, aber das ist nicht richtig. Natürlich bewege ich
mich in diesem Kontext und durch meine Präsenz akzeptiere ich gewissermaßen
die Gültigkeit der Entscheidungen, die da getroffen wurden.
Aber?
Aber mein Auftrag ist nicht, Abschiebungen per se infrage zu stellen. Es
gibt eine demokratische Mehrheit, die dafür ist, dass es diese Verfahren
gibt. Wenn ich das ändern wollte, müsste ich in die Politik gehen. Ich muss
aber nicht akzeptieren, dass es ein staatliches Verfahren gibt, das so
intransparent ist. Mein Auftrag ist, das zugänglicher zu machen für
Außenstehende. Wenn man den Jahresbericht liest, sieht man, dass wir vor
allem Probleme benennen. Das ist die Idee: Wir brauchen eine Fehlerkultur
in den Bereichen des staatlichen Handelns und in diesem ganz besonders,
weil er das Leben von Menschen betrifft. Es ist kein gutes Zeichen, dass
das unter Ausschluss der Öffentlichkeit passiert.
Finden im Moment überhaupt Abschiebungen statt?
Seit dem 13. März gibt es einen faktischen Abschiebungsstopp am Hamburger
Flughafen. Die Behörden führen Abschiebungsverfahren weiter und die
Ausreisepflicht bleibt bestehen. Aber aufgrund von Grenzschließungen und
fehlenden Flugverbindungen finden derzeit keine Abschiebungsflüge von
Hamburg aus statt. Was mit Abschiebung per Auto oder Schiff ist, kann ich
nicht sagen. Solche Abschiebungen gibt es ja auch, aber die beobachte ich
nicht.
In Ihrem [2][neuen Jahresbericht] benennen sie 20 diskussionswürdige Fälle.
Was heißt das?
Das heißt, dass aus meiner Sicht etwas nicht so gelaufen ist, wie es hätte
laufen sollen, beispielsweise weil Gewalt angewandt wurde.
Sie fordern einen speziellen Bereich für Kinder am Flughafen. Sind
Abschiebungen von Kindern vertretbar?
Ich persönlich halte das nicht für vertretbar. Es gibt diesen Rechtsrahmen,
aber manche Situationen bilden sich in der Realität einfach anders ab.
Natürlich könnte das Land einfach eine Erlassregelung machen, dass Kinder
nicht abgeschoben werden. Solange das nicht passiert, brauchen Kinder einen
geschützten Raum. Das haben wir oft geäußert, das ist bisher nicht
passiert.
Sie schildern auch einen Fall, in dem eine Landespolizistin ein Kind massiv
unter Druck gesetzt und ihm gedroht hat, es werde ohne seine Mutter
abgeschoben, wenn diese nicht mitwirke.
Das ist für mich untragbar. Es gibt auch staatsanwaltschaftliche
Ermittlungen gegen die Beamtin.
Sie kommt wegen einer erzwungenen Medikamentengabe bereits in I[3][hrem
letzten Bericht] vor.
Ja, es handelt sich um dieselbe Person. Als es um die Medikamente ging,
wurde das Verfahren eingestellt, jetzt wieder aufgenommen. Ich wurde dazu
noch nicht befragt. Ich weiß nicht, wie dieses Verfahren abläuft. Das ist
für mich nicht nachvollziehbar. Es ermittelt eine Staatsanwaltschaft gegen
eine Polizeibeamtin, das ist alles, was ich dazu sagen kann.
Hamburg hat schon extra Ambulanzflugzeuge gemietet, um kranke Menschen
abzuschieben. Wie wird das gerechtfertigt?
Juristisch gesehen besteht in diesen Fällen eine Ausreisepflicht, die von
den Behörden durchgesetzt wird. Die Ausländerbehörde stellt eine Rechnung
auf: Was kostet die Maßnahme und was würde die Weiterbehandlung kosten? Das
sind sehr, sehr traurige Argumente. Ich finde, es ist nicht zu
rechtfertigen, dass Menschen, die schon unter einer Belastung stehen,
vielleicht sogar an einer tödlichen Krankheit leiden, so eine Maßnahme
auferlegt wird. Eine Person die krank ist, braucht besonderen Schutz. Mein
Eindruck ist, dass der politische Wille, eine bestimmte Abschiebungsquote
zu erreichen – den gibt es ja –, vor allem auf Kosten der Menschen
durchgesetzt wird, die weniger mobil sind, die weniger vernetzt sind und
die vielleicht leichter aufzufinden sind, weil sie sich wegen ihrer
Behandlung anderen anvertrauen müssen.
Bedingung dafür ist ja die Reisefähigkeit der Betroffenen. Auch das ist
nicht unumstritten.
2016 gab es eine Gesetzesänderung. Der Vorwurf war damals, dass Menschen
Scheinatteste ausgestellt würden, damit sie nicht abgeschoben werden.
Deshalb wurden die Abschiebehindernisse abgesenkt. Jetzt geht es nur noch
um die Frage: Kann die Person fliegen? Wie es in dem Land, in das sie
gebracht wird, weitergeht, ist unerheblich. Die Ärztinnen und Ärzte, die
die Gutachten jetzt erstellen, sind nur der Behörde berichtspflichtig, die
sie beschäftigt, und öffentlich nicht ansprechbar. Da besteht keine
Unabhängigkeit, sondern ein klares Interesse, bestimmte Dinge
durchzuziehen. Das finde ich höchst fragwürdig.
Auf einer Konferenz forderten Sie vor einigen Wochen, dass jede*r
Politiker*in sich die Realität einer Abschiebung mal ansehen müsste. Warum?
Ich habe am Anfang immer gedacht: Ich schreibe diesen Jahresbericht und
dann wird der von allen gelesen, dann kommen Rückfragen und ich gehe in die
entsprechenden Ausschüsse. Ich habe aber gemerkt, dass die Informationen
meistens gar nicht in die Parlamente und Entscheidungsebenen vordringen.
Deshalb plane ich gerade unterschiedliche Formate, um die Informationen
weiterzugeben. Ich finde, es steht uns allen, nicht nur Deutschland, nicht
gut, das Thema Abschiebung so an den Rand zu drängen. Wir müssen uns damit
befassen, dass es diese Zugehörigkeitsfragen gibt und dass diese nach wie
vor auf eine sehr gewaltsame Weise gelöst werden. Da kann man nicht einfach
wegschauen.
Das gilt aber für alle Mitglieder der Gesellschaft.
Ich merke das auch privat. Wenn ich jemandem erzähle, was ich mache, dann
gibt es zwei Reaktionen. Entweder: Wow, spannend, erzähl mal. Oder das
Gespräch wird sofort unterbunden. Vielleicht ist das so ein
Convenience-Gedanke der Gesellschaft. Ich kann das auch verstehen, das ist
ein heikles Thema und heikle Themen hält man lieber von sich fern. Aber das
geht nicht. Abschiebungen passieren im Namen aller, die nicht dagegen sind.
Wir müssen genauer hinsehen und nicht immer nur über Zahlen reden.
Das klingt, als hätten Sie sich Ihre Arbeit anders vorgestellt.
Ich dachte, das Thema sei so wichtig, dass ich von verschiedenen Stellen
mehr abgefragt werde, dass mehr Kritik oder Zuspruch kommt.
Grundlage der Finanzierung Ihrer Stelle ist der Koalitionsvertrag von SPD
und Grünen. Nun laufen neue [4][Koalitionsverhandlungen]. Wie wird es
weitergehen?
Wir haben mehrfach betont, dass es gut wäre weiterzumachen, und auch die
Behörden, mit denen wir reden, sind sich da einig. Wenn diese Signale bei
den Parteien gehört werden, kann ich mir gut vorstellen, dass es
weitergeht. Allerdings würde ich Wert darauf legen, sich nochmal darüber zu
unterhalten, wie die Beobachtung gestaltet wird.
Was meinen Sie?
Ich finde es wichtig, für die Beobachtung einen größeren Ausschnitt zu
wählen, um das Verfahren überhaupt fassen zu können. Wenn ich am Flughafen
die Menschen treffe, ist schon viel passiert. Diese Informationen fehlen
mir, genau wie das, was nach der Abschiebung passiert. Ich denke, das ist
ein Teil des Wegschauens. Im Moment kann ich nicht mal 25 Prozent der
Abschiebungen aus Hamburg beobachten. Es braucht mehrere Beobachter. Ich
wünsche mir auch eine formale Interventionsmöglichkeit und dass eben nicht
nur eine Diskussion geführt wird aufgrund des Jahresberichts, sondern dass
auch Ziele verabredet werden. Das müsste man dann natürlich mit denen
machen, die das politisch verantworten. Es geht nicht darum, dass ich dazu
da sein will, Abschiebungen zu verhindern, ich leite diese Forderungen aus
meinen Erfahrungen ab. Wenn man weiß, was bei Abschiebungen passiert, sind
die Forderungen nachvollziehbar.
6 May 2020
## LINKS
[1] /Abschiebungen-nach-Afghanistan/!5672188
[2] https://www.diakonie-hamburg.de/export/sites/default/.content/downloads/Fac…
[3] https://www.diakonie-hamburg.de/export/sites/default/.content/downloads/Fac…
[4] /Koalitionsgespraeche-beginnen-in-Hamburg/!5678079
## AUTOREN
Marthe Ruddat
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