| # taz.de -- Übergriffe bei Abschiebungen: Polizistin mangelt es an Empathie | |
| > Weil sie ein Kind bei einer Abschiebung unter Druck gesetzt haben soll, | |
| > ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen eine Polizistin. | |
| Bild: Polizist*innen sind auch an Abschiebungen beteiligt | |
| Hamburg taz | Minutenlang soll eine Polizistin ein zwölfjähriges Mädchen | |
| bei seiner Abschiebung unter Druck und in Angst versetzt haben. So steht es | |
| im aktuellen Bericht des [1][Hamburger Abschiebungsbeobachters]. Mehrfach | |
| habe sie dem Mädchen demnach „in rauem Ton“ gesagt, dass sie und ihre | |
| Brüder allein ohne die Mutter abgeschoben würden. Die Polizistin versuchte | |
| offenbar über das Kind, die Mutter zur Mitwirkung bei der Abschiebung zu | |
| drängen. | |
| Auf Anfrage der taz bestätigt die Staatsanwaltschaft Hamburg nun, dass | |
| gegen die Beamtin der Polizei im schleswig-holsteinischen Boostedt wegen | |
| [2][versuchter Nötigung im Amt] ermittelt wird. | |
| Der Abschiebungsbeobachter Felix Wieneke ist bei Abschiebungen vom | |
| Hamburger Flughafen aus dabei – als neutraler Beobachter. Was er | |
| dokumentiert, wird in einem Gremium, dem Flughafenforum, besprochen. Darin | |
| vertreten sind unter anderem Mitglieder der Innenministerien verschiedener | |
| Bundesländer, der Polizei und Organisationen der Geflüchtetenhilfe. Einmal | |
| im Jahr veröffentlicht das Forum [3][einen Bericht], in dem auch einzelne | |
| Abschiebungssituationen beschrieben werden. | |
| So auch die des Mädchens und seiner aus Afghanistan stammenden Familie, die | |
| Anfang September vergangenen Jahres nach Stockholm abgeschoben werden | |
| sollten. Demnach klagte die Mutter über starke Bauchschmerzen, als Wieneke | |
| vor Ort eintraf. Die hinzugerufenen Sanitäter empfahlen, die Frau in ein | |
| Krankenhaus zu bringen. Daraufhin schlug die Polizistin vor, die drei | |
| volljährigen Brüder und die zwölf Jahre alte Schwester allein abzuschieben, | |
| während die Mutter behandelt werde. „Ich hatte den Eindruck, dass die | |
| Polizistin die Kontrolle über ihr Handeln verloren hat“, sagt Wieneke zur | |
| taz. „Für sie schien im Vordergrund zu stehen, die Personen außer Landes zu | |
| schaffen.“ | |
| Die Brüder waren laut Wieneke zu dem Zeitpunkt bereits in einem anderen | |
| Raum. Die Tochter sei bei der Mutter gewesen und habe nach dem Vorschlag | |
| der Polizistin laut zu weinen und zu schreien angefangen. Trotzdem habe die | |
| Polizistin weitergemacht, gesagt, das Mädchen könne sich das nun überlegen | |
| und mit seiner Mutter sprechen. Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde | |
| „interveniert schlussendlich“ und habe der Polizistin erklärt, dass eine | |
| Trennung des Kindes von der Mutter nicht zulässig sei. | |
| „Solche Abschiebungen sind immer sehr aufgeregte Situationen, auch in | |
| diesem Fall war viel Aufregung im Raum“, sagt Wieneke. Er habe vorher noch | |
| nicht beobachtet, dass ein Kind so unter Druck gesetzt wurde. Dass die | |
| Staatsanwaltschaft ermittelt, wusste er bereits, befragt wurde er aber noch | |
| nicht. Das kann wohl noch passieren, laut Staatsanwaltschaft wurde um die | |
| Vernehmung mehrerer Zeug*innen gebeten. | |
| Auch im zuständigen Landespolizeiamt in Schleswig-Holstein seien die | |
| Vorwürfe bekannt, wie ein Sprecher auf taz-Anfrage mitteilt. Für den | |
| Einsatz bei Abschiebungen gibt es demnach eine eigene Einheit, die das Amt | |
| für Ausländerangelegenheiten unterstützt. Die Einheit gebe es seit Jahren, | |
| die Mitarbeiter*innen seien erfahren. „Ergeben sich grundsätzliche oder | |
| einzelfallbezogene Auffälligkeiten, werden diese erforderlichenfalls | |
| nachbereitet“, so der Sprecher. | |
| Was das im Fall der Polizistin heißt, bleibt aber unklar. Aus Gründen des | |
| Persönlichkeitsschutzes will der Sprecher nicht sagen, ob die Polizistin | |
| noch bei Abschiebungen eingesetzt wird. | |
| „Die Verantwortlichen sollten zumindest überlegen, ob die Person weiter in | |
| diesem Bereich eingesetzt werden sollte“, findet Wieneke. Denn: Es sei | |
| nicht das erste Mal, dass Vorwürfe gegen die Beamtin erhoben würden. | |
| Bereits [4][im letzten Bericht] des Abschiebungsbeobachters schildert er | |
| eine Situation mit einer aufgebrachten Frau, die abgeschoben werden sollte. | |
| Die Frau habe abgelehnt, eine von einem herbeigerufenen Notarzt angebotene | |
| Beruhigungstablette zu nehmen. Auch der Ehemann und die Tochter hätten | |
| vergeblich versucht, ihr die Tablette zu geben. Dann habe sich die | |
| Polizistin die Tablette genommen und sich über die Frau gekniet, die auf | |
| einer Sitzfläche lag. „Sie redete heftig auf sie ein, es sei besser, wenn | |
| sie das Medikament nähme“, steht in dem Bericht. | |
| Wieneke versuchte demnach die Polizistin anzusprechen und fragte, ob sie | |
| versuche, der Frau gegen ihren Willen ein Medikament zu geben. Aber sie | |
| habe nicht reagiert. „Eigentlich ist es nicht meine Aufgabe, bei | |
| Abschiebungen zu intervenieren“, sagt Wieneke. „In diesem Fall habe ich das | |
| tatsächlich gemacht, um zu unterbinden, was da gerade passiert.“ Der | |
| Eindruck, dass dort Zwang gegen die Frau angewendet werde, sei für ihn | |
| eindeutig gewesen. | |
| Laut Bericht stimmte der Notarzt Wienekes Einschätzung zwar zu, unternahm | |
| aber nichts. Die Beamtin blieb über der Frau und hielt ihr die Tablette vor | |
| den Mund, bis diese sie einnahm. Wegen des Zustandes der Frau wurde die | |
| Abschiebung abgebrochen. | |
| Auch zu diesem Fall wurde Wieneke nicht von Ermittlungsbehörden befragt. | |
| Laut Staatsanwaltschaft wurden die Ermittlungen gegen die Beamtin | |
| eingestellt, weil ein Anfangsverdacht für eine Straftat nicht bejaht wurde. | |
| Zu den Gründen konnte sich die Staatsanwaltschaft bis Redaktionsschluss | |
| nicht äußern, wolle das aber tun, sobald ihr die Akte vorliege. Wann die | |
| Ermittlungen wegen der versuchten Nötigung abgeschlossen sind, ist noch | |
| nicht absehbar. | |
| 22 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marthe Ruddat | |
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