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# taz.de -- Widerrufsprüfverfahren beim Asyl: „Ich will nicht zurück“
> Das Bamf überprüft Hunderttausende positiver Asylbescheide. Fast alle
> Entscheidungen werden bestätigt. Trotzdem haben Betroffene Angst.
Bild: Schon wieder Dokumente beim Bamf vorlegen: Das gehört zum Alltag vieler …
Berlin taz | Es ist Anfang Februar, als Maryam Tamimi einen Brief vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erhält. „Ladung zur
Befragung“ steht da, von einer „Mitwirkungspflicht“ im „Widerrufs- bzw.
Rücknahmeverfahren“ ist die Rede. Maryams Asylverfahren wurde 2016 positiv
entschieden, ihre Identität vom Bamf geprüft, inzwischen studiert sie im 4.
Semester Maschinenbau und ist gerade mitten in der Prüfungsphase. „Sie
haben mich schon alles gefragt und ich habe ihnen schon alles erzählt“,
sagt sie. „Was gibt es jetzt?“
Tamimi heißt eigentlich anders. Weil sie Angst vor Konsequenzen für ihren
Aufenthaltsstatus hat, soll ihr Name nicht öffentlich werden. „Ich habe mir
viele Gedanken darüber gemacht, ob sie mich jetzt wieder nach Syrien
zurückschicken“, berichtet die Studentin. „Ich habe alle meine Termine bei
der Ausländerbehörde pünktlich eingehalten, mich integriert, die Sprache
gelernt, ich schaffe meine Prüfungen.“ Sie habe „Angst, weil eigentlich
schon alles geklärt ist“.
Tamimis Situation ist kein Einzelfall. 218.123 „Widerrufsprüfverfahren“
sind derzeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anhängig, 192.664
führte das Bamf bereits 2018 durch. Innerhalb der [1][ersten drei bis fünf
Aufenthaltsjahre] sieht das deutsche Asylrecht eine Überprüfung von
Flüchtlingsanerkennungen vor. In bestimmten Fällen kann der Schutzstatus
aufgehoben werden.
Ein Widerruf des Flüchtlingsstatus ist möglich, wenn die Gründe der Flucht
nicht mehr bestehen – zum Beispiel, weil sich die Situation im
Herkunftsland der Betroffenen maßgeblich verbessert hat. Eine Rücknahme des
Schutzstatus erfolgt, wenn eine Flüchtlingsanerkennung irrtümlich vergeben
wurde, beispielsweise wegen falscher Angaben bei der Antragsstellung.
Beides ist selten der Fall – die Rücknahme- und Widerrufsquote belief sich
auf 1,2 Prozent im Jahr 2018 und 3,3 Prozent in 2019.
Anlasslose Befragungen
Beratungsstellen beobachten, dass anerkannte Flüchtlinge immer häufiger und
ohne erkenntlichen Anlass im Rahmen der Widerrufs- und Rücknahmeverfahren
zum Gespräch vorgeladen werden. Gegenüber der taz versichert das
Bundesinnenministerium, dass Betroffene vom Bamf – wie gesetzlich
vorgesehen – nur zur Mitwirkung aufgefordert werden, wenn diese
erforderlich und zumutbar sei. Pro Asyl sieht das anders. „Unserer Meinung
nach erfolgt eine solche Einzelfallprüfung in der Praxis nicht“, sagt deren
rechtspolitische Referentin Wiebke Judith.
Anstelle pauschaler Vorladungen plädiert die Menschenrechtsorganisation
dafür, Widerrufs- und Rücknahmeverfahren nur bei konkreten Hinweisen auf
Aberkennungsgründe zu veranlassen. Erst dann sollte ein Gespräch
stattfinden, in dem das Bamf die vermeintlichen Gründe vorlegt und die
Betroffenen sich dazu äußern können. Ein solches Vorgehen entspräche auch
den europarechtlichen Vorgaben.
Auch Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im
Bundestag, plädiert für die Abschaffung der Regelüberprüfungen. „Das wür…
dem Bamf viel überflüssige Arbeit und den Schutzbedürftigen eine Zeit der
Unsicherheit ersparen“, sagt sie. „Überprüfungen in konkreten
Verdachtsfällen würden völlig genügen.“ Die neuen Ressourcen könnten in …
Bearbeitung der über 50.000 offenen Asylverfahren fließen. Im Jahr 2018
waren 419 Beschäftigte des Bamf ausschließlich mit Widerrufsprüfungen
befasst.
„Der Frieden ist so schön hier. Ich will [2][nicht zurück in den Krieg]“,
sagt Maryam Tamimi. Sie war 17 Jahre alt, als sie sich allein auf den Weg
von Damaskus nach Deutschland machte. Ihre Familie harrt noch immer in
Syrien aus. Mit der Vorladung des Bamf kam auch die Angst, erneut über ihre
Flucht berichten zu müssen. „Ich will davon nicht nochmal erzählen. Ich
versuche selbst, das zu vergessen“, sagt sie.
Die Gespräche im Rahmen der Widerrufs- und Rücknahmeverfahren glichen
häufig einer zweiten Anhörung, kritisieren Aktivist*innen. Für viele
Geflüchtete bedeute das eine massive emotionale Belastung, die bleibe, auch
wenn das Verfahren zu ihren Gunsten entschieden werde, kritisiert Pro Asyl.
Tamimi hofft, dass ihr Verfahren gut ausgeht. Am Mittwoch hatte sie ihren
Termin beim Bamf. Es sei „gut gelaufen“, sagt sie. Wie viel Zeit nun
vergehen wird, bis sie über den Ausgang des Verfahrens Bescheid bekommt,
weiß sie nicht. Und so bleibt vorerst auch die Unruhe.
20 Feb 2020
## LINKS
[1] /Ueberpruefung-von-Asylverfahren/!5558207
[2] /Kaelte-in-Syrien/!5663756
## AUTOREN
Franziska Schindler
## TAGS
Asylverfahren
Schwerpunkt Flucht
Pro Asyl
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Einwanderung
Abschiebung
Asylverfahren
Migration
Seenotrettung
Schwerpunkt Flucht
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