# taz.de -- Flüchtlingslager in Griechenland: Gewalt, Kälte, Angst | |
> 20.000 Geflüchtete harren auf der Insel Lesbos aus. Die Anspannung unter | |
> den Schutzsuchenden steigt – aber auch unter den Inselbewohnern. | |
Bild: Außerhalb des offiziellen Flüchtlingscamps auf Lesbos: Feuermachen gege… | |
Lesbos taz | Framaz Kakar ist vor zwei Monaten auf Lesbos angekommen. Der | |
50-Jährige flüchtete mit seiner Frau und den sechs Kindern aus Afghanistan. | |
Dort leitete er ein internationales Logistikunternehmen, doch er wurde von | |
den Taliban bedroht, wie er sagt. | |
Müde schiebt der Mann die Plastikplane ein Stück zur Seite, die als Tür | |
seines Zeltes dient. Zwei Matratzen liegen auf dem Boden, auf denen einige | |
Decken ordentlich zusammengefaltet wurden. Seine sieben und fünfjährigen | |
Söhne streifen ihre Schuhe am Zelteingang ab und ziehen schnell eine der | |
Decken über ihre nackten Füße. | |
„Hier sollte kein Mensch leben müssen“, sagt Framaz Kakar und schüttelt d… | |
Kopf. Von Europa hat er sich Sicherheit, wenigstens ein menschenwürdiges | |
Leben erhofft. Doch täglich komme es hier zu Gewalt, die Situation sei | |
angespannt, berichtet Kakar. „Niemand beschützt uns“, sagt er. „Wenn es | |
dunkel wird, gehen wir nicht mehr aus unserem Zelt.“ | |
Zu Anfang der Massenflucht nach Europa konnten die Geflüchteten, die auf | |
den griechischen Inseln ankamen, ihren Weg in andere EU-Länder ungehindert | |
fortsetzten. Doch seitdem [1][im März 2016 das Flüchtlingsabkommen] mit der | |
Türkei geschlossen wurde, müssen die Menschen auf den Inseln ausharren, bis | |
über ihren Status entschieden wird – und das dauert, denn die Behörden | |
brauchen viel zu lange, um die vielen Anträge zu bearbeiten. | |
## Das offizielle Camp ist völlig überfüllt | |
Mittlerweile sitzen [2][über 40.000 Geflüchtete auf den griechischen | |
Inseln] fest. Die Kapazitäten des Hotspots Moria – dem vom griechischen | |
Staat betriebenen Anmeldezentrum für Asylsuchende – reichen für knapp 3.000 | |
Menschen. Auf den Olivenhainen rund um das offizielle Registrierungslager | |
Moria hat sich ein wildes Camp aus Zelten und selbst gebauten Holzhütten | |
gebildet – der sogenannte Olive Grove. Mittlerweile leben in Moria über | |
20.000 Schutzsuchende. Etwa 40 Prozent von ihnen sind Kinder. | |
Beißender Rauch liegt in der Luft. Ein ständiges Hämmern mischt sich unter | |
das Stimmengewirr der innerhalb von Wochen entstandenen Flüchtlingsstätte | |
rund um Moria. Zwischen abgeholzten Olivenhainen spielen Kinder im Dreck, | |
einige suchen nach Holzscheiten. Feuerstellen glimmen, Müllberge türmen | |
sich. Es ist kalt. Die NGOs vor Ort wirken vollkommen überfordert. | |
Ein junger Familienvater zeigt auf sein Zelt, das neben einem kleinen | |
Abhang steht. In der letzten Nacht habe das Regenwasser sein Zelt | |
überschwemmt – alles sei nass, seine Kinder frören, sagt er. | |
Sein Nachbar trägt einen schwach aussehenden Jungen auf dem Arm. Vorsichtig | |
schiebt er das eine Hosenbein des Kindes nach oben. Das Bein ist mit | |
Pusteln übersät – von der Kälte, erklärt der Vater. Das Kind sei nach zwei | |
Tagen im Hospital weggeschickt worden, da die Kapazitäten nicht | |
ausreichten, es länger zu versorgen. | |
Unweit des Flüchtlingslagers liegt das Dorf Moria mit etwa 1.000 Bewohnern. | |
In den Cafés der Dorfhauptstraße sitzen einige von ihnen, nippen an ihrem | |
Kaffee, spielen Karten. Rentnerin Maria kennt hier jeden Stein, jede Ecke, | |
denn sie ist in Moria aufgewachsen. „Früher war hier alles friedlich, | |
leider hat sich das in den letzten Jahren geändert“, sagt Maria. Seit das | |
Lager in Moria immer weiter außer Kontrolle gerät, fühlen sich die | |
Dorfbewohner nicht mehr sicher. „Bei einer Freundin wurde bereits zweimal | |
eingebrochen“, berichtet die Rentnerin und schaut ernst über den Rand ihrer | |
schwarzgerahmten Brille. Nein, es sei nichts Wertvolles geklaut worden – | |
Anziehsachen und Nahrung – aber wo solle das alles hinführen? „Es kommen | |
immer mehr Menschen hierher, und wir werden mit ihnen allein gelassen“, | |
sagt sie. | |
Deshalb haben die Dorfbewohner eine Bürgerwehr gegründet, die keinen der | |
Geflüchteten ins Dorf lässt. Dass die Bürgerwehr mit Schlagstöcken | |
bewaffnet auch Jagd auf Flüchtlinge macht, sagt Maria nicht. In der | |
vorherigen Woche wurden mehrere Männer im Alter von 17 bis 24 Jahren | |
festgenommen. „Ich verstehe die schreckliche Lage der Geflüchteten – aber | |
wir hatten hier auch mal ein gutes, normales Leben“, seufzt Maria. „Europa | |
überlässt uns unserem Schicksal“, sagt sie. | |
Um die Lage unter Kontrolle zu bringen, hat die liberal-konservative | |
Regierung unter Kyriakos Mitsotakis strengere Asylgesetze auf den Weg | |
gebracht: Jeder Antragsteller bekommt 25 Tage Zeit für sein Verfahren. Kann | |
er in dieser Zeit nicht überzeugen, dass er schutzbedürftig ist, wird er | |
abgeschoben. Zeichensetzend schickt die griechische Regierung erstmals nach | |
Monaten abgelehnte Asylbewerber zurück in die Türkei. | |
Kritiker sehen den harten Kurs der Regierung mit Sorge: Sie befürchten, | |
dass den Asylbewerber kein gerechtes Verfahren garantiert ist. | |
15 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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