Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Spenden aus Berlin für Geflüchtete: Mehr als Decken
> Den Geflüchteten auf den griechischen Inseln helfen will man bei „Wir
> packen’s an“. Ihr Anliegen gehe aber darüber hinaus, sagt Miriam Tödter.
Bild: Januar 2020 auf Lesbos: Ein Blick auf ein provisorisches Lager
taz: Frau Tödter, Ihre Organisation „Wir packen’s an“ sammelt in Berlin …
Umgebung Spenden für die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln. Was ist
dort bislang angekommen?
Miriam Tödter: Nach unseren Aufrufen bei Facebook sind so viele Spenden
eingegangen in den verschiedenen Berliner Sammelstellen, etwa bei Moabit
hilft oder der Zionskirche in Mitte, aber auch in Bad Freienwalde, dass wir
inzwischen fünf Trucks voll haben. Es kamen auch viele Freiwillige zum
Sortieren und Packen in das Lager in Bad Freienwalde, sogar aus Dänemark.
Andere kamen mit dem Auto aus Kassel, um Sachen zu bringen – die
Hilfsbereitschaft ist unglaublich. Vier Lkws sind inzwischen in
Griechenland angekommen, der letzte startet diese Woche – und wir hoffen,
dass wir mit dem noch alle Spenden wegkriegen. Zum Glück ist es so viel,
muss man sagen, denn von unseren griechischen Partnerorganisationen [1][auf
den Inseln Lesbos, Samos, Kos und Chios wissen wir, dass der Bedarf
unglaublich hoch ist.] Die Lager dort sind alle komplett überfüllt mit
viermal so vielen Menschen, wie eigentlich Platz haben.
Wo genau sind Ihre Lkws gelandet?
Die ersten beiden sind nach Lesbos gegangen zur Organisation „Attica Human
Support“, die betreibt dort ein „Warehouse“, eine Art Lager in der Nähe …
Camps Moria. Das Problem, das alle Inseln haben, ist, dass sie unglaublich
viele Dinge brauchen, aber keinen Lager- und Stauraum haben. Auf Kos zum
Beispiel, wo unsere Partnerorganisation aus Regensburg Flying help
hinliefert, ist nach der ersten Lieferung das Lagerhaus aus allen Nähten
geplatzt. Darum hat Flying help aufgerufen, dass sie HelferInnen brauchen,
um ein wetterfestes Lager zu bauen. Dort ist nun eine unserer Freiwilligen
aus dem Oderbruch für zwei Wochen vor Ort und packt mit an.
Was bringen Sie dorthin, vor allem Zelte, Wintersachen?
Zelte sind es gar nicht so viele. In erster Linie ist es Kleidung. Außerdem
besteht ein hoher Bedarf in allen Lagern an Windeln. Ich fliege nächste
Woche nach Chios, die Partner dort haben dringend um Windeln gebeten. Darum
hatten wir eigens dafür noch einmal einen Spendenaufruf gemacht und Leute
aus der ganzen Republik haben daraufhin Pakete schicken lassen von
Drogeriemärkten. Als ich das unserer Partnerin auf Chios am Telefon erzählt
habe, hat sie fast geheult vor Freude. Die haben gerade gar keine Windeln,
weil es so viele Babys, Neugeborene und kleine Kinder dort sind.
Sie sind am vergangenen Dienstag nach Chios geflogen: Was, so haben Sie
gedacht, wird Sie dort erwarten? Ein überfülltes Camp der griechischen
Regierung mit Baracken und Zeltstädten?
Zeltstädte klingt nach festen Großzelten, wie man sie von
UN-Flüchtlingslagern kennt. Nein, das sind kleine, gespendete Zelte, wie
wir sie zum Campen im Sommer benutzen. Nichts, was für dauerhaftes Wohnen
oder gar Kälte geeignet ist. Und gerade auf Chios, was am nächsten an der
türkischen Grenze liegt, kommen seit einigen Monaten wieder besonders viele
Flüchtlinge, etwa aus Syrien, an. Unsere Partner dort, die versuchen, die
in Booten ankommenden Menschen aus der Brandung zu retten, haben uns daher
gebeten, Trockennahrung mitzubringen, also Kekse, Schokolade, Traubenzucker
– alles, was sich gut aufbewahren lässt und in kleinen Bissen schnell
Energie gibt.
Die griechische Regierung plant, die Flüchtlinge jetzt möglichst schnell
aufs Festland zu bringen. Sind Sie dann mit Ihren Hilfslieferungen
womöglich an der falschen Stelle?
Wir haben auch nach Thessaloniki geliefert im Norden Griechenlands. Dort
gibt es mehrere Lager, wo die Flüchtlinge von den Inseln hingebracht werden
sollen. Das Problem: Auch diese Lager platzen schon jetzt aus allen Nähten,
nehmen nur noch Frauen und Kinder auf. Unser Mitorganisator Axel Grafmanns,
früher Geschäftsführer bei SeaWatch, war gerade dort und hat es gesehen:
Männer, auch männliche Jugendliche werden nicht aufgenommen, sie schlafen
auf der Straße, ohne Schutz. Als unser Lkw dort ankam, konnten unsere
Partner diesen Jungs erstmals Schlafsäcke und Isomatten aushändigen.
Der Initiator von „Wir packen’s an“, Andreas Steinert, hatte der taz
erzählt, er versuche, auf einer der Inseln Appartements oder ein Hotel
anzumieten für besonders gefährdete Flüchtlinge, etwa Mütter mit kleinen
Kindern. Was ist daraus geworden?
Das ist ein Projekt auf Kos von unseren Partnern von Flying help, wir
unterstützen das finanziell. Ich glaube, sie haben auch schon die ersten
Zimmer angemietet, aber noch in kleinem Umfang. Es ist auf jeden Fall
sinnvoll, das weiter finanziell zu unterstützen, entweder über uns oder mit
einer Spende an Flying help.
Berlin und andere Städte haben erklärt, [2][sie wären bereit, Kinder und
Jugendliche von den Inseln aufzunehmen]. Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) verweigert seine Zustimmung. Deswegen wird es am Samstag eine Demo
geben von Seebrücke. Was kann man noch tun?
Mein Eindruck ist, dass unsere kleine Spendenaktion zwei Dinge erreicht
hat. Einmal natürlich, die Leute dort zu versorgen. Zum anderen haben wir,
indem die taz und andere Medien darüber berichten, das Thema hierher nach
Deutschland geholt. Damit möglichst viel von dem, was dort passiert, hier
bekannt wird – und zwar nicht auf der Ebene von „Wir packen’s an“, sond…
auf der Ebene der Betroffenen, die dort im Schlamm leben oder auf dem
Schotter ihr Kind bekommen müssen. Nur so können wir
zivilgesellschaftlichen, fast möchte ich sagen, moralischen Druck aufbauen.
Denn wir müssen handeln, es gibt eine moralische, politische,
zivilisatorische Pflicht zu handeln. Insofern finde ich den Aktionstag am
8. Februar wunderbar. Unser Anliegen geht definitiv darüber hinaus, den
Menschen Decken zu geben. Das ist notwendig, aber das reicht nicht.
6 Feb 2020
## LINKS
[1] /Generalstreik-auf-griechischen-Inseln/!5655982&s=lesbos/
[2] /Aufnahme-von-Gefluechteten-in-Hamburg/!5653920&s=kinder+auf+lesbos/
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Lesbos
Geflüchtete
Seebrücke
Schwerpunkt Flucht
Lesestück Recherche und Reportage
Migration
Schwerpunkt Flucht
Griechenland
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hilfe für Flüchtlingslager: „Das Virus ist eine Atombombe“
Im überfüllten Flüchtlingslager von Chios wäre auch nur ein Corona-Fall ein
Desaster, sagt ein Helfer. Berliner sammeln Geld für die einzige „Klinik“.
Flüchtlingslager Moria auf Lesbos: Die verlorenen Kinder
Sie gehen nicht zur Schule, leben in Zelten und 250 teilen sich eine
Toilette. 8.000 Flüchtlingskinder leben auf der griechischen Insel Lesbos.
Flüchtlingslager in Griechenland: Gewalt, Kälte, Angst
20.000 Geflüchtete harren auf der Insel Lesbos aus. Die Anspannung unter
den Schutzsuchenden steigt – aber auch unter den Inselbewohnern.
Bericht des UNHCR zu Resettlement: Zu wenige Plätze für Geflüchtete
Laut UNHCR fehlen weltweit 1,4 Millionen Plätze für dringend
schutzbedürftige Flüchtlinge. Auch Deutschland hält die Versprechungen
bisher nicht ein.
Flüchtlingspolitik in Griechenland: Barrieren gegen Migranten
Mit schwimmenden Barrieren sollen Flüchtlinge davon abgehalten werden, auf
die griechischen Inseln überzusetzen. Zunächst sei ein Versuch geplant.
Flucht übers Mittelmeer: Athen will bei Lagerplan bleiben
Die griechische Regierung plant weiterhin, geschlossene Lager für
Flüchtlinge zu bauen. Frontex testet derweil neues Überwachungsspielzeug.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.