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# taz.de -- Pflegehelfer in Schleswig-Holstein: Ohne Ausweis droht Abschiebung
> Jamar A. lebt seit sieben Jahren in Deutschland. Weil er seit einem Jahr
> vergeblich auf einen Pass wartet, soll er nach Ägypten abgeschoben
> werden.
Bild: Freund:innen protestieren online gegen die drohende Abschiebung von Jamar
Bremen taz | Jamar A. droht die Abschiebung. Denn der 22-jährige
Pflegehelfer aus Bad Segeberg, der seit sieben Jahren in Deutschland lebt,
kann sich nicht ausweisen. Dies ist aber Voraussetzung, um eine
Ausbildungsduldung zu erhalten, erklärt sein Anwalt Björn Stehn. Jamar
würde gerne die dreijährige Pflegeausbildung beginnen. Sein Arbeitgeber,
der Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein, befürwortet das.
„Diese Situation betrifft viele junge Erwachsene“, sagt Stehn, gerade
diejenigen aus nordafrikanischen Ländern, wo die Chancen auf Asyl gering
sind – wie Ägypten, wo Jamar herkommt. „Sie integrieren sich zum Teil gut
und scheitern dann daran, dass sie ihre Identität nicht nachweisen können.“
Gerade wenn Menschen minderjährig flüchten, hätten diese aber oft keine
Dokumente, weiß Stehn. Ohne Pass werde aber keine Arbeitserlaubnis erteilt,
insbesondere keine Ausbildungsduldung.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte Jamars Asylantrag ab,
„weil Ägypten als sicheres Herkunftsland bewertet wird“, erklärt Sabrina
Müller, Sprecherin des Kreis Segeberg. „Verfolgungsrelevante Fluchtgründe
lagen nicht vor.“
Das Verwaltungsgericht habe die Ablehnung im Januar 2020 bestätigt. Wie es
weitergeht, sei nun unter anderem vom Nachweis rechtlicher Tatbestände und
der Erfüllung persönlicher Mitwirkungspflichten abhängig. „Eine
Entscheidung kann im Moment noch nicht getroffen werden“, so Müller.
## Anderthalb Jahre für einen Pass
Momentan habe Jamar eine Aufenthaltsgestattung und dürfe arbeiten, sagt
Stehn. Er müsse jetzt versuchen, einen Pass zu bekommen. Diesen habe er
bereits vor einem Jahr beantragt. Gerade in Ägypten dauere dies aber sehr
lang. Die Botschaft müsse den Pass direkt in Ägypten beantragen, wo oft
sehr lange bürokratische Verfahren warten. „Das kann sich ein, eineinhalb
Jahre hinziehen.“
In Ägypten müsste Jamar seinen Wehrdienst antreten. Diesen wolle er aber
nicht absolvieren. Da es dort keine Chance auf Verweigerung gibt, drohe ihm
eine Gefängnisstrafe. „Er ist mit 15 Jahren hierher gekommen, um ein
besseres Leben zu haben.“ In Ägypten habe er keine Zukunft, sagt Stehn, ihm
drohe „ein Ausschluss aus der Gesellschaft“.
In Deutschland dagegen arbeitet Jamar als Pflegehelfer im Rehabilitations-
und Pflegebereich des Psychiatrischen Krankenhauses in Rickling, sagt
Regina Rocca, Sprecherin des Landesvereins für Innere Mission in
Schleswig-Holstein. „Seine Pflegedienstleiterin schätzt seine gute Arbeit
und hält ihn für sehr geeignet für die dreijährige Pflegeausbildung.“ In
Zeiten des Pflegenotstands, der sich gerade jetzt während der
Coronapandemie deutlich zeigt, ein Glücksfall.
„Wenn der Betroffene eine Ausbildungsduldung bekommt, setzt das voraus,
dass eine Identitätsklärung stattgefunden hat“, weiß auch Martin Link.
Dafür müsse aber nicht zwingend ein Pass her, so der Geschäftsführer des
[1][Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein] weiter, es reiche auch ein anderes
anerkanntes Dokument wie eine Geburtsurkunde oder eine Zeugenaussage. Im
Kreis Segeberg sei die Ausländerbehörde aber besonders restriktiv. „Die hat
eine eigene politische Auffassung, wie mit Ausreisepflichtigen umzugehen
sei.“
Vergleicht man die Zahlen der Abschiebungen [2][von 2018] und [3][2019, so
fällt auf,] dass diese in Schleswig-Holstein um 16,6 Prozent auf 457
Abschiebungen in 2019 gestiegen ist – Spitzenwert im Bundesdurchschnitt.
Auch die Zahl der Ausreisepflichtigen ist gestiegen – um 17 Prozent auf
über 10.000 Menschen. „Das deutet darauf hin, dass für Behörden der Vollzug
von Maßnahmen wichtiger ist als eine konstruktive Anwendung des
Aufenthaltsgesetzes“, sagt Link.
Eigentlich wolle man mit der Ausbildungsduldung gerade jungen Leuten
ermöglichen, hierzubleiben und eine Ausbildung zu machen, so Anwalt Stehn.
Ob in Schleswig-Holstein strukturelle Probleme bei der Anwendung des
Aufenthaltsgesetzes herrschen, kann er nicht beurteilen. „Dafür habe ich
hier zu wenig Fälle.“ In Hamburg, hier sitzt seine Kanzlei, verfolge man
aber eher eine konstruktive politische Linie.
## Härtefallkommission ist Jamars letzte Hoffnung
Seit Januar räumt das Gesetz einen Spielraum zur Ausbildungsduldung ein,
erklärt Stehn. „Wenn man nachweisen kann, dass man alles getan hat, einen
Pass zu bekommen, kann man trotzdem eine Ausbildungsduldung erhalten.“
Sofern die Ausländerbehörde davon überzeugt ist, dass es nicht an Jamar
selbst liegt, dass der Pass nicht vorliegt. Wenn nicht, sei ein Antrag bei
der Härtefallkommission des Landesinnenministeriums der nächste Schritt.
Für Jamar wäre es das Beste, wenn das Asylverfahren weiterläuft, bis er
sich erfolgreich auf einen Ausbildungsplatz beworben hat. „Dann kann die
Arbeitserlaubnis gewährt werden. Er könnte die Ausbildung beginnen und
müsste weiter auf das Ergebnis warten.“
Der Fall von Jamar provoziere großes Unverständnis auf allen Seiten, so
Link. Nach der aktuellen Rechtslage sei es vollkommen unnötig, so zu
verfahren. „Dieses Verhalten beschäftigt alle möglichen Instanzen, das ist
unnötig“, sagt Link. „Ich gehe davon aus, dass der Fall spätestens von der
Härtefallkommission eingefangen wird.“
21 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.frsh.de/home/
[2] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/080/1908021.pdf
[3] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/182/1918201.pdf
## AUTOREN
Alina Götz
## TAGS
Schleswig-Holstein
Abschiebung
Asylverfahren
Pflege
Abschiebung
Ägypten
Schwerpunkt Coronavirus
Homosexuelle
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