# taz.de -- Papierlose ohne medizinische Versorgung: Behandlung nur gegen Daten | |
> Das Hamburger Medibüro fordert anonyme Krankenscheine in der Coronakrise. | |
> Die Stadt verweist auf Angebote für jene, die sich registrieren lassen. | |
Bild: Rezept ohne Krankenschein – das gibt's in Hamburg zurzeit nur gegen Per… | |
GÖTTINGEN taz | Das [1][Medibüro Hamburg], das Menschen ohne | |
Krankenversicherung bei Arztbesuchen und medizinischer Versorgung | |
unterstützt, sorgt sich in der Coronakrise noch mehr um die Gesundheit | |
seiner Klientel. Vom Senat fordert die ehrenamtliche Initiative die Ausgabe | |
von [2][anonymisierten Krankenscheinen]. Doch davon will die Hamburger | |
Sozialbehörde nichts wissen. Sie hält die bestehenden offiziellen Angebote | |
für ausreichend. Beim Medibüro stößt das auf heftige Kritik. | |
In Hamburg lebten der Diakonie zufolge schon 2009 rund 22.000 Geflüchtete | |
ohne Aufenthaltstitel und Krankenversicherung. Spätestens seit 2015 dürften | |
es noch mehr sein, schätzt das Medibüro. Hinzu kämen Deutsche und andere | |
EU-Bürger, die ebenfalls nicht krankenversichert seien. Wie in anderen | |
Städten und Bundesländern, sorgen deshalb auch in Hamburg ehrenamtliche | |
Initiativen und Hilfsorganisationen dafür, dass diese Menschen zumindest | |
rudimentär medizinisch versorgt werden. | |
Wegen der Corona-Pandemie mussten diese Stellen aber größtenteils | |
schließen, schrieben das Medibüro und ein Dutzend andere Organisationen – | |
darunter die Caritas, die „Praxis ohne Grenzen“ und der Flüchtlingsrat –… | |
19. März an die Behörde. Sprechstunden und Versorgungsangebote hätten | |
ausgesetzt werden müssen, unter anderem, weil die von den Einrichtungen | |
genutzten Räume geschlossen wurden oder unzureichend mit Schutzausrüstung | |
und Desinfektionsmitteln ausgestattet waren. | |
Ehrenamtliche Helfer, die zum Teil zur Corona-Risikogruppe gehören, seien | |
selbst gefährdet gewesen. Mit dem Zusammenbruch der Versorgungsstrukturen | |
hätten die Betroffenen keine direkte Anlaufstelle mehr, heißt es in dem | |
Schreiben – was auch vor dem Hintergrund der Verbreitung des Coronavirus | |
alarmierend sei. | |
## Anonymer Krankenschein wäre eine Lösung | |
Die Unterzeichner des Briefes fordern eine „schnelle, niedrigschwellige und | |
umfassende Lösung dieser Versorgungskrise“. Die [3][Corona-Hotline] der | |
Stadt solle allen Menschen, unabhängig von ihrem Versicherungsstatus, Hilfe | |
bieten – ohne dass Betroffene fürchten müssten, aufgrund ihrer hinterlassen | |
Daten abgeschoben zu werden. Außerdem solle die Stadt den anonymen | |
Krankenschein einführen. Dieser könne zentral und ohne Identitätsprüfung | |
vergeben werden und den Empfängern ermöglichen, medizinische Leistungen der | |
Regelversorgung in Anspruch zu nehmen. | |
Das Medibüro verweist darauf, dass andere Städte und Bundesländer wie | |
[4][Berlin] oder Thüringen den anonymen Krankenschein bereits eingeführt | |
und gute Erfahrungen damit gemacht hätten. Auch in Bremen und Niedersachsen | |
gibt es das Modell. | |
Erst einen Monat später, am 16. April, reagierte die Behörde auf den Brief. | |
Es gebe eine Clearingstelle, die die Kosten für die Behandlung akuter | |
Krankheiten und Schmerzen übernehme. Auch die Versorgung von | |
Nichtversicherten sei möglich: „Damit ist praktisch eine Kostenübernahme | |
ähnlich eines anonymen Krankenscheins gewährleistet“, antwortet ein | |
Behördensprecher. Zudem könnten „Drittstaatlerinnen und Drittstaatler“ ü… | |
die Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge – in Hamburg | |
[5][„Ankunftszentrum“] genannt – „auch kurzfristig Leistungen nach dem | |
Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nehmen, die ebenfalls eine | |
Gesundheitsversorgung umfassen“. | |
Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen, also Abschiebungen, seien „aufgrund der | |
aktuellen Situation hierbei regelhaft nicht zu befürchten, da die | |
internationalen Grenzen weltweit geschlossen sind“. Die Erfahrungen der | |
vergangenen Wochen zeigten, so die Sozialbehörde, „dass viele Personen, die | |
sich seit Längerem in der Illegalität aufhalten, im Ankunftszentrum | |
vorsprechen und dort ihren Anspruch auf Leistungen realisieren“. | |
## Flüchtlingshelfer fürchten „Selbstdenunziation“ | |
Aus Sicht des Medibüros ist diese Darstellung „ein verzerrtes Bild der | |
Zustände“ und „weit von der alltäglichen Realität entfernt“. Langjähr… | |
Erfahrungen zeigten, dass viele häufig vorkommende Krankheitsbilder eben | |
nicht vom Notfallfonds der Clearingstelle abgedeckt seien. So werde für die | |
Behandlung chronischer Krankheiten oder von Krebs meist eine | |
Kostenübernahme abgelehnt. „Das macht deutlich, dass die Clearingstelle | |
nicht nur viele Patienten von vornherein ausschließt, sondern darüber | |
hinaus chronisch unterfinanziert ist“, schreibt das Medibüro in seiner | |
Antwort. | |
Noch abwegiger sei der Vorschlag, sich beim Ankunftszentrum zu melden – | |
das komme für viele Geflüchtete einer Selbstdenunziation gleich. „Niemand | |
in Hamburg lebt in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität, weil diese eine | |
bequeme Lösung darstellt“, erklärte das Medibüro. Menschen, die sich | |
dennoch dafür entschieden, täten dies aus Angst vor Abschiebungen. | |
Einen formalen Abschiebestopp gibt es in Hamburg derzeit nicht, auch | |
Umverteilungen innerhalb Deutschlands sind nach Angaben der Ehrenamtlichen | |
nicht ausgesetzt. „Da außerdem niemand weiß, wie lange die aktuell | |
geschlossenen Grenzen tatsächlich noch geschlossen bleiben, sind die | |
Befürchtungen vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen bei einer Meldung im | |
Ankunftszentrum mehr als berechtigt“, so das Medibüro. | |
24 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.medibuero-hamburg.org/ | |
[2] /Anonymer-Krankenschein-in-Berlin/!5592957 | |
[3] https://www.hamburg.de/coronavirus/13429836/informationen/ | |
[4] /Krankenversorgung-Papierloser/!5600574 | |
[5] /Unterbringung-von-Gefluechteten/!5659877 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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