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# taz.de -- Menschen ohne Krankenversicherung: Keine Papiere, kein Test
> Menschen ohne Krankenversicherung sind derzeit doppelt benachteiligt.
> Dabei gibt es Projekte, die das verhindern könnten. Doch die Politik
> mauert.
Bild: Hilfsorganisationen fordern einen anonymisierten Krankenschein
Hannover taz | Einen akuten Coronafall hätten sie gerade nicht, sagt Lisa
Palm von Medinetz Hannover. Aber möglicherweise sei das schon ein Teil des
Problems: „Zu uns kommen die Leute aber natürlich oft erst, wenn es ihnen
richtig schlecht geht.“
Seit 22 Jahren hilft das Netzwerk Menschen ohne Krankenversicherung. Das
sind zum größten Teil Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus, aber auch
Zuwanderer aus EU-Staaten oder Einheimische, die ihre Beiträge nicht mehr
zahlen konnten.
In der Coronakrise ist diese Hilfe noch schwieriger geworden. Viele
Anlaufstellen mussten ihre Sprechstunden aufgeben, weil die überfüllten
Wartezimmer sonst zu Infektionsschleudern geworden wären oder auch
schlicht, weil die Institutionen, in deren Räumen man untergeschlüpft ist,
den Publikumsverkehr eingestellt haben.
„Wir haben keine Alternative zu einer Schließung gesehen“, sagt Michael
Lukas von der Malteser-Migranten-Medizin, die sonst eine kleine Ambulanz in
den Räumen der Caritas betreibt. Schutzkleidung sei kaum zu bekommen, eine
Lenkung der Patientenströme schwer möglich.
Die Malteser weisen ihre Patienten nun auch auf die telefonische Beratung
von Medinetz hin. Bei Medinetz gibt es keine direkte medizinische
Behandlung. Dort wird entweder an Ärzte vermittelt, die Unversicherte
kostenlos behandeln, oder der Papierkrieg mit den Behörden geführt, um den
Betroffenen doch noch einen Zugang zum regulären Gesundheitswesen zu
ermöglichen.
Die persönliche Sprechstunde von Medinetz wurde zwar eingestellt, dafür
aber die Telefonberatung aufgestockt. Und trotzdem gerät der
spendenfinanzierte Verein an seine Grenzen: „Durch den Wegfall der anderen
Hilfseinrichtungen werden unsere Leitungen überlastet. Und unsere
Finanzmittel auch“, sagt Palm. „Wenn das so weitergeht, sind wir bald
pleite.“ Außerdem kommt die Angst hinzu, dass dort in einer besonders
verletzlichen Gruppe, Menschen mit Corona-Infektionen unentdeckt und
ungetestet bleiben – und viele weitere anstecken.
Bundesweit haben Medibüros und Medinetze deshalb Brandbriefe an die
zuständigen Ministerien aufgesetzt. Sie fordern vor allem, die Meldepflicht
gegenüber den Ausländerbehörden auszusetzen, die Menschen ohne geregelten
Aufenthaltsstatus so große Angst macht. Wer sich in Behandlung begibt, muss
dadurch auch immer befürchten, die eigene Abschiebung einzuleiten.
In Niedersachsen und Hamburg haben die Hilfsorganisationen außerdem ihre
Forderung nach der Einführung eines anonymisierten Krankenscheins erneuert.
In Niedersachsen gibt es dazu sogar ein gerade erst abgeschlossenes
Pilotprojekt, das auch vom Land gefördert wurde. Man könnte also auf
bestehende Erfahrungen und Strukturen zurückgreifen. Dazu versuchen
Medinetz Hannover und das Diakonische Werk Hannover in einem offenen Brief
an Gesundheitsministerin Carola Reimann, Ministerpräsident Stephan Weil
(beide SPD) und den Coronakrisenstab des Landes zu drängen.
Medinetz und Diakonisches Werk wollen eine zentrale Anlaufstelle
einrichten, die wie bisher auch als Clearingstelle oder Lotsin fungiert –
nur mit dem Unterschied, dass die Ärzte nicht mehr kostenlos behandeln
würden, sondern ihre Leistungen ordnungsgemäß abrechnen könnten.
Auf 700.000 Euro pro Jahr schätzen die Projektbeteiligten die Kosten:
60.000 Euro für eine Sozialarbeiterstelle und 600.000 Euro für die
Versorgung und Behandlung der Menschen ohne Krankenversicherung. Der Rest
wäre für Verwaltung, Raummiete und sonstige Kosten reserviert. Dabei gehen
sie von circa 1.000 behandlungsbedürftigen Personen pro Jahr aus.
Doch die Gesundheitsministerin mauert: Der Zugang zu Coronatests und
adäquater Behandlung sei organisiert und gesichert, heißt es. Die
Betroffenen müssen sich dazu eben nur registrieren lassen, dann übernähmen
in der Regel die Sozialämter die Kosten. Auf weitere Diskussionen will sich
Reimann nicht einlassen. Eine Begründung dafür liefert ihr Ministerium auf
taz-Nachfrage nicht.
Vielleicht liegen die Prioritäten gerade woanders, vielleicht beißt sich
die Anonymisierung mit der Nachverfolgung der Infektionsketten oder man
befürchtet, Präzedenzfälle zu schaffen – all das bleibt unklar.
17 Apr 2020
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Flüchtlinge
Niedersachsen
Gesundheitswesen
Obdachlosigkeit
Krankenversicherung
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Bundesverdienstkreuz
Gesundheitspolitik
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Schwerpunkt Coronavirus
Medizin
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