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# taz.de -- Palästinensische Demos in Berlin: Wo liegt die Gefahr?
> 100 Berliner Jüd:innen und Israelis kritisieren das Verbot
> palästinensischer Demonstrationen. Sie warnen vor der Diskriminierung von
> Minderheiten.
Bild: Bei einer propalästinensischen Demo am Karsamstag gab es antiisraelische…
Berlin taz | In der Diskussion um das Verbot zweier palästinensischer
Demonstrationen am vergangenen Wochenende mehren sich Stimmen, die das
Vorgehen der Polizei kritisieren. So heißt es in einem offenen Brief von
jüdischen und israelischen Berliner*innen, der am Freitag veröffentlicht
wird und der taz vorab vorlag, ein „pauschales Verbot“ aufgrund der bloßen
Befürchtung, es könne bei einer Demonstration zu Straftaten kommen, „sehen
wir als diskriminierend gegenüber der palästinensischen Minderheit in
Deutschland und als besorgniserregenden Präzedenzfall, der unweigerlich
auch andere marginalisierte Communities betreffen wird. Solche
antidemokratischen Maßnahmen kommen einer kollektiven Bestrafung gleich und
bieten uns als jüdische Berliner*innen keinen wirksamen Schutz“.
Den Brief, der auch an Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geschickt werden
soll, haben 100 Jüd:innen und Israelis aus dem linken und linksliberalen
Spektrum unterschrieben, darunter die Philosophin Susan Neiman, Leiterin
des Einstein-Forums in Potsdam, der Soziologe Michael Bodemann und der
Schriftsteller Tomer Gardi.
„Wir sehen die Gefahr, dass künftig immer mehr Demos verboten werden“,
sagte einer der Initiatoren, der Journalist Yossi Bartal, der taz.
Demonstrationen seien ein zentrales demokratisches Recht und
selbstverständlich auch „Ausdruck von Wut“, etwa über die Politik der
israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern. Sie zu verbieten löse
nicht den Konflikt, sondern vertiefe die Kluft zwischen den Communities, so
Bartal. „Deshalb halten wir die Unterstützung des Verbots durch den
Zentralrat der Juden in Deutschland für verfehlt und nicht repräsentativ
für die Vielfalt der jüdischen Meinungen in Berlin“, heißt es im Brief.
[1][Am Karsamstag waren bei einer propalästinensischen Demo] der Gruppe
Samidoun in Neukölln antisemitische und antiisraelische Parolen auf
Arabisch gerufen worden. Die Polizei hatte nicht eingegriffen, obwohl sie
mit Dolmetschern vor Ort war, und war dafür im Anschluss scharf kritisiert
worden. Der [2][Verein Democ hatte die Demonstration beobachtet und
berichtet], Teilnehmende hätten gemeinsam „Tod, Tod, Tod Israel!“
skandiert, ein Demonstrant habe vom Lautsprecherwagen „Tod den Juden“
gerufen.
## Anzeige wegen Volksverhetzung
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, hatte
daraufhin eine Anzeige wegen Volksverhetzung gestellt, die Polizei
ermittelt nun. Zudem [3][verbot sie zwei für das vergangene Wochenende
angemeldete Demos] von Palästinener:innen, eine davon wieder aus dem Umfeld
von Samidoun, mit der Begründung dort seien erneut Straftaten zu erwarten.
Mit diesem Argument, so Bartal zur taz, könne man allerdings viele
Demonstrationen verbieten, auch am 1. Mai etwa komme es regelmäßig zu
Straftaten. „Rassistische und antisemitische Parolen sollte man eindeutig
verurteilen“, sagte er. Aber dies rechtfertige keine pauschalen Verbote,
vor allem nicht gegen eine migrantische Minderheit.
Beck sieht dies anders. Es sei zum einen kein pauschales Verbot, zum
anderen sei zu beachten, dass der Abbruch einer Demonstration, nachdem
bereits Straftaten erfolgten, immer die Gefahr eines Gewaltausbruchs
bieten. „Das gefährdet auch unnötig die Gesundheit der eingesetzten
Beamt:innen. Das darf sehenden Auges nicht zugemutet werden“, sagte er
der taz. Zudem habe das Verbot auf einer „Tatsachen gestützten
Gefahrenprognose“ beruht: Der Versammlungsleiter sei in der Vergangenheit
nicht willens oder in der Lage gewesen, die Auflagen einzuhalten
beziehungsweise Volksverhetzung zu unterbinden – also sei bei einer
Veranstaltung aus diesem Umfeld eine Woche später dasselbe wie am
Karsamstag zu erwarten gewesen.
## Aufbauschen von Einzelfällen?
Beck sagte weiter, die Gruppe Samidoun sei als „Vorfeld-Organisation“ der
„Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) bekannt – letztere ist in
Deutschland nicht verboten, steht jedoch auf der EU-Terrorliste. „Ich
fordere schon lange ein Betätigungsverbot für die PFLP und infolgedessen
von Samidoun auch bei uns“, so Beck.
Bartal dagegen warnt vor einem Aufbauschen der Gefahr. Auch auf der
Karsamstag-Demo habe letztlich nur ein Demonstrant das volksverhetzende
„Tod den Juden“ gerufen und damit eine Straftat begangen. Man dürfe von
einzelnen Vorfällen nicht auf alle Teilnehmenden und die Veranstalter
schließen. „Ich habe mehrmals erlebt, wie diskriminierenden Äußerungen
widersprochen wurde von Demo-Teilnehmenden oder den Organisatoren“, sagt
er.
Auch die Antisemitismus-Forscherin Sina Arnold, die am Mittwoch eine Studie
über Antisemitismus unter Muslimen vorgestellt hatte, sagte der taz,
Demonstrationsverbote dürften nur das „letzte Mittel der Intervention sein.
Auch bei Faschisten – ob diese nun einen Migrationshintergrund haben oder
nicht“. Die Polizei habe genügend Taktiken, um gegen volksverhetzende
Parolen und verfassungsfeindliche Symbole auf Demos vorzugehen. „Mit
ausreichend Übersetzer*innen und engmaschiger Begleitung sollte es
möglich sein, gegen so etwas gezielt vorzugehen und trotzdem das Recht auf
Demonstrationsfreiheit zu gewährleisten.“
Am 20. Mai steht die nächste palästinensische Demonstration in Berlin an,
Anlass ist der 75. [4][Jahrestag der Nakba], der Vertreibung der
Palästinenser aus weiten Teilen Israels. Im vorigen Jahr waren alle
Versammlungen dazu verboten worden, sogar eine der „Jüdischen Stimme“. Als
Grund wurde auch da genannt, dass es 2021 bei Demos zu diesem Tag zu
Straftaten gekommen war. Eine Anfrage der taz, ob bereits erwogen wird,
diesjährige Nakba-Demos zu verbieten, ließ die Innenverwaltung bis
Redaktionsschluss unbeantwortet.
21 Apr 2023
## LINKS
[1] /Nach-judenfeindlicher-Demo/!5924679
[2] https://democ.de/artikel/tod-den-juden-tod-israel-antisemitische-parolen-be…
[3] /Nach-antisemitischen-Parolen-in-Berlin/!5927984
[4] /Erinnerungskultur/!5864163
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Palästinenser
Antisemitismus
Demonstrationsverbot
Offener Brief
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Nakba
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Demonstrationsrecht
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