| # taz.de -- Verbot von Nakba-Demonstrationen: Palästinenser im Visier | |
| > Wiederholt hat die Polizei Versammlungen mit Palästina-Bezug verboten, | |
| > Veranstalter klagen nun dagegen. Auch der Grundrechte-Report übt Kritik. | |
| Bild: Ein Fall zum Verbieten? „Bombardiert Tel Aviv“ riefen Teilnehmer*inne… | |
| Berlin taz | An diesem Montag ist Tag der Nakba, Arabisch für Katastrophe. | |
| Immer am 15. Mai gedenken Palästinenser*innen in aller Welt der | |
| Flucht und Vertreibung im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948. Dabei | |
| kommt es in Berlin bisweilen zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, etwa | |
| weil sich Teilnehmer*innen antisemitisch äußern – oder Äußerungen von | |
| Polizei und Beobachter*innen so interpretiert werden. Fest steht: | |
| Versammlungen mit Palästina-Bezug stehen unter verschärfter öffentlicher | |
| Beobachtung. | |
| Der Polizei ist dieser Druck wohl zu groß geworden. Seit einiger Zeit fährt | |
| sie eine neue Politik gegenüber propalästinensischen Versammlungen: Sie | |
| verbietet sie. Im vorigen Jahr betraf es alle Versammlungen zum | |
| Nakba-Jahrestag, im April 2023 wurden zwei propalästinensische | |
| Veranstaltungen untersagt, am Freitag geschah es erneut: zwei Demos, die | |
| dieses Wochenende hätten stattfinden sollen, wurden kurzerhand verboten. | |
| Die Begründung ist in allen Fällen, dass es bei vorherigen Veranstaltungen | |
| zu Gewalttaten, -verherrlichung und Antisemitismus gekommen sei. Daher | |
| bestehe die „unmittelbare“ Gefahr, dass es auch bei den anstehenden | |
| Versammlungen dazu kommen werde. Auch „Auflagen“ für den Veranstalter | |
| könnten dies nicht ändern, so die Polizei. | |
| Nun ist ein präventives Verbot von Demos ähnlich heikel wie Vorbeugehaft | |
| für Klimaaktivist*innen – und es ist kein Wunder, dass | |
| Unterstützer*innen der palästinensischen Sache die demokratischen | |
| Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit bedroht sehen. In Berlin | |
| steht daher das Gedenken in diesem Jahr – die große Demo ist für kommenden | |
| Samstag angemeldet und noch nicht verboten – unter der Überschrift | |
| [1][“Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Nein zum | |
| Demonstrationsverbot“]. | |
| Zudem setzen sich zwei Organisationen juristisch zur Wehr: Der Verein | |
| „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ und die | |
| Organisation „Palästina Spricht“ haben soeben beim Verwaltungsgericht Klage | |
| gegen das Verbot ihrer Veranstaltungen vom 15. Mai 2022 eingereicht. | |
| ## Staatliche Willkür am Werk? | |
| „Dieses Verbot basiert stark auf antimuslimischen und antipalästinensischen | |
| Vorurteilen“, sagt der Rechtsanwalt der beiden Gruppen, Ahmed Abed, der | |
| zudem Bezirksverordneter der Linkspartei in Neukölln ist. Es bestehe die | |
| Gefahr, dass die Strategie der Verbote, wenn ihr nicht gerichtlich Einhalt | |
| geboten wird, auch auf andere politisch missliebige Veranstaltungen | |
| ausgeweitet werde. „Wenn es möglich ist, Versammlungen nur aufgrund weniger | |
| negativer Vorfälle zu verbieten, öffnet das der staatlichen Willkür Tür und | |
| Tor“, so Abed. | |
| Mit der Kritik steht er nicht alleine: [2][Kürzlich hatten sich über 100 | |
| Jüd:innen und Israelis öffentlich gegen ein Verbot palästinensischer | |
| Demonstrationen gestellt]. Ihr Argument: „Solche antidemokratischen | |
| Maßnahmen kommen einer kollektiven Bestrafung gleich und bieten uns als | |
| jüdische Berliner*innen keinen wirksamen Schutz“. | |
| Die Polizei wiederum begründet die Verbote mit einer Auflistung von | |
| früheren Kundgebungen. Vor allem rund um den 15. Mai 2021 sei es bei | |
| Versammlungen zu „erheblichen körperlichen Angriffen auf Polizeikräfte, | |
| Flaschen- und Steinwürfen“ gekommen sowie zu Ausrufen wie „Bombardiert Tel | |
| Aviv“ und „Kindermörder Israel“, hieß es voriges Jahr in der | |
| Verbotsbegründung. Palästina Spricht hatte gegen das Verbot einen Eilantrag | |
| eingereicht, war damit jedoch [3][vor dem Verwaltungsgericht gescheitert], | |
| ebenso beim Oberverwaltungsgericht. | |
| Doch auch der [4][neue Grundrechtereport 2023, der am 23. Mai erscheint] | |
| und der taz in Auszügen vorliegt, äußert schwere Bedenken. Autorin Nadija | |
| Samour kritisiert nicht nur, dass die Polizei die vielen konfliktfreien | |
| Versammlungen zum Thema unerwähnt lässt, sondern auch die Charakterisierung | |
| der Teilnehmenden. Als Bedrohung beschreibe die Polizei einen „muslimisch | |
| geprägten Personenkreis“, darunter viele Jugendliche und junge Erwachsene, | |
| die „erheblich emotionalisiert und nur schwer zu beeinflussen“ seien. | |
| ## „Israelfeindlichkeit“ als Verbotsargument | |
| Für problematisch aus Bürgerrechtssicht hält der Report auch, dass Polizei | |
| und Gerichte Ereignisse von diversen Versammlungen „aus dem | |
| propalästinensischen Umfeld“ berücksichtigen – Veranstalter würden also | |
| auch für Taten Dritter verantwortlich gemacht. Zudem argumentiere die | |
| Polizei nicht nur mit Straftaten: „Es genügen vielmehr schon | |
| ‚israelfeindliche‘, im Kern aber nicht-strafbare Aussagen wie ‚From the | |
| river to the sea – Palestine will be free‘“, so der Report. | |
| Auch Abed kritisiert, dass seine Mandanten für Vorfälle haftbar gemacht | |
| werden, mit denen sie nichts zu tun haben. „Die meisten Versammlungen auf | |
| dieser Liste waren von anderen Veranstaltern.“ Zudem habe das | |
| Bundesverfassungsgericht enge Grenzen für Versammlungsverbote gesetzt, etwa | |
| dass die Gefahr für die öffentliche Sicherheit vom Anmelder ausgehen muss. | |
| „Die Taten einzelner Teilnehmer reichen nicht für ein Verbot“, so Abed. | |
| Dass die Polizei tatsächlich vieles über einen Kamm schert, zeigt der Fall | |
| der Jüdischen Stimme. Keine Veranstaltung dieses Vereins wurde in der | |
| „Gefahrenanalyse“ erwähnt. Zudem ging es bei der verbotenen Veranstaltung | |
| nicht einmal um das Thema Nakba. Lili Sommerfeld, die zum Vorstand gehört, | |
| hatte für den 15. Mai vorigen Jahres eine Mahnwache für die mutmaßlich von | |
| israelischen Soldat*innen getötete palästinensische Journalistin Schirin | |
| Abu Aqla angemeldet. „Die wurde von der Polizei verboten mit dem Argument, | |
| sie bewerteten dies als Ersatzveranstaltung für die verbotenen | |
| Nakba-Demos“, berichtet sie der taz. | |
| Sommerfeld und ihr Verein, der mit Palästina spricht des öfteren | |
| kooperiert, wird immer wieder mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert – | |
| zu Unrecht, wie sie meint. „Ich habe auf keiner Veranstaltung von uns oder | |
| Palästina Spricht je etwas Antisemitisches gehört. Wenn laut | |
| Medienberichten auf Veranstaltungen oder Demos von anderen Organisationen | |
| solche Äußerungen fallen, so gehe ich nach allem, was ich über die | |
| Community hier in Berlin weiß, davon aus, dass es sich um Einzelfälle von | |
| jungen, testosterongesteuerten Menschen handelt, an denen ich nicht die | |
| Legitimität einer Gesamtveranstaltung messen möchte.“ | |
| ## Emotionen ja, Antisemitismus nein | |
| Und, fügt sie hinzu, [5][sie könne die „Emotionalität“ auf | |
| palästinensischer Seite auch verstehen], etwa wenn Angehörige bei | |
| Bombardements in Gaza getötet worden seien. Gleichzeitig distanzierten sich | |
| die Jüdische Stimme und Palästina Spricht „immer und überall“ von | |
| Antisemitismus, so Sommerfeld, und wiesen auf ihren Veranstaltungen laut | |
| darauf hin, dass es ihnen um Kritik an der Politik des Staates Israel gehe. | |
| „Offen gesagt, bin ich es leid, dass ich mir als deutsche Jüdin und Enkelin | |
| von Holocaust-Opfern ausgerechnet von Nachfahren der Täter immer wieder | |
| Antisemitismus vorwerfen lassen muss.“ | |
| Auch Qassem Massri von Palästina Spricht betont, seine Bewegung lehne | |
| antisemitische Äußerungen auf ihren Veranstaltungen ab. Dies werde aber in | |
| der Berichterstattung so gut wie nie erwähnt, „stattdessen werden wir als | |
| emotionale Hitzköpfe dargestellt, mit denen man nicht reden kann“. | |
| Als Beispiel nennt Massri eine Palästina-spricht-Demo vom 23. April 2022, | |
| die auch die Polizei als Verbotsargument angeführt hatte. Dabei [6][wurde | |
| unter anderem ein Journalist als „Drecksjude“ beschimpf]t, was zu breiter | |
| öffentlicher Empörung führte. „Das war ein Jugendlicher!“, betont Massri. | |
| „Und wo kommen wir hin, wenn man von den Handlungen einzelner auf ganze | |
| Populationen schließt? Das ist der Kern von Rassismus!“ | |
| 14 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nakba-ban.org/de/call/ | |
| [2] /Palaestinensische-Demos-in-Berlin/!5926408 | |
| [3] https://openjur.de/u/2397035.html | |
| [4] http://www.grundrechte-report.de/ | |
| [5] /Politologe-ueber-Israel-heute/!5926447 | |
| [6] https://democ.de/artikel/drecksjude-antisemitische-parolen-und-angriffe-auf… | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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