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# taz.de -- Israels Unabhängigkeitskrieg von 1948: Judenhass, älter als der H…
> Vor 75 Jahren reagierten sechs arabische Staaten mit einem Angriffskrieg
> auf die Gründung des Staates Israel. Den UN-Teilungsplan lehnten sie ab.
Bild: Eine Aufnahme israelischer Offiziere vom Juni 1948
Vor 75 Jahren wurde am 14. Mai 1948 in Tel Aviv die Gründung des
israelischen Staates verkündet. Das war 51 Jahre nach dem ersten
Zionistischen Kongress, den Theodor Herzl 1897 als Reaktion auf den
europäischen Antisemitismus in Basel organisiert hatte. Und drei Jahre nach
der Befreiung von Auschwitz. Und sechs Monate nach dem von der UNO
verhandelten Teilungsplan vom November 1947.
Dieser sah nach der Erfahrung des Nationalsozialismus eine Teilung des
damals noch von Großbritannien verwalteten Mandatsgebiet Palästina vor, mit
der Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates.
Seit der Gründung Israels, die 1948 nicht nur von den USA und vielen
westlichen Staaten, sondern auch von der Sowjetunion unterstützt wurde,
ist der Staat nicht nur mit Vernichtungsdrohungen konfrontiert, sondern mit
handfesten Vernichtungsversuchen. Der erste begann unmittelbar nach der
Ausrufung des Staates im Mai 1948.
Dem vorausgegangen war ein Bürgerkrieg im Mandatsgebiet, der nach
Verkündigung des UN-Teilungsplans von arabischer Seite losgetreten worden
war. Der UN-Plan sah auf 56 Prozent des nach der Abspaltung Jordaniens
vom Mandatsgebiet Palästina verbliebenen Territoriums einen jüdischen und
auf 43 Prozent einen arabischen Staat vor. Jerusalem sollte als
„internationale Zone“ verwaltet werden.
## Panarabische Ideologie
Der Plan wurde [1][vom Jishuw, der prästaatlichen jüdischen Gemeinschaft]
im Mandatsgebiet, schweren Herzens akzeptiert; von arabischer Seite gab es
jedoch ein eindeutiges Nein, das die Politik der arabischen Staaten die
nächsten Jahrzehnte prägen sollte. Hätten die arabischen Führungen den
Teilungsplan von 1947 befürwortet oder zumindest als Grundlage für einen
auszuhandelnden anderen Teilungsmodus akzeptiert, gäbe es bereits seit 75
Jahren einen palästinensischen Staat an der Seite Israels.
Im Bürgerkrieg vor dem Unabhängigkeitskrieg kämpften die von
Sozialdemokraten und Sozialisten dominierte paramilitärische Hagana und
weitere jüdische Milizen wie der von Menachem Begin geleitete
rechtsgerichtete Irgun gegen Verbände der arabischen Bevölkerung im
Mandatsgebiet.
Unmittelbar nach der Ausrufung des israelischen Staates im Mai 1948, die
durch den Beschluss der UN-Vollversammlung legitimiert war, kam es zur
Invasion der Armeen Ägyptens, Syriens, Transjordaniens, des Irak und des
Libanon, die mit den palästinensischen Kämpfern kooperierten.
Als Reaktion auf arabische Terrorakte und Angriffe auf isolierte jüdische
Siedlungen kam es bereits vor der Staatsgründung zu einer Änderung der
Konzeptionen des Jishuw: Anders als in der ersten Phase des Bürgerkrieges
ging es nun nicht mehr nur um einen reinen Verteidigungskampf, sondern auch
um Gebietseroberungen, unter anderem als militärische Vorbereitung auf die
erwartete arabische Invasion, zu deren Abwehr auch Repressionsmaßnahmen
gegen Teile der auf dem Mandatsgebiet lebenden arabischen Bevölkerung als
legitim angesehen wurden.
## Älter als der Holocaust: arabischer Judenhass
Wäre die Gründung Israels früher erfolgt, hätte sie vermutlich
Hunderttausenden europäischen Juden das Leben retten können. Dass sie nicht
früher erfolgte, lag maßgeblich an der Bekämpfung des Zionismus durch Teile
der arabischen Bevölkerung im Mandatsgebiet Palästina und an den Pogromen
der 1920er und 30er Jahre, die regelmäßig von Parolen wie „Schlachtet die
Juden“ oder „Palästina ist unser Land, und die Juden sind unsere Hunde“
begleitet wurden.
Die antisemitischen Ausschreitungen, denen Hunderte Juden (und noch mehr
moderate Araber) in den 1920er und 30er Jahren zum Opfer fielen,
veranlassten die britische Mandatsmacht nicht zu einem konsequenten
Vorgehen gegen den antisemitischen Terror, sondern zu einer restriktiven
Einwanderungspolitik gegenüber den europäischen Juden und zur Zurückweisung
der zionistischen Forderung nach einer früheren Gründung eines jüdischen
Staates.
Im Unabhängigkeitskrieg führten [2][die offen formulierten
Vernichtungsdrohungen der arabischen Führer] zu einer ausgesprochen
hohen Motivation der jüdischen Kämpfer, von denen viele gerade erst der
nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie entkommen waren, und die
nun die einmalige historische Chance für die Etablierung einer jüdischen
Souveränität sahen.
Ein beeindruckendes Beispiel dafür lieferte eine kleine Gruppe von
Shoah-Überlebenden, die im Kibbuz Yad Mordechai, der nach dem Anführer
[3][des Aufstands im Warschauer Ghetto] benannt ist, ein angreifendes
ägyptisches Bataillon tagelang zurückhielt, bis die Hagana, die während der
Kämpfe in Yad Mordechai in die Israel Defense Forces (IDF) transformiert
wurde, sich zum Gegenangriff formiert hatte.
## Der Mufti und die Nazis
[4][Den jüdischen Kämpfern im Unabhängigkeitskrieg war bewusst], dass die
palästinensischen Araber unter der Führung des Mufti Amin el-Husseini
standen. Der Mufti von Jerusalem war ein wüster Antisemit, der seit 1941 in
Berlin residierte. Dort traf er die Spitzen des NS-Staates und war in die
antisemitische Vernichtungspolitik aktiv involviert. Er unterstützte die
NS-Propaganda für die Region des Nahen und Mittleren Ostens und war an der
Aufstellung muslimischer SS-Divisionen in Bosnien beteiligt.
Der Mufti konnte sich einer Strafverfolgung durch die Alliierten entziehen.
Ihm gelang mit Ende des Zweiten Weltkriegs die Flucht aus Deutschland nach
Kairo. Dort schaffte er es, wie schon in den 1920er und 30er Jahren,
innerpalästinensische Widersacher auszuschalten und die Leitung des Hohen
Arabischen Komitees zu übernehmen. Dieses war schon in der Mandatszeit ein
zentrales politisches Organ der arabisch-palästinensischen
Nationalbewegung.
Während des israelischen Unabhängigkeitskrieges hatte er vergleichsweise
wenig Einfluss auf das militärische Geschehen. Doch die
israelisch-jüdischen Soldaten wussten, dass sie auch gegen einen
unmittelbar Verbündeten der Nazis kämpften. Gegen eine Führungsfigur der
arabischen Nationalbewegung, die schon bei den antijüdischen Pogromen im
Mandatsgebiet der 1920er und 30er Jahre eine entscheidende Rolle gespielt
hatte.
Die Vernichtungsdrohungen der arabischen Führer waren einer der Gründe für
die in der zweiten Phase der Kampfhandlungen praktizierte offensivere
Kriegsführung. Die Kämpfer:innen der jüdischen Verbände, der
neugegründeten israelischen Armee wussten, dass eine mögliche Niederlage
drei Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wohl die Vernichtung des
Jishuw bedeuten würde.
## PLO und Arabische Liga
Achmet Shukeiry, einer der Gehilfen des Mufti und Vorgänger Jassir
Arafats als Führer der PLO, nannte als Ziel der Invasion „die Vernichtung
des jüdischen Staates“.
Abdel Rahman Azzam, der Generalsekretär der Arabischen Liga, verkündete
hinsichtlich des bevorstehenden Überfalls auf den neugegründeten jüdischen
Staat: „Dies wird ein Krieg der Vernichtung sein und ein enormes Massaker,
von dem man noch ähnlich sprechen wird wie von den Massakern der Mongolen.“
Dass diese Vernichtungsfantasien nicht in die Tat umgesetzt werden konnten,
lag auch an der Uneinigkeit der arabischen Staaten, die sich in einer
fehlenden militärischen Koordination niederschlug. Zudem waren auf
arabischer Seite keineswegs alle von der antijüdischen Agitation ihrer
Führer überzeugt.
Gerade von irakischen Soldaten gibt es zahlreiche Berichte, dass ihnen
schwer zu vermitteln war, warum sie Hunderte Kilometer fern der eigenen
Heimat in einen Krieg ziehen sollten. Und gegen einen Feind, der sich zudem
als deutlich schwerer zu besiegen herausstellte, als die arabischen Führer
und die palästinensischen Propagandisten es ihnen versprochen hatten.
## Hohe Verluste
Israel konnte bereits die erste Phase des Krieges nach der Staatsgründung
für sich entscheiden, hatte aber auf Grund der schlechten Bewaffnung
vergleichsweise viele Opfer zu beklagen. Schon eine Woche nach dem Überfall
der arabischen Armeen forderte der UN-Sicherheitsrat einen
Waffenstillstand, zu dem David Ben-Gurion, der erste und langjährige
Premierminister Israels, Zustimmung signalisierte, während die arabischen
Staaten ihn zunächst rundweg ablehnten.
Erst nachdem sie realisiert hatten, dass ihre Armeen nicht den erwarteten
schnellen Sieg über den jungen jüdischen Staat erringen konnten, stimmten
sie einem Waffenstillstand zu.
Diesen wusste die israelische Armee, in welche die Hagana und ihrer
Eliteeinheit Palmach transformiert worden waren, deutlich besser für sich
zu nutzen. Nach heftigen Auseinandersetzungen, die den Konflikt zwischen
linken und rechten Kräften in Israel bis heute prägen, wurde auch Begins
Irgun in die Armee integriert.
Die Truppenstärke wurde bis zur Wiederaufnahme der Kampfhandlungen nach
vier Wochen fast verdoppelt, und schwere Waffen, darunter auch Bomber,
wurden ins Land gebracht.
## Demütigung, aber keine Einsicht
Der von den arabischen Staaten begonnene Krieg endete 1949 mit einem klaren
Sieg Israels, das nun etwa 77 Prozent des im UN-Teilungsplan definierten
Territoriums kontrollierte. Es war eine demütigende Niederlage für die
arabisch-nationalistische Seite. Auf israelischer Seite starben etwa 6.000
Menschen. Viele von ihnen waren Überlebende der nationalsozialistischen
Verfolgung und der Vernichtungslager. Doppelt so viele wurden verwundet.
Die Opferzahlen auf arabischer Seite dürften ähnlich, vermutlich etwas
höher gewesen sein. Jordanien besetzte und annektierte die Westbank. Und
Ägypten unter König Farouk den Gaza-Streifen. Im Verlauf der
Kriegshandlungen sind nach UN-Schätzungen etwa 750.000 Palästinenser
geflohen oder vertrieben worden. Und etwa 360 arabische Dörfer verschwanden
im Laufe des Krieges von der israelischen Landkarte.
Doch auch wenn Teile der zionistischen Bewegung sich früh für eine Trennung
zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung ausgesprochen hatten und
insbesondere die rechtsgerichteten Milizen auch eine entsprechende Politik
verfolgten, waren Flucht und Vertreibungen im Rahmen des Krieges nicht das
Ergebnis einer von der zionistischen Führung lange geplanten Strategie. Sie
waren stattdessen Resultat eines kriegerischen Konflikts, den die arabische
Seite nach ihrer Ablehnung des UN-Teilungsplans vom Zaun gebrochen hatte.
Während es in einigen Gegenden explizite Aufforderungen an die arabische
Bevölkerung gab, zu bleiben, kam es in anderen Regionen zu
Gewaltanwendungen seitens jüdischer Einheiten. Sie gaben mit der
Kooperation maßgeblicher Teile der palästinensischen Bevölkerung mit den
angreifenden arabischen Armeen ihre anfängliche Zurückhaltung im Verlauf
des Krieges immer mehr auf.
Die genauen Zahlen und Abläufe sind Gegenstand von anhaltenden
geschichtswissenschaftlichen Kontroversen. Nahezu in Vergessenheit geraten
ist hingegen, dass auch 850.000 Juden zu Flüchtlingen aus den arabischen
Ländern wurden. Im Gegensatz zu den Palästinensern war ihre Vertreibung
nahezu total und stand – anders als im Fall der arabischen Flüchtlinge –
auch nicht im Zusammenhang mit einem Kriegsgeschehen.
## Heutige Herausforderungen
Seit der Staatsgründung bleibt der israelischen Gesellschaft nichts anderes
übrig, als eine permanente Diskussion darüber zu führen, welches Ausmaß an
Gewaltanwendung zur Durchsetzung des im Zionismus allgemein anerkannten
Ziels, sich der Gewalt der feindlichen Seite nicht zu beugen, noch als
legitim angesehen wird. Denn die arabischen Staaten änderten ihre Position
nach der Niederlage von 1948 drei Jahrzehnte lang nicht.
Erst nach weiteren verheerenden Kriegen kam es 1979 mit Ägypten zum ersten
Friedensschluss eines arabischen Landes mit Israel. 1994 folgte Jordanien,
und erst 2020 haben weitere arabische Länder ihre Beziehungen mit dem
jüdischen Staat normalisiert, der gegenwärtig mit einer der schwersten
innenpolitischen Krisen seiner 75-jährigen Geschichte konfrontiert ist.
[5][Die Vernichtungsdrohungen gegen Israel] kommen schon seit Jahrzehnten
nicht mehr von den arabischen Führungen, sondern vor allem vom Regime in
Iran und von seinen Verbündeten. Darauf adäquat zu reagieren bleibt neben
der Aufrechterhaltung einer jüdisch-demokratischen Staatlichkeit die
zentrale Herausforderung für den Zionismus, auf dessen Grundlage der Staat
Israel vor 75 Jahren gegründet wurde.
Der Grundgedanke des Zionismus bleibt schon allein aufgrund der
[6][Persistenz des Antisemitismus aktuell]. Wie eine zionistische
Staatlichkeit als Schutz für alle vom Antisemitismus Bedrohten im Einzelnen
auszugestalten ist, wird in Israel auch in den kommenden Jahrzehnten
Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen sein. Ganz so, wie sie auch schon
die frühe zionistische Bewegung zu Zeiten Theodor Herzls geprägt haben.
10 May 2023
## LINKS
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[4] /75-Jahre-Israel/!5926444
[5] /Experte-ueber-Gewalt-in-Nahost/!5924950
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## AUTOREN
Stephan Grigat
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