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# taz.de -- 30 Jahre Osloer Abkommen: Wie der mögliche Frieden scheiterte
> Ein Kompromiss im Nahen Osten schien greifbar. Doch der
> israelisch-palästinensische Friedensprozess scheiterte – mit Konsequenzen
> bis heute.
Bild: War Frieden möglich? Handschlag zwischen Rabin und Arafat. In der Mitte …
Vor 30 Jahren, am 13. September 1993, kam es in Washington zum Handschlag
zwischen dem israelischen Premierminister Jitzchak Rabin und dem PLO-Chef
Jassir Arafat, mit dem jene „Prinzipienerklärung über vorübergehende
Selbstverwaltung“ besiegelt wurde, die allgemein als Osloer Abkommen oder
Oslo I bezeichnet wird.
Der Unterzeichnung waren inoffizielle Gespräche in der norwegischen
Hauptstadt vorausgegangen, welche die Grundlage für den
Nahost-„Friedensprozess“ der 1990er Jahre legten. Für das Zustandekommen
dieser Annäherung waren Voraussetzungen notwendig, von denen heute einige
kaum noch im Bewusstsein sind.
Erstens spielten in Israel die Erfahrung mit dem Libanon-Feldzug von 1982
eine Rolle, der mehrheitlich als erster Krieg bewertet wurde, der nicht der
unmittelbaren Verteidigung diente. Das stärkte in der israelischen
Gesellschaft jene Kräfte, die einen Ausgleich mit der PLO und den
arabischen Nachbarstaaten für notwendig und möglich hielten, und bereitete
den Boden für das Erstarken der israelischen Friedensbewegung, die zehn
Jahre nach dem Libanon-Feldzug die außerparlamentarische Unterstützung des
Oslo-Prozesses organisieren sollte.
Zweitens gehört zur Vorgeschichte des Friedensprozesses die Erfahrung der
Ersten Intifada, die Ende 1987 begann. Rabin, der als Verteidigungsminister
lange für die Repression gegen die Aufständischen zuständig war, sprach
bereits 1988 davon, dass die Intifada nicht militärisch beendet werden
könne, sondern eine Lösung politisch erfolgen müsse.
Teile der palästinensischen Gesellschaft verstanden, dass sie die Israelis
nicht gewaltsam aus den Gebieten vertreiben können, und Israel musste
einsehen, dass es die palästinensische Bevölkerung mit jenen Mitteln, die
in der israelischen Gesellschaft und international akzeptiert werden, nicht
unter Kontrolle bekam.
## Keine realistische Kriegsoption
Drittens gehört der Zusammenbruch der Sowjetunion zur Vorgeschichte, er
führte dazu, dass die arabischen Staaten keine realistische Kriegsoption
mehr gegen den jüdischen Staat hatten – anders als in den 1960er und 70er
Jahren, als die arabischen Staaten von den realsozialistischen Ländern mit
modernem Militärgerät ausgestattet worden waren.
Vor dem Hintergrund des Zerfalls des Realsozialismus fand 1991 die
Konferenz von Madrid statt, an der auf israelischer Seite der Likud-Premier
Jitzchak Shamir teilnahm, der kaum zu Zugeständnissen gegenüber der PLO
oder auch Syrien bereit war. 1992 jedoch gewann die sozialdemokratische
Avoda unter Rabin die Wahlen und bildete unter anderem mit der
linksliberalen Meretz eine Koalition.
Rabin meinte, eine historische Gelegenheit zu erkennen: Die Besatzung sei
nur zu untragbaren Kosten aufrechtzuerhalten. Israel befinde sich in einer
Position relativer Stärke, die PLO hingegen sei durch ihr Bündnis mit
Saddam Hussein geschwächt. Die USA seien die einzige verbliebene
Supermacht, aber Russland werde perspektivisch als pro-arabischer Akteur
zurückkehren.
Die klassische Sicherheitsdoktrin sei überholt und die Bedeutung der
„strategischen Tiefe“, wegen der es lange auch in der Arbeitspartei als
unmöglich galt, die Westbank zu räumen, nehme angesichts der Entwicklung
der Raketentechnik dramatisch ab. Und vor allem: Das iranische Regime
strebe nach Nuklearwaffen, woraus in Zukunft die zentrale existenzielle
Bedrohung für Israel erwachse.
Ohne den letzten Punkt ist nicht zu verstehen, warum Rabin und sein
Außenminister Shimon Peres den riskanten Schritt gewagt haben, sich mit
jemandem auf einen „Friedensprozess“ einzulassen, den beide über Jahrzehnte
bekämpft hatten. Rabin war der erste israelische Premier, der von seinen
Geheimdiensten davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass das iranische Regime
offensichtlich daran arbeitet, sich die Option auf Nuklearwaffen zu
beschaffen.
## Existenzielle Bedrohng durch den Iran
1992 billigte Rabin zum einen die Geheimgespräche in Oslo, die den Auftakt
für die direkten Verhandlungen mit der PLO darstellten. Zum anderen
entschied Rabin sich für die Anschaffung von Langstreckenbombern, die
gegebenenfalls in der Lage sein sollten, den Nuklearambitionen der
Ajatollahs militärisch Einhalt zu gebieten. Zugleich beauftragte er die
israelischen Gesandten, für eine scharfe Sanktions- und Isolationspolitik
gegenüber dem iranischen Regime zu werben – was bis heute weitgehend
gescheitert ist.
Die Idee war, die Gefahren an und in den Grenzen Israels durch Kompromisse
in den Griff zu bekommen und den, wie Rabin das nannte, „inneren
Gefahrenkreis“ zu neutralisieren, um sich dem „äußeren Gefahrenkreis“ �…
heraufdämmernden existenziellen Bedrohung durch einen sich nuklear
bewaffnenden Iran – angemessen begegnen zu können.
Diese Konzeption ist in einem Punkt aufgegangen: 1994 kommt es zum
Friedensschluss mit Jordanien, der zeigte, dass das Abkommen zwischen
Israel und Ägypten von 1979 nicht jene an ein Wunder grenzende Ausnahme
bleiben muss, als die es lange gesehen wurde. Ansonsten aber ist Rabins
Vorhaben gescheitert.
Die Grundkonzeption des Osloer und der nachfolgenden Abkommen
(Gaza-Jericho-Abkommen 1994, Oslo II 1995, Wye-Abkommen 1998) beruhte
darauf, dass die Israelis ihre überlegene militärische Macht zurücknehmen
und die ihrer Feinde, die [1][über Jahrzehnte mit der erklärten Absicht
gegen sie gekämpft hatten, sie zu vernichten], in der Hoffnung stärkt, dass
[2][diese Feinde das als ein derartiges Entgegenkommen empfinden,] dass sie
sich im besten Fall zu Freunden, zumindest aber zu kompromissbereiten
Gegnern wandeln.
## Der Terror eskalierte
Doch es gibt begründete Zweifel, dass das der Fall war. Arafat und seine
Fatah hatten sich 1993 dazu bekannt, keine Gewalt mehr zur Durchsetzung
ihrer Ziele einsetzen zu wollen. Dennoch waren die Jahre 1994 bis 1996 für
die Israelis die blutigsten seit Langem. Israel hatte sich selbst in eine
Situation gebracht, welche die Regierung nötigte, den Terror
beziehungsweise seine Nichtverfolgung durch Arafat zu ignorieren oder aber
den Friedensprozess für beendet zu erklären, kaum dass er begonnen hatte.
Der Terror eskalierte im Wahlkampf 1996 und trug entscheidend dazu bei,
dass Benjamin Netanjahu mit einem minimalen Vorsprung Peres schlug, der
nach der Ermordung Rabins 1995 durch einen israelischen Rechtsradikalen als
Spitzenkandidat der Avoda angetreten war.
Die Anschläge wurden maßgeblich von [3][Terrorgruppen durchgeführt, die
Unterstützung aus dem Iran erhielten. Das iranische Regime], das bereits
anlässlich der Madrid-Konferenz 1991 zu einer Gegenkonferenz nach Teheran
geladen hatte, wollte jegliche Annäherung zwischen der PLO und Israel
torpedieren und hoffte, dass der Friedensprozess durch einen
Likud-Hardliner sofort gestoppt würde. Aber das geschah nicht.
Die Regierung Netanjahus übergab Hebron als letzte wichtige Stadt im
Westjordanland, die noch nicht unter palästinensischer Kontrolle stand, zur
Zivilverwaltung an die Palästinensische Autonomiebehörde. Zu diesem
Zeitpunkt lebte die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung nicht mehr
unter direkter israelischer Kontrolle. Die Besatzung hatte, trotz aller
weiterhin bestehenden Restriktionen, einen anderen Charakter angenommen als
zu Beginn der 1990er Jahre.
## Das Abkommen als Trojanisches Pferd
Trotz des weiterhin betriebenen Baus von israelischen Siedlungen in der
Westbank, den die Mehrheit der Israelis zu dieser Zeit für einen Fehler
hielt, wäre das eine gute Ausgangslage für weitere Schritte hin zu einer
friedlichen Koexistenz gewesen. Aber den maßgeblichen Kräften innerhalb der
palästinensischen Führung ging es offensichtlich um etwas anderes.
Lange vor dem offensichtlichen Scheitern des Oslo-Prozesses haben viele
prominente Fatah-Führer sich dazu hinreißen lassen, ihr eigentliches Ziel
auszuplaudern. Berühmt geworden ist die Formulierung von Faisal
el-Husseini, einem der wichtigsten, stets zum „moderaten“ Flügel
gerechneten PLO-Vertreter, der die Oslo-Vereinbarungen als „trojanisches
Pferd“ bezeichnete, das die Palästinenser durch ihre Zustimmung zu den
Verträgen in die israelische „Festung“ hineingeschmuggelt hätten und durch
das man langfristig die „Befreiung ganz Palästinas“ erreichen werde.
Arafat stellte klar, dass er das Abkommen mit Israel ganz im Sinne jener
schon von Mohammed mit einem verfeindeten Stamm geschlossenen zehnjährigen
Hudna verstehe, also einer zeitlich begrenzten Waffenruhe, die nicht auf
Frieden abzielt, sondern der Konsolidierung der eigenen Kräfte dient, um
den bewaffneten Kampf gegen den Feind erneut aufzunehmen.
1996 huldigte Arafat dem Chefbombenbauer der Hamas, Yahya Ayyash, und die
von der Fatah kontrollierten Medien verbreiteten die gesamten 1990er Jahre
hindurch antisemitische Propaganda, die mit Ausbruch der Zweiten Intifada
nochmals intensiviert wurde und jener der Hamas und anderer Islamisten in
fast nichts nachstand.
## Erhöhtes Risiko für Israel
Der Friedensprozess brachte von Beginn an für die israelische Seite ein
erhöhtes Risiko, denn jene Sicherheit in Frieden, um die es Israel zu
dieser Zeit ging, stand stets nur als fernes Endziel am Horizont, das nur
zu erreichen sei, wenn man der palästinensischen Seite genügend
Zugeständnisse machte. Diese musste man ihr gewähren, bevor sie glaubhafte
Sicherheitsgarantien abgegeben hatte oder auch nur abgeben konnte und bevor
sie damit aufhörte, [4][arabische Kinder und Jugendliche mit
antisemitischer Hetze zu indoktrinieren], statt sie auf ein späteres
friedliches Zusammenleben in der Region vorzubereiten.
Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zum Friedensschluss mit Ägypten
von 1979, der oft als Vorbild für das Osloer Abkommen genannt wird. Der
ägyptische Präsident Anwar el-Sadat konnte glaubhafte Sicherheitsgarantien
abgeben, bevor Israel konkrete Schritte gehen musste. Im Gegensatz zu
Arafat ergriff er die Initiative und kam ins israelische Parlament, während
es für den PLO-Chef undenkbar war, sich in die Knesset zu stellen und der
eigenen Bevölkerung zu signalisieren, dass es ernsthaft um einen
historischen Kompromiss mit dem Feind geht.
Gravierende Zweifel, ob Arafat und die PLO solch einen Kompromiss überhaupt
anstreben, wurden spätestens 2000 in Camp David laut. Nachdem Ehud Barak
1999 für die Avoda die Wahlen gegen Netanjahu gewonnen hatte, wagte er ein
von Bill Clinton unterstütztes Entgegenkommen, das vermutlich einen
historischen Durchbruch hätte bedeuten können – wäre es nicht von
palästinensischer Seite abgelehnt worden.
In Camp David haben die Israelis von der Teilung Jerusalems geredet, obwohl
die Verhandlungsdelegation dafür kein Mandat hatte. Für die Nachkommen der
palästinensischen Flüchtlinge sollte es kein „Rückkehrrecht“ geben, aber
Barak und Clinton sprachen von Familienzusammenführungen, einer
symbolischen Anerkennung des Leids und von großzügigen finanziellen
Entschädigungen.
## Frage des „Rückkehrrechts“
Der zukünftige, weitgehend entmilitarisierte palästinensische Staat sollte
den Gaza-Streifen und bis zu 96 Prozent der Westbank sowie
Gebietskompensationen von 1 bis 3 Prozent für die Siedlungsblöcke umfassen,
die bei Israel verbleiben sollten. Arafat lehnte das ab und insistierte auf
dem „Rückkehrrecht“, dessen Implementierung das Ende Israels als jüdischen
Staat bedeuten würde und auch von linken Israelis abgelehnt wird.
Arafats Nachfolger Mahmoud Abbas soll zu jenen gehört haben, die ihn in
dieser Ablehnung besonders bestärkt haben. Die Autonomiebehörde begann, wie
später mehrere Funktionäre bestätigten, die Zweite Intifada zu planen, in
der über 1.000 Israelis ermordet wurden.
Auch die Führung der PLO musste wissen, dass es in Zukunft kaum ein
besseres als Baraks von Clinton nochmals nachgebessertes Angebot geben
würde. Seit Camp David stellen sich auch kompromissbereite Israelis die
Frage: Was sollen wir noch anbieten? Alles, was über die Angebote des
letzten sozialdemokratischen Premiers Israels entscheidend hinausgehen
würde, gefährdet die Sicherheit ihres Staates, die auch für die
zionistische Linke nicht verhandelbar ist.
Ein bis heute nachwirkendes Ergebnis der Entwicklungen der zehn Jahre von
der Konferenz von Madrid bis zum Beginn der Zweiten Intifada war der
Kollaps der israelischen Linken, der durch das Verhalten Arafats die
Grundlage abhandengekommen war.
Als Resultat davon und in Reaktion auf die erste Terrorwelle zum Beginn der
Zweiten Intifada gewann Ariel Sharon als überraschender Spitzenkandidat des
Likud 2001 die Wahlen gegen die Avoda. Heute stellt die Avoda als
maßgebliche Protagonistin des „Friedensprozesses“ der 1990er Jahre nur mehr
4 der 120 Knesseth-Abgeordneten, während es 1992 noch 44 waren.
Stephan Grigat ist Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus an
der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Herausgeber u. a. von
„Kritik des Antisemitismus in der Gegenwart“ (Nomos 2023).
4 Sep 2023
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