# taz.de -- Presse- und Meinungsfreiheit im Netz: Auf Satire steht in Jordanien… | |
> Durch ein neues Gesetz können Äußerungen, die den sozialen Frieden | |
> gefährden sollen, schärfer bestraft werden. Journalist*innen sind | |
> besorgt. | |
Bild: Das jordanischen Parlament berät über das Cybercrime-Gesetz – und die… | |
AMMANtaz | Ein Jahr Gefängnis für einen kritischen Post auf Facebook: Ahmad | |
Hassan al-Zoubi, seit fast 20 Jahren Satiriker und Journalist, kann kaum | |
glauben, was sein Anwalt am anderen Ende der Leitung sagt. Beißende Kritik | |
ist sein Beruf, sein Markenzeichen, sein Lebensunterhalt. Im Grunde | |
genommen sein Leben – zumindest das professionelle. Das alles steht nun auf | |
dem Spiel. | |
Von dem Urteil erfährt er Anfang August, angefangen hat der Prozess vor | |
etwa einem halben Jahr. Es ist ein Tag wie jeder andere, als sich al-Zoubi | |
in sein persönliches Profil auf der Webseite des Justizministeriums | |
einloggt, um den Status der gegen ihn anhängenden Klagen zu checken. Als | |
kritischer Autor ist er Anzeigen gewohnt. Dieses Mal ist der Zankapfel ein | |
Facebook-Post, veröffentlicht ein paar Monate zuvor, am 19. Dezember. | |
[1][Es geht um einen Streik von Lkw-Fahrern], der landesweite Proteste in | |
Jordanien ausgelöst hatte. Im Text kritisiert al-Zoubi einen Minister | |
scharf. | |
„Ich wurde angerufen, man hat mir gesagt, ich solle zur Staatsanwaltschaft | |
gehen“, erzählt er. Und das tut er, mit großem Besteck – etwa 300 | |
Anwält*innen sind bei ihm. Sie alle haben sich bereit erklärt, al-Zoubi | |
zu verteidigen. So viele, dass die Sitzung aus Sicherheitsbedenken | |
verschoben wird. Al-Zoubi ist in seinem Heimatland Jordanien bekannt. Er | |
hat für die überregionale Zeitung Ar-Rai geschrieben, 908.000 Menschen | |
folgen ihm auf [2][X (ehemals Twitter)], seine Videos werden auf Youtube | |
tausendfach geklickt. | |
Nun sitzt der 48-jährige Satiriker in kariertem Hemd und Jeans auf den mit | |
braunem Samt überzogenen, goldverzierten Sofa seines Hauses in Ar-Ramtha, | |
etwa zehn Kilometer vor der syrischen Grenze. Unter dem kühlen Luftzug der | |
Klimaanlage fragt er sich, ob er in wenigen Tagen in einer Gefängniszelle | |
sitzen wird. Die jordanische Justiz befand, dass sein Post Konflikte in der | |
Gesellschaft aufwiegele. Dagegen waren auch die 300 Anwält*innen | |
machtlos. | |
## „Ich suche nur Gerechtigkeit“ | |
Al-Zoubi trinkt Tee und wartet, entspannen kann er sich nicht. „Klar bin | |
ich gestresst“, sagt er und reibt sich kurz die Augen. Er ist ein großer | |
Mann mit einer sanften Art, der so aussieht, als fiele ihm in jeder Lage | |
noch ein Witz ein. Doch nun denkt er vor allem daran, wie sein Leben bald | |
aussehen könnte. | |
Ein Junge unterbricht kurz das Gespräch, trägt lächelnd ein Silbertablett | |
mit Tässchen voll schwarzem Kaffee ins Wohnzimmer. Al-Zoubi sagt, er mache | |
sich Sorgen: Um seine Kinder, die zum Teil noch in der Schule sind – und | |
sich nun auf seine Abwesenheit vorbereiten sollen. Um seine Frau, die dann | |
alleine die Verantwortung für die Familie schultern muss. Und um seinen | |
Job, der gerade auf dem Spiel steht. | |
Er nimmt einen Schluck bitteren Kaffee. Noch hofft er, dass alles gut | |
ausgehen wird, dass das Urteil aufgehoben wird. „Ich hoffe, dass man das | |
friedvoll lösen kann, ich suche nur Gerechtigkeit.“ Noch gebe es keine | |
Vollzugsanordnung – ob das so bleibt, ist ungewiss. | |
Festnahmen von Journalist*innen wegen Posts und Onlinetexten kommen in | |
Jordanien immer mal wieder vor. Doch eine so lange Freiheitsstrafe ist | |
ungewöhnlich. Das bestätigt auch Adam Coogle von der | |
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Organisation | |
veröffentlichte vergangenen Herbst einen Bericht, in dem sie die | |
Drangsalierung von jordanischen Aktivist*innen und Kritiker*innen | |
anprangerte. | |
## Bis zu drei Jahre Haft oder 26.000 Euro Bußgeld | |
Ein neues Cybercrime-Gesetz, das diese Woche offiziell in Kraft tritt, | |
bereitet Coogle nun noch mehr Sorgen: „Das Gesetz verschlimmert eine | |
bereits schlechte Situation.“ [3][Mehrere Journalist*innen sind unter | |
dem alten Gesetz angezeigt worden,] nun sind die Strafen noch schärfer. Bis | |
zu drei Jahre Gefängnis oder 20.000 Dinar – 26.000 Euro – Bußgeld drohen | |
etwa, wenn jemand etwas postet, das den sozialen Frieden gefährdet. | |
Texte, die Polizist*innen verleumden oder gegen die Sitten verstoßen, | |
können ebenfalls hinter Gitter führen. Die Nutzung von Virtual Private | |
Networks, um anonym zu surfen, kann unter Umständen ebenso strafbar sein. | |
Problematisch ist vor allem die Ungenauigkeit der Begriffe. Das könnte etwa | |
[4][LGBTQ-Menschen] oder Aktivist*innen zur Zielscheibe machen. „Das | |
neue Gesetz wird mehr Probleme in der Gesellschaft schaffen, als es lösen | |
soll“, findet auch der jordanische Medienexperte Khaled Qudah. Es könnte | |
die Menschen zum Schweigen bringen. Mögliche Folgen: mehr Korruption, | |
weniger politische Teilnahme. | |
Verfechter sehen es hingegen als Mittel, um die rasche Zunahme an | |
Cybercrime-Fällen der vergangenen Jahre einzudämmen. Seit 2015 haben sich | |
diese versechsfacht. Premierminister Bisher al-Khasawneh sagte jüngst, das | |
Gesetz rühre nicht an die „Freiheiten oder Rechte, die in der Verfassung | |
verankert sind“, und die Regierung sei offen für Kritik. Jordaniens König | |
Abdullah II. erklärte vor Kurzem, Jordanien sei kein repressives Land und | |
der Kampf gegen Cyberkriminalität solle nicht auf Kosten der | |
Meinungsfreiheit gehen. | |
## Tiktok ist blockiert, eine Satirewebseite gesperrt | |
In den letzten Jahren ist jedoch der Raum für politische Kritik im | |
haschemitischen Königreich geschrumpft. Das Videoportal Tiktok ist seit den | |
Protesten im Dezember gesperrt, die satirische Webseite Al-Hudood ist seit | |
Juli offline. Festnahmen von friedlich Demonstrierenden, sogar vor den | |
Protesten, haben 2022 gar den Menschenrechtskommissar der Vereinten | |
Nationen beunruhigt. Studien belegen, dass Selbstzensur unter | |
Medienschaffenden Alltag ist, Kritik am König etwa ist eine rote Linie. | |
Gleichzeitig sollen Reformen die politische Teilnahme der eher | |
desillusionierten Bevölkerung steigern, vor allem junger Erwachsener. Dafür | |
sei jedoch das neue Gesetz „wie eine kalte Dusche“, sagt Edmund Ratka, | |
Leiter des jordanischen Auslandsbüros der CDU-nahen | |
Konrad-Adenauer-Stiftung. „Wie will man junge Menschen motivieren, sich | |
politisch zu engagieren, wenn man ihnen das Gefühl gibt, sie müssten bitte | |
online vorsichtig sein? Das passt nicht zusammen.“ | |
Jordanien ist nicht das einzige Nahost-Land, in dem Cybercrime-Gesetze | |
Kritiker*innen zum Verhängnis werden. 2022 hat das Regime um den | |
syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ein drakonisches Gesetz | |
verabschiedet, das Äußerungen, die Aufruhr gegen die Behörden stiften, mit | |
bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft. In Saudi-Arabien wurde vor einem Jahr | |
eine Frau zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sich ihre Tweets auf die | |
soziale Ordnung negativ ausgewirkt haben sollen. | |
Al-Zoubi sagt, er denkt gerade darüber nach, seine Nachrichtenwebseite | |
Sawaleif wegen des neuen Gesetzes zu schließen. Das Risiko sei ihm zu hoch. | |
Das Ende seiner Karriere soll dies aber nicht sein. Er sagt resolut: „Jetzt | |
habe ich Angst. Aber in Zukunft will ich weiter schreiben, so wie vorher.“ | |
11 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Serena Bilanceri | |
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