| # taz.de -- Seltsame Musik vom Schotten Bill Wells: So verstehen uns Aliens bes… | |
| > Sonderlinge gibt es im Pop einige, aber keiner ist so verschroben wie | |
| > Bill Wells. Deshalb werden hier gleich zwei Alben von ihm vorgestellt. | |
| Bild: Ein Herz und eine Seele: Danielle Price und Bill Wells | |
| Wer leicht abseitige Musik mag, die dem Ohr schmeichelt wie ein | |
| Isla-Whiskey dem Gaumen, kommt um Schottland kaum herum – selbst wer kaum | |
| Künstler:Innen von dort kennt. Ein Name, der von nun an im Gedächtnis | |
| bleiben kann, ist Bill Wells. Seine Prägung beschrieb der Glasgower | |
| Gitarrist, Bassist und Pianist einmal als „jazz by default“. In den | |
| mittleren neunziger Jahren galt Wells tatsächlich als aufsteigender Stern | |
| am Jazzhimmel. Doch die streberhafte Szene erwiderte seine Liebe nicht – | |
| was wohl an seinem Herz für unterschiedlichste Klangwelten lag. | |
| Der 1963 geborene Autodidakt [1][erlaubte sich einen Witz] über die | |
| Gatekeeper-Mentalität der arg hermetischen Jazzwelt, indem er eines seiner | |
| Bandprojekte National Jazz Trio of Scotland nannte – obwohl es weder Jazz | |
| noch ein Trio war und schon gar nicht mit einem offiziellen Auftrag | |
| unterwegs. Auf nunmehr fünf („Standards“ betitelten, durchnummerierten) | |
| Alben begleitet Wells die Sängerinnen Aby Vulliamy, Kate Sugden und Lorna | |
| Gilfedder jeweils durch eigenwillige Songs. | |
| Über die Jahre entwickelte sich der Solitär zur grauen Eminenz in der | |
| Indie-Welt und arbeitete mit unterschiedlichsten Künstler:innen: den | |
| stilprägenden Indie-Poppern The Pastels, [2][der Twee-Popband Belle & | |
| Sebastian], der Berliner Songwriterin Barbara Morgenstern oder mit Aidan | |
| Moffat, bekannt als Solist und Hälfte des grummeligen Duos Arab Strap. | |
| ## Verspielt und melancholisch zugleich | |
| Nun hat Wells ein feinsinniges zweites Album mit der Tubistin Danielle | |
| Price veröffentlicht, zusammen sind sie The Sensory Illusions: Elf | |
| wunderbare Begegnungen zwischen E-Gitarre und dem tiefsten aller | |
| Blasinstrumente, das hier sehr nuanciert klingt. Mal lässt Price ihre Tuba | |
| die Gesangsstimme übernehmen, dann wieder fungiert sie als Rhythmusgeberin. | |
| Mit Melancholie und Verspieltheit führen Wells und Price Pop, Jazz, aber | |
| auch Avantgardistisches und Filmmusik zusammen. | |
| Etwa in der behände-luftigen Interpretation [3][des Spionagethriller-haften | |
| „Theme from Vendetta“ von John Barry:] Wells schneidende Gitarre ruft | |
| flirrenden Sixties-Pop auf, Price erdet ihn mit tiefen Vibrationen. An | |
| anderer Stelle gibt sie die Melodie vor, beim sehnsuchtsvollen „Flotsam | |
| Bodes“ etwa – einem von zwei Tracks, für die Wells diesmal Klavier spielt. | |
| Dass er seiner Zeit oft voraus war, beim Erkunden unbekannter Klangwelten, | |
| zeigt auch eine jüngst wiederveröffentlichte Kooperation von 2006. | |
| Blasmusik im frischen Gewand gab es seinerzeit vor allem in Gestalt des | |
| Balkan-Pop, bei dem osteuropäische Folklore, oft wenig subtil, mit | |
| Dancefloorbeats aufgebohrt wurde. „Osaka Bridge“, das erste von zwei Alben, | |
| die Wells mit dem Tokioter Outsider-Kollektiv Maher Shalal Hash Baz | |
| aufnahm, schlug da deutlich verschrobenere Töne an. Der Name der Combo | |
| entstammt der Bibel, genauer gesagt dem Buch Jesaja, und bedeutet so viel | |
| wie „Sei schnell, wenn du etwas stiehlst“. | |
| ## Anarchie, Sekte, Keramik | |
| Mastermind von Maher Shalal Hash Baz war Tōri Kudō, eine schillernde | |
| Persönlichkeit: In den 1970ern revolutionärer Polit-Aktivist, später Zeuge | |
| Jehovas. Und seither auch Keramikkünstler. Zusammen mit seiner Frau Reiko | |
| und dem Euphonium-Spieler Hirō Nakazaki amalgalmierte Kudō für dieses | |
| Projekt Avant-Folk, Psychedelia und Freejazz – mit Frusttoleranz für Fehler | |
| und Stolperer. Nicht umsonst hat Kudō sich schon als „king of error“ | |
| bezeichnet. Entsprechend rumpelig klingt „Osaka Bridge“, weit weniger | |
| ausdefiniert als Wells’ aktuelle Blasmusik-Kooperation. | |
| Und doch inspirierte das Album eine Subkultur-Nische, was sich auf der | |
| charmanten Compilation „Alien Parade Japan“ (2022) nachvollziehen lässt. | |
| Viele Ideen darauf werden auf halber Strecke fallen gelassen und wärmen | |
| doch das Herz. Als versuche ein Mittelstufenorchester d[4][en unlängst | |
| verstorbenen Burt Bacharach] zu interpretieren – so beschrieb ein User auf | |
| Discogs seine Hörerfahrung. Eine andere findet, das Album „könne Aliens | |
| vermitteln, worum es der Menschheit geht“. | |
| Nun, mit einer zuckersüßer Melodei wie „On the Beach Boys Bus“ im Ohr muss | |
| man sagen: Das ist eindeutig ein zu liebevoller Blick auf unsere Spezies. | |
| 22 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://immunerecordings.bandcamp.com/album/fugue | |
| [2] /Schottische-Popband-Belle-and-Sebastian/!5852949 | |
| [3] /Pop-Ikone-Jane-Birkin-haelt-Rueckschau/!5920612 | |
| [4] /Nachruf-auf-den-Musiker-Burt-Bacharach/!5914970 | |
| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
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