# taz.de -- „Black Metal“- Album von Dean Blunt: Der große Abwesende | |
> Pop, der sich als Scripted Reality präsentiert: der britische Künstler | |
> Dean Blunt und sein herausragendes neues Album „Black Metal“. | |
Bild: Das Enigma des Pop: Dean Blunt in Atlanta/Georgia. | |
Dieser Mann ist für die Unendlichkeit zu groß und kleiner als ein Sandkorn. | |
Deshalb hält Dean Blunt die Welt des Pop mit seiner Nicht-Existenz seit | |
geraumer Zeit in Atem. Wie vor 100 Jahren der Schriftsteller B. Traven der | |
Welt der Literatur durch seine Abenteuerromane und durch seine fingierte | |
Biografie Rätsel aufgegeben hat, treibt auch Dean Blunt ein tolles | |
Verwirrspiel: Wer ist dieser Kerl eigentlich? Und was geht in ihm vor? | |
Je drängender die Fragen zu seiner Person, desto unvorhersehbarer seine | |
Schritte, desto stärker wirkt der Impuls von Dean Blunt hinter seiner Musik | |
zu verschwinden. Genau wie jener B. Traven legt der Brite dann eine | |
ungeheure Produktivität an den Tag, siegt über das ihn umgebende Chaos, | |
weil er ein Echolot besitzt, mit dem er durch die Sumpfgebiete des Daseins | |
navigiert und Herr der Lage bleibt. Es ist immer Theater, aber es ist sein | |
Theater. | |
„Black Metal“ heißt Dean Blunts am Freitag erscheinendes offizielles neues | |
Album, sein erstes für das Londoner Label Rough Trade. Ein Werk, dessen | |
Innen- und Außen-Cover komplett geschwärzt ist. Bis auf die Nennung der 13 | |
Songtitel und zweier Quellenangaben zu Samples – Blunt benutzte dafür Musik | |
der US-Band Big Star und der Schotten The Pastels – verzichtet der | |
Interpret auf jegliche Informationen. Texte, Besetzung und | |
Aufnahmemodalitäten bleiben im Dunkeln. Auch die Songtitel sind recht | |
einsilbig: „Lush“, „Punk“, „Mersh“, „Grade“. | |
Die Musik spricht für sich. Und sie tut das auf bewunderungswürdige Weise: | |
in your face, mal euphorisiert treibend, mal hochtourig tuckernd. In | |
anderen Momenten klingen die Songs dann verletzlich und verwundbar, sodass | |
man geneigt ist, von einem Singer-Songwriter-Album zu schreiben. Blunt hält | |
eben nicht die eine Erzählebene mit nur einer Klangsignatur aufrecht. In | |
seiner Musik kommt vieles auf eine Weise zusammen, wie man es noch nie in | |
einem Zusammenhang gehört hat: Die ungestüme Expressivität von | |
australischer Gothic-New-Wave, coole Ragga Soundpoetry, der psychedelische | |
Folkpop eines Arthur „Love“ Lee und die eiskalte Berechnung aus den | |
HipHop-Vorstellungswelten von Schooly D. | |
Auch wenn einem iTunes weis machen will, dies sei „Indie Rock“, Blunt ist | |
immun gegen Zuschreibungen jeglicher Art. Er weist sie umstandslos zurück | |
und behauptet im nächsten Song das Gegenteil. Weder steht das Schwarz des | |
Covers eindeutig für die Hautfarbe, noch für einen existentiell gearteten | |
Geisteszustand, oder etwa für das albumtitelgebende Musikgenre „Black | |
Metal“. | |
## Keinerlei Sorgen | |
Zusammen mit der Sängerin Joanne Robertson singt er „I’m worried about | |
nothing“ in dem pastoral anmutenden Roadmoviesong „Molly & Aquafina“. Dean | |
Blunt ist ungemein unterhaltsam und vielseitig. „Forever“, das | |
anschließende 13-minütige Desaster von einem Song, gesungen von Joanne | |
Robertson alleine, klingt wie eine Eisskulptur, die von einem Beat zerhackt | |
wird und zu einem Sirenen-haften Outro schmilzt, erzeugt von Saxofon, | |
Gitarrenfeedback und elektronischen Störgeräuschen. In „X“ wiederum | |
bekundet Blunt „A nigger is never coming back“, über acht düstere Minuten | |
Fluchtgedanken. Flucht vor den Stereotypen, die immer wieder in seiner | |
Musik auftauchen. Aber er lässt sich nie von ihnen vereinnahmen und er | |
betreibt auch sonst keinerlei Propaganda. | |
„Was durch die Reinheit der Intention vermittelt wird, liegt nicht in | |
meiner Gewalt, da ich jenseits davon nichts weiß.“ Das ist die einzige | |
Aussage, die es bis jetzt von Blunt zu seinem neuen Material gibt. Eine | |
dreiste Lüge, denn Blunt weiß mehr, als er preis gibt. So huldigt seine | |
Musik auf „Black Metal“ auch der Bedeutung von Rough Trade als kreativer | |
Pop-Keimzelle der frühen Achtziger. Dean Blunt hat sich diese Bedeutung | |
einfach gekapert, es ist seine Behauptung. | |
Im Londoner Stadtbezirk Hackney ist zurzeit auch eine Ausstellung zu sehen. | |
„Dean Blunt: New Paintings“, abstrakte Malerei mit der Anmutung von Icons | |
oder Werbelogos. Tatsächlich zitiert der Künstler etwa das Logo der | |
britischen Behörde für ethnische Gleichstellung. In seiner Musik passiert | |
etwas ganz ähnliches. Auf „Trident Pt 2.“ (der Track soll als Maxisingle | |
erscheinen) erzählt er über zehn Minuten von einer Auseinandersetzung | |
zwischen Gangs inklusive verdeckter Polizeiermittlung. Was seiner Fantasie | |
entsprungen ist und was real passiert sein könnte, verwischt bei Dean Blunt | |
zu einer faszinierenden Performance. Pop als Scripted Reality. | |
Videoclips mit neuen Liedern, wie etwa der Track „Son“, stehen zeitweise | |
online, werden umbenannt, um in anderer Version an anderer Stelle im Netz | |
erneut aufzutauchen. Von einem Künstler wird im digitalen Zeitalter | |
permanente Präsenz und absolute Inszenierung eingefordert. Er muss integer | |
wirken und gleichzeitig Street Credibility haben. Total transparent. Dean | |
Blunt bleibt lieber undurchsichtig, spielt dieses Spiel nach seinen eigenen | |
Regeln. Im Video zu „Son“ sitzt er an einem Tisch, nickt zusammen mit | |
seiner Partnerin Joanne Robertson zu dem traumhaft geloopten Beat im Takt. | |
Abwechselnd ziehen sie an einem Joint. Dean Blunt verkörpert seine Musik, | |
und gleichzeitig ist er der große Abwesende des zeitgenössischen Pop. | |
29 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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