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# taz.de -- Album von Dean Blunt alias Babyfather: Mehr Privatsphäre, aber dal…
> Dean Blunt erfindet sich mit seinem Album „BBF hosted by DJ Escrow“ neu:
> Als Babyfather gibt er einen Dancefloor-Derwisch als Kunstfigur.
Bild: There ain‘t black in the Union Jack? Dean Blunt, am Steuer sitzend, bri…
Dean Blunt ist ein Blender, eine Zitatfabrik in der Form einer Ich-AG,
dessen Spuren ein Universum namens Dean Blunt eröffnen, dessen Zentrum leer
ist. Auch sein neues Album wird daran nichts ändern – zum Glück! „BBF
hosted by DJ Escrow“ heißt es.
DJ Escrow ist ein Mitglied des Kultur-Lumpenproletariats, ein
Möchtegern-Piratenradio-DJ, der sich in seinem Heimstudio einschließt, um
dort seine Ansagen zu üben oder seine Zukunftspläne so auszubreiten, als
wäre er ein Charakter in einer DJ-Castingshow. Im Hintergrund seiner
Monologe hört man das Schaben von Plattennadeln in der Auslaufrille oder
eine klimpernde Akustikgitarre, über die DJ Escrow einen Loop seiner Stimme
laufen lässt: „This makes me proud to be British“.
Es ist einer dieser unbehaglichen Dean-Blunt-Witze, bei denen man nie
sicher sein kann, ob die Pointe nicht zu Lasten derjenigen geht, die
darüber lachen. Sicher, die Sehnsucht nach einem fiktivem Land voller
grüner Hügel ist ein fester Bestandteil des britischen Nationalismus. Aber
reicht es nicht, die nationalstolzen Floskeln einfach ad nauseam zu
wiederholen anstatt sich mit elaborierten Argumenten von links der
Wiederkehr des Immergleichen widmen zu müssen?
Solche Gags haben Dean Blunt den Ruf eines Pranksters eingebracht, der
lediglich mit seinem Publikum spielt. Ganz abwegig ist das nicht. Aber
Blunt mutet jedem Publikum die Verwirrung zu, die es nötig hat. Er ist ein
Erlöser, kein Hofnarr. Auf seinen Konzerten in Galerien und Theatern
bringen die Subbässe noch die engste Röhrenjeans zum Flattern. Letzten
Sommer trat er nachts auf dem Moers-Festival auf. Er saß am Flügel und
spielte eine Lounge-Coverversion der Trennungshymne „Prayer to God“, im
Original von der US-Noiserockband Shellac. Seine Band begleitete ihn dabei
mit Barjazz, bevor sie auf Zuruf in derben Improvisationslärm ausbrach.
Im Januar zeigte er in einer Kunstinstallation in London ein Agenturbild,
auf dem ein weißer Angestellter seine schwarze Kollegin schmierig angrinst.
Dazu kam ein hoher Ton aus einem Käfig, auf den der Union Jack gezeichnet
war. Damit treibt Blunt die Ausschlussmechanismen des Kunstbetriebs auf die
Spitze. Der Ton hat die Frequenz 17,4 khz: Ist man älter als 25 Jahre, kann
man ihn nicht mehr hören. In Großbritannien wird er deshalb eingesetzt, um
kaufkraftarme Jugendliche aus Pubs und Mc-Donald’s-Filialen zu vertreiben.
Ältere, im Berufsleben stehende Gäste nehmen ihn dagegen nicht mehr wahr.
## Popkultureller Vaterlandsverrat
Auch auf „BBF hosted by DJ Escrow“ spielt Dean Blunt seine Rolle als
Einmann-Medienmiliz in einem liebgewonnenen Teil des Alltags, der
mittlerweile verklärten Piratenradiokultur des Londoner Ostens, wo er einst
aufgewachsen ist. Blunt zappt sich wie ein DJ durch Musikgenres, immer
begleitet von DJ Escrow, der kein besonders begnadeter Ansager ist.
In hochgepitchtem und unrhythmisch aus ihm heraussprudelnden Englisch mit
karibischem Akzent philosophiert er darüber, wie ihm die „Babymother“
seiner Kinder das Leben schwermacht. Dass er mal ein „Sick MC“ wie der
Grime-Rapper Wiley werden wird. Blunts Album ist die Antithese zur
Intensität der Live-Battles zwischen DJ und MC, die im Programm der
Piratensender laufen. Seine Beats schlurfen, sein Rapstil lebt von den
Pausen zwischen den Zeilen anstatt von stakkatohaft abgefeuerten
Reimsalven. Vor allem übt sich Dean Blunt im popkulturellen
Vaterlandsverrat.
„BBF hosted by DJ Escrow“ ist ein Piratenradiosender, auf dem kein einziges
genuin britisches Musikgenre läuft. Stattdessen zitiert sich Blunt munter
durch US-HipHop und die Soundsystem-Kultur der Karibik. Auf [1][„Shook“]
legt er ein Zitat von Hustensaft-Rapper French Montana über einen
klassischen Boom-Bap-Beat. Auf „N.A.Z.“ mischt er Zeilen von Neil Young und
dem Rapper Nas aus dem Goldenen Zeitalter von US-HipHop über einem
Rhythmus, der Ende Achtziger in einem Tonstudio in Kingston entstanden sein
könnte.
Aus allen Zutaten entsteht dann die Kunstfigur Dean Blunt: ein
überinformierter Bescheidwisser, der lieber ein Slacker wäre, und deshalb
das Selbstmarketing, das auch im elektronischen Underground mittlerweile
Alltag ist, zuspitzt. „Can’t they give a n***a privacy?“, fragt er seine
Haters auf [2][„Meditation“], bevor er sich zum Trinker stilisiert, der
sich mit Schnaps übergießt.
Blunts Zitatwelt ist introvertiert und verstiegen, weil er sich vor Tratsch
fürchtet. „Prolific Daemons“ etwa spielt auf einen der letzten Tweets an,
den der Modedesigner Alexander McQueen kurz vor seinem Selbstmord verfasst
hat. Viele verstanden dies als Ankündigung von McQueens Freitod, dabei
waren die „Dämonen“ eine Referenz auf dessen kommende Kollektion. Dean
Blunt übersetzt dies in digitalen, antagonistischen, kompromisslosen Lärm.
Darüber gibt DJ Escrow wieder Platitüden über Partys zum Besten, während
der White Noise allmählich weggeblendet wird.
DJ Escrow hat das letzte Wort. Am Ende gewinnt meistens doch das Geplapper.
Man muss es einfach hassen.
7 Apr 2016
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=w8ZlZ3NPhXI
[2] https://www.youtube.com/watch?v=TXoeFJZQIGc
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Dean Blunt
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