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# taz.de -- Dean Blunt im Konzert: Unbedingter Wille zum Experiment
> Auf der Bühne der Berghain Kantine in Berlin zeigt sich der britische
> Künstler Dean Blunt von seiner düsteren Seite. Einfache Gesten sind bei
> ihm bedeutsam.
Bild: Die Hände sind wahrscheinlich in den Hosentaschen: Dean Blunt
Konzerte in der Kantine des Berliner Berghain finden im übermächtigen
Schatten eines Wahrzeichens statt: Die Kantine befindet sich nicht im
weltberühmten Club selbst, sondern in einem alten Geräteschuppen gleich
neben dem Pförtnerhäuschen an der Rückseite des Gebäudes. Er hat den Charme
einer Umkleidekabine.
Für den Londoner Prankster Dean Blunt das ideale Setting. Vor seinem
Auftritt am Freitagabend huscht er unerkannt durch die dicht gedrängten
Zuschauerreihen. Ganz in Schwarz gekleidet: Herrenjacke, Basecap mit
Nike-Swoosh und Halbschuhe – eine Uniform, die er auch in allen Videoclips
trägt. Oder gesellt er sich gleich zu einer Kartenrunde ins
Pförtnerhäuschen?
Als ersten Trumpf zieht Dean Blunt seinen britischen Musikerkollegen John
T. Gast aus dem Ärmel. Gast veröffentlichte kürzlich zusammen mit Dean
Blunts ehemaliger Partnerin Inga Copeland Musik und hat mehrmals Blunts
Musik produziert. Das Rätselhafte seines Künstlerkollegen: Auch Gast
versteht sich darauf, mit seiner Industrial-angehauchten elektronischen
Sampledelic-Musik immer wieder zu irritieren. Er trägt eine Grubenlampe an
einem Stirnband und entzündet Räucherstäbchen. Ansonsten liegen Bühne und
Zuschauerraum im Dunkeln. Man sieht nichts, man hört nur.
Die Bar stellt den Getränkeverkauf ein. Dafür glimmen Zigaretten, als würde
ein neues Zeitalter des Existenzialismus eingeläutet. Unterdessen lässt
John T. Gast ein Breakbeatgewitter aus seinem Sequenzer hageln und spielt
dazu Sopransaxofon. Eine aufsässige Mischung aus vorgefundenem Material und
einem unbedingten Willen zum Experiment.
Ansatzlos zappt Gast auf süßliche Streicherarrangements. Zitieren sie
Soundtracks, die der französische Komponist Francis Lai für Softsexfilme
wie „Bilitis“ eingespielt hat? Das Publikum reagiert: Ein Pärchen tauscht
Zungenküsse aus, direkt vor der Bühne dämmert ein junger Mann weg, während
die Finger eines Mädchens über die Tastatur ihres Smartphones rasen: liebes
Tagebuch.
## Ohnmacht und Begehren
Als Dean Blunt gegen halb zwölf die Bühne betritt, ist diese nicht wie ein
Ort inszeniert, an dem ein Konzert beginnt. Die Verstärker und Computerpads
sind unter Decken verborgen. Stattdessen stellt sich ein bulliger schwarzer
Aufpasser in der Mitte der Bühne in Positur. Eine Gitarristin und ein
Trompeter sind auch da, aber in keinem Moment wirkt es, als entstünde nun
gemeinsam Musik.
Seit der Trennung von seiner Partnerin Inga Copeland ist Dean Blunt solo.
Und das Ende dieser künstlerischen und privaten Beziehung thematisiert er
in seinen Songs. Blunt appelliert damit nicht an Weltschmerz-Gefühle, die
alle kennen. „Call me, when your heart is empty“, presst er in dem Song
„The Pedigree“ hervor, den er zum Einstieg spielt.
Mit einem Downtempo-Beat und einem Synthesizerriff, das durch einen
Streichereffekt verfremdet ist, torkelt die Musik vor sich hin. Einfache
Gesten werden bedeutsam: Dean Blunt verschränkt die Hände hinter seinem
Rücken. Dean Blunt steckt die Hände in die Hosentaschen. Dean Blunt hält
sich am Mikrofonständer fest. Das erinnert vage an Ian Curtis: der
ausdruckslose Gesang, die fehlende Ansprache ans Publikum. Andererseits
verzichtet Blunt auf machistische Gesten. Aus seinem Gesangsvortrag
sprechen Sprachlosigkeit, Ohnmacht, aber auch Begehren.
Die Rede verändert, was sie ausspricht, hat der französische Philosoph
Jean-François Lyotard einmal postuliert. Dean Blunts Textzeilen und seine
leergeräumten Songs finden Resonanz im Publikum, das anfangs noch etwas
unentschlossen wirkt, aber dem sturen Geradeaus von Dean Blunt immer mehr
zu folgen bereit ist. „Um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen, muss ich
erst mal durchs Inferno“, hat Dean Blunt vor kurzem in einem Interview
erzählt. Dem Inferno, das wurde in Berlin klar, ist er wohl entronnen. Was
es mit ihm angestellt hat, wird sich erst noch zeigen.
25 Nov 2013
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Dean Blunt
Prankster
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London
Jugoslawien
House
Estland
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