| # taz.de -- Funkensprühende Elektronikalben: Lass uns Freunde bleiben | |
| > Stellar OM Source mit „Joy One Mile“ und Dean Blunt mit „The Redeemer“ | |
| > erzeugen auf ihren neuen Alben mit dem Thema Zweisamkeit enorme Reibung. | |
| Bild: Reibung erzeugt ihre Kleidung auch: Cristelle Gualdi. | |
| „War es Liebe? Wenn ja, welche.“ Mit diesem Zitat aus Klaus Theweleits Buch | |
| „Objektwahl“ lässt sich perfekt zu zwei der funkensprühendsten | |
| Elektronik-Alben der letzten Zeit einleiten. Beide handeln von | |
| Paarbeziehungen. Und wie diese Konstellationen Reibung entstehen lassen: | |
| Stellar OM Source und Dean Blunt gehen dabei radikal neue Wege. | |
| Der Legende nach ist elektronische Musik im letzten Jahrhundert | |
| hauptsächlich im Bedroomstudio entstanden, in dem die Künstler gerne | |
| weltabgewandt vor sich hin gewurschtelt haben. Möglichst funktional sollte | |
| es klingen. Das Hermetische der Produktionsweise wurde auch im Diskurs über | |
| elektronisch generierte Musik immer wieder betont. | |
| ## Das Maximum preisgeben | |
| Stellar OM Source, wie sich die französische Produzentin Christelle Gualdi | |
| mit Künstlernamen nennt, gibt auf ihrem fantastischen neuen House-Album | |
| „Joy One Mile“ zugunsten einer Bearbeitung durch den hierzulande weitgehend | |
| ignorierten Leipziger Produzenten Kassem Mosse (aka Gunnar Wendel) das | |
| Maximum preis: Ihre künstlerische Selbstbestimmung. Würde das ein Mann je | |
| so offenlegen? | |
| Gualdi sieht ihre Entscheidung als Quantensprung. „Ich war an einem Punkt, | |
| an dem mich meine eigenen Klangvorstellungen erstickt haben. Also habe ich | |
| meine Musik der Bearbeitung eines mir Fremden überlassen.“ Natürlich | |
| empfand sie für Mosses minimalistischen Technosoul Respekt, gleichwohl sei | |
| es schockierend und schmerzhaft gewesen, als sie ihren Sound zum ersten Mal | |
| in seiner Interpretation gehört hat. | |
| ## Entscheidendes Loslassen | |
| „Erst allmählich habe ich eine neue Klarheit darin entdeckt. Das Loslassen | |
| war entscheidend.“ Gualdi beschreibt ihre Kompositionsweise als barock, | |
| Kassem Mosses Stil sei dagegen subtiler, er habe reichlich Material | |
| ausgesiebt. „Es war für mich eine Lektion in buddhistischem Verzicht.“ | |
| Gualdi, die elektroakustische Musik am Konservatorium in Paris studiert hat | |
| und später als Architektin arbeitete, war als Künstlerin schon anerkannt, | |
| bevor sie mit Mosse arbeitete. Ihre ersten Versuche dockten an die | |
| Ambientmusik an. Den Dancefloor hat sie erst über Umwege erkundet. | |
| Inzwischen arbeitet sie mit einem Roland 303. Gualdi benutzt diesen | |
| klassischen Drumcomputer wie einen Bass, kreiert lange Build-ups, wie bei | |
| „Polarity“, dem Auftakt-Track ihres Albums. | |
| ## Hallunizatorische Klarheit | |
| Die Figuren nehmen allmählich Gestalt eines Acid-Tracks an, andererseits | |
| ist Gualdis Klangpalette größer, sie schichtet, kombiniert Frequenzen, | |
| erschafft damit Soundlandschaften von halluzinatorischer Klarheit. „Joy One | |
| Mile“ steckt voller verblüffender Momente, in denen Beats die Hooks | |
| unterlaufen. Eine subtile Abweichung von der Norm der Geradlinigkeit. | |
| Männer würden Frauen objekthaft lieben und Frauen sich selbst narzisstisch, | |
| glaubt Theweleit, daher klappe es nicht so gut zwischen ihnen. Der | |
| britische Musiker Dean Blunt kann nicht nur ein Lied davon singen. Er hat | |
| gleich ein ganzes, ziemlich furioses Album zum Thema veröffentlicht: „The | |
| Redeemer“ beschreibt in 19 Songs das Scheitern einer Beziehung. | |
| Und das gleich in doppelter Ausführung, denn Blunts künstlerische | |
| Zusammenarbeit mit seiner Partnerin Inga Copeland ist tatsächlich auf Eis | |
| gelegt. Ein Gefühlswirrwarr, in dem sich niemand auskennen soll. Am | |
| allerwenigsten Dean Blunt selbst, der gleichmal die strikte Trennung | |
| zwischen Bühnenpersona und Privatmensch durcheinanderwürfelt. | |
| ## Reihenweise falsche Spuren | |
| Im Zeitalter der Transparenz legt Dean Blunt reihenweise falsche Spuren: | |
| fiese musikalische Versatzstücke wie Harfensamples, schiefe Trompetentöne, | |
| verstimmte Gitarren, Fragmente des Pink-Floyd-Songs „Echoes“. Eine | |
| scheinbar formlose Collage, die nach allen Seiten ausfranst und ein | |
| launisches Klangbild erzeugt. Blunts sonore soulige Stimme signalisiert | |
| dagegen Verständnis. Mit ihr inszeniert er sich einsichtig. Die ersten | |
| Textzeilen: „So call me when your heart is empty / So happy we can still be | |
| friends“. | |
| Später zitiert er aus einem Break-up-Song von Bobby Womack. Ständig | |
| unterbricht Alltagsklangmüll den Flow: verzweifelte | |
| Anrufbeantworter-Nachrichten, zerspringendes Glas, schrillende | |
| Auto-Alarmanlagen. Blunts Bekenntnisse wirken so befindlichkeitsfixiert, | |
| dass es schon wieder befreiend wirkt: „Bring out the best in me“. Herzblut | |
| gerinnt hier nie zu Schmalz. „The Redeemer“ unterläuft alle Erwartungen von | |
| Seelenstriptease. „No further messages“ sind die letzten Worte auf dem | |
| Album. | |
| Stellar OM Source: „Joy One Mile“ (RVNG Intl./Cargo); Dean Blunt: „The | |
| Redeemer“ (Hippos in Tanks/Cargo) | |
| Dean Blunt live: Berlin, Berghain, 22. November | |
| 21 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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