# taz.de -- Elektronische Musik: Neues vom Planeten der Drums | |
> Billige Laptops, geckrackte Software und das Netz: LV und Cooly G haben | |
> bei ihren Debütalben die gleiche Grundlage. Trotzdem finden sie ihren | |
> eigenen Sound. | |
Bild: Die Musikerin Cooly G. | |
BERLIN taz | Die verschiedenen Genres von elektronisch generierter | |
Dancefloormusik, die sich in den Nullerjahren am Rande der Metropolen | |
bildeten, haben einiges gemeinsam – egal, ob es sich um Kwaito aus | |
Südafrika, brasilianischen Baile Funk oder das Housegenre UK Funky aus | |
London handelt. Billige Laptops, gecrackte Software und Filehoster sorgen | |
dafür, dass all diese Spielarten ihren Weg in die nerdigen | |
Produzentenkreise westlicher Metropolen findet. | |
Der „Planet of Slums“ wird zum „Planet of Drums“, in dem digital | |
produzierte Rhythmen zirkulieren und immer wieder auf lokale Stile treffen. | |
„Global Ghettotech“ hat der amerikanische Musikethnologe Wayne Marshall | |
diesen Prozess genannt und dabei bestimmt nicht an das Londoner | |
Produzenten-Trio LV gedacht. Will Horrocks, Gervase Gordon und Si Williams | |
haben mit dem Getto herzlich wenig zu tun. Sie kommen aus dem pittoresken | |
Stadtteil Dulwich im Süden der Stadt und haben sich an der Universität | |
kennengelernt. | |
Dafür haben sie seit Längerem ein Ohr für das, was sich auf den | |
Filesharing-Seiten im Netz so tut und eine Familienanbindung nach | |
Südafrika. Und genau dort lernten LV die MCs, wie etwa Spoek Mathambo | |
kennen, die ihnen auf ihrem neuen Album „Sebenza“ die Aufwartung machen – | |
auf den Soundsystems von südafrikanischen Taxifahrern, bei denen Kwaito | |
gespielt wird. | |
## Soundtrack der Post-Apartheid-Ära | |
Diese reduzierte House-Spielart ist so etwas wie der Soundtrack der | |
Post-Apartheid-Ära, geliebt in den Townships und vom ANC. Das „Andere“ sind | |
die MCs aus der britischen Exkolonie trotzdem nicht. „Mac, Macbook Pro, | |
Processor“, rappt Okmalumkoolkat auf dem Titelstück des Albums, einer Hymne | |
auf den Feierabend. | |
Klar, man produziert auch in Südafrika mit den gleichen Tools wie in | |
Südlondon. Muss man ja auch. Denn was auf den ersten Höreindruck wie ein | |
Transfer der spärlich und rau produzierten Snares von Kwaito in die | |
britische Bassmusik wirkt, ist das Ergebnis von langen Mailwechseln, | |
prozessierten Gesangsspuren und langen Nächten vor dem Rechner. | |
Wer da noch nach Ursprüngen fragt, wird keine Antwort bekommen. Und so ist | |
„Sebenza“ ein auf hochkomplizierte Art raues Housealbum geworden. Zu | |
komplex für eine authentische Bloc Party in den Townships und bei allen | |
Details doch immer auf der Suche nach dem perfekten Popmoment. | |
Detailverliebt präsentiert sich auch die Londonerin Cooly G. Vielleicht hat | |
sie deshalb so lange für ihr Debütalbum „Playin’ Me“ gebraucht. Ihre | |
Debütmaxi „Narst/Love Dub“ war 2009 ein kleiner Hit. Die A-Seite montierte | |
ein paar Synthesizer-Stabs über einen dieser aufmüpfigen UK-Funky-Patterns | |
zu einer unvergesslichen Hookline. Die B-Seite war ein Dub-House-Track, der | |
endlich das Naheliegende tat und den leicht paranoiden Dubstep mit der | |
Relaxtheit von TripHop versöhnte. | |
## Hyperlokalistin und Nachwuchspflegerin | |
Und damit hatte Merrisa Campbell, wie Cooly G bürgerlich heißt, zugleich | |
die Richtung vorgegeben – sie ist die Hyperlokalistin der international | |
zirkulierenden Bassmusik. Ihre selbst gebrannten CDs vertrieb sie in | |
Londons Plattenläden, mit einem Clubabend für Nachwuchsmusiker im | |
Südlondoner Stadtteil Brixton leistet sie lebenswichtige Basisarbeit. Und | |
verfeinerte in der Arbeit am kollektiven „Scenius“ ihren Stil. | |
Cooly G brachte alle disparaten Stränge einer in London kristallisierten, | |
afro-britisch-karibischen Musiktradition zusammen, ohne dabei zu sehr auf | |
den Dancefloor zu schielen. Und so steht die zweifache Mutter auch drei | |
Jahre nach ihrer Debütmaxi noch auf einsamer Flur. Nur ihr Talent als | |
Produzentin scheint der Sensibilität für den großen Popentwurf im Weg zu | |
stehen. Cooly Gs Drumpatterns sind subtil und komplex zugleich, die | |
spärlichen Gesangseinlagen können es in puncto Schwülheit locker mit | |
Massive Attack aufnehmen, ohne jemals in deren Pathos zu verfallen. | |
Nur ihre Songs selbst mäandern ein wenig ziellos. Mal zerstauben die | |
Hooklines in Hallfahnen, ein anderes Mal verliert sich ein Track im | |
Niemandsland zwischen Drumcomputer, Synthesizer-Pads und Streichersamples. | |
Und selbst wenn es antiquiert klingt – dies ist eine Frage des richtigen | |
Formats. Auf mehrere Doppel-12inch Maxisingles verteilt wäre „Playin’ Me“ | |
unverzichtbar, als Album hat es schlicht zu viele Längen. Aber wer hört | |
denn noch so linear Musik, dass dies ernsthaft stören würde? | |
1 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
## TAGS | |
House | |
Musikkultur | |
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