| # taz.de -- Neues Album von Animal Collective: Ist das schon Rock? | |
| > Animal Collective sind keine Verzagten, die leise in ihr Bier weinen. Das | |
| > hört man auch auf ihrem neuen Album „Centipede Hz“. | |
| Bild: Auch wenn auf dem Bild zwei der Musiker nur halb zu sehen sind: Alle vier… | |
| Anschwellendes Dröhnen von Schallwellen. Aus weiter Ferne dringt das Echo | |
| eines Jingles: „Hallo Genussradler, heute schon …“ Sich überlagernde | |
| Radiosender, ein Gewirr aus Stimmen, Melodien, Signaltönen, so brodelt das | |
| weiße Rauschen aus dem Äther. Willkommen auf der Sonic Ranch, unterwegs im | |
| All. Wo Gesteinsbrocken den Weg weisen, feuchte Höhlenluft weht und | |
| Geologen in Raumanzügen und Helmlampen nach dem Rechten sehen. Wellenförmig | |
| windet sich ein Tausendfüßler-Alien mit unzähligen behaarten Beinchen und | |
| zwei nassen Fühlern. Oder war’s ein Ferrero Küsschen? | |
| Im nächsten Moment sind wir in einer riesigen Penny-Arkade gestrandet, | |
| Teppichboden dämpft die Geräusche, softe Beleuchtung verschleiert die | |
| Tageszeit. Die tibetanische Mönchsmuzak im Hintergrund raubt den letzten | |
| Nerv. Menschen, die statt Köpfen Suhrkamp-Wissenschaftsbände auf dem Hals | |
| tragen, sitzen auf Barhockern vor Videospieltruhen, nuckeln Energy-Drinks | |
| und versuchen vergeblich den Highscore von „Centipede Hz“ zu knacken, einem | |
| analogen Game in matschigen Technicolor-Farben und Quietsche-Soundtrack. | |
| So verworren klang es letzte Nacht. Heute morgen fühlt sich „Centipede Hz“, | |
| das neue Album der US-Band Animal Collective, schon vertrauter an. Ihr | |
| Raumschiff ist gerade gelandet und unten auf der Erde klingt die Musik | |
| zielgerichteter und, wie soll ich’s sagen, aufgedrehter, was die | |
| Grundstimmung und die Volume-Regler der Verstärker angeht. | |
| Bisher galten Animal Collective ja als Antithese zu jeder Form von | |
| Indierock. Eine Art Bandsimulation im Computerzeitalter mit Gitarren, die | |
| durch Loop-Pedale gejagt werden, Sampler als Leadinstrument, Drumbeats zu | |
| einem Klopfzeichen verzerrt, und einem verteufelt engelsgleichen Gesang, | |
| der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. | |
| Und dann auch noch ihr Bandname, der possierliche Gleichheit verheißt: | |
| Animal Collective. Jetzt erscheint mit „Centipede Hz“ ein Jam-Album, das | |
| analog entstanden ist, in einer Laboratoriumssituation, bei der die Musiker | |
| live gespielt haben. Ist das schon Rock? | |
| ## Überlandfahrten auf dem Highway | |
| Anders als der lichtscheue Tausendfüßler (engl. Centipede) im Titel | |
| suggeriert, ist „Centipede Hz“ Musik für gleißendes Tageslicht. Sie klän… | |
| am besten im Auto bei Überlandfahrten auf dem Highway, erklärt Bandmitglied | |
| Joshua Dibb alias Deakin. Sicher meint er das Marsmobil als | |
| Fortbewegungsmittel. | |
| Dibb erteilt bereitwillig Auskunft über Motive und Klanggrundierungen von | |
| „Centipede Hz“. Vielleicht, weil er nach einem Sabbatical, das ihn das 2009 | |
| erschienene Vorgängeralbum „Merriweather Post Pavillon“ und die | |
| anschließende Tour verpassen ließ, inzwischen neue Schaffenskraft geschöpft | |
| hat. Für „Centipede Hz“ ist er zur Kernband um David Portner (Avey Tare), | |
| Noah Lennox (Panda Bear) und Brian Weitz (Geologist) zurückgekehrt, singt, | |
| bedient die Gitarre und hat zahlreiche Songs arrangiert. Und zeichnet auch | |
| für die überwältigende und hypernervöse Ekstase der Musik | |
| mitverantwortlich. | |
| Das „Hz“ im Albumtitel steht für Hertz. Und die Schwingungen sind so hoch, | |
| dass eigentlich Megahertz gemeint sein müsste. Animal Collective sind keine | |
| Verzagten, die leise in ihr Bier weinen: Die vier US-Musiker, inzwischen | |
| weit verstreut voneinander lebend, wissen exakt, wann sie wie und mit wem | |
| auftauchen, um das am meisten verschachtelte Popalbum des Jahres | |
| einzuspielen. | |
| Aufgenommen wurden die elf Songs in einem texanischen Studio namens Sonic | |
| Ranch, aber konzipiert ist „Centipede Hz“ in Baltimore, der alten Heimat | |
| der Band. Ein Animal-Collective-Song funktioniert meist mit zwei | |
| gegensätzlichen Elementen, die gleichzeitig zum Einsatz kommen: blauäugige | |
| Melodien und wüste Breaks, Gesangsharmonien und fiese Loops, Ungetrübtheit | |
| im musikalischen Vortrag und nervöse, der kurzen Aufmerksamkeitsspanne | |
| geschuldete Parts, die im Sekundentakt ergänzt und abgeändert werden. Die | |
| Musik vereint die Sehnsucht nach der Unschuld von Pop und das Wissen, dass | |
| es unmöglich ist, diese auch nur ansatzweise zu rekonstruieren. | |
| Alle vier Musiker sind gleichbedeutend am Entstehungsprozess der Songs | |
| beteiligt. „Manifest in unserer Musik ist Reibung, der Kampf, der beim | |
| Ausarrangieren ausgefochten wird, aber auch der Wille, diese Spannungen bis | |
| zum Ende durchzufechten“, sagt Dibb. Warten wir ab, ob „Centipede Hz“ wie | |
| das Vorgängeralbum hoch in die Charts einsteigt oder als kreative | |
| Kehrtwendung in anderen Galaxien weiterlebt. | |
| Am furiosesten gelungen ist die künstlerische Auseinandersetzung mit dem | |
| Song „Wide Eyed“, einem Tausendfüßler-Space-Boogie mit | |
| Snoozetasten-Weckerteil, der am Ende in sich zusammenfällt wie ein | |
| wackliges Gedankengebäude. Die Beschreibung eines Wach-Schlaf-Zyklus, der | |
| alle Wach-Schlaf-Zyklen ein für alle mal beschließt. „Ein Liebeslied“, | |
| gesteht Josh Dibb, steigt wieder in seinen Raumanzug und schwebt davon. | |
| Animal Collective „Centipede Hz“ (Domino/Good to Go) | |
| 25 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
| ## TAGS | |
| Chorgesang | |
| New York | |
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