# taz.de -- „The Narcissist II“ von Dean Blunt: Musik wie eine Patchworkdec… | |
> Der Brite Dean Blunt vertont auf seinem ersten eigenen Album die Trennung | |
> eines Paares. Eine ganz böse Geschichte. Aber eine gut erzählte. | |
Bild: Alles scheint möglich, aber nichts wahr – der vermeintliche Alltag von… | |
Es wäre untertrieben zu sagen: 2012, ja, das war ein anständiges Jahr für | |
Dean Blunt. Hieß es 2011 im hiesigen Blätterwald noch prophetisch: „Aber | |
die Karriere lässt sich nicht ewig verneinen“, scheint nun also der Tag | |
gekommen, an dem Blunt, der mysteriöse britische Musiker, den | |
Below-the-radar-Status endgültig abgibt. | |
Das ist natürlich Bauchnabellogik. Insbesondere wenn die Bestandsaufnahme | |
aus der Richtung „Ein paar coole Leute kennen Dean Blunt“ plötzlich | |
umschlägt in „Viele coole Leute kennen Dean Blunt“. Sei’s drum – mit z… | |
Veröffentlichungen in diesem Jahr steht er ganz gut da. Erst gemeinsam mit | |
Inga Copeland mit „Black Is Beautiful“, erschienen im April auf Hyperdub, | |
und nun im Alleingang mit „The Narcissist II“, einem bereits vor „Black Is | |
Beautiful“ editierten Onlinemixtape, dass nun gefeilt als Vinylalbum zu | |
erstehen ist. | |
Bewegt man sich im Blunt’schen Kosmos, ist auch der Name Hype Williams | |
nicht weit. So heißt eigentlich ein gefeierter US-Videoclipregisseur, | |
dahinter verbergen sich – reiner Zufall natürlich – ebenfalls jene zwei. | |
Aber ihr letztes Lebenszeichen unter diesem Pseudonym ist mehr als zwölf | |
Monate her. Also fast schon Pophistorie. | |
Und Pophistorie, das ist ein gar nicht so ungeeignetes Wort, um sich dem zu | |
nähern, was die beiden treiben. Es ist ihr Fundus, aus dem sich alles | |
Material speist. Die Musik klingt demnach wie eine vertonte Patchworkdecke, | |
ist ein Genre-Raten, ein wüster Ritt durch kollektive und oft latente | |
Erinnerungen aus Film, Plattenkisten und wer weiß was sonst noch. | |
## Ausgestopfte Waschbären und Waffenhandel | |
Der Schaffensprozess bleibt dabei stets geheimnisvoll, gern gespickt mit | |
obskuren Lebenszeichen aus dem vermeintlichen Alltag von Blunt und | |
Copeland. So geisterten vor der Veröffentlichung von „Black Is Beautiful“ | |
Gerüchte hinsichlich Islamkonvertierungen, ausgestopften Waschbären und | |
Waffenhandel durchs Netz. Alles scheint möglich, aber nichts wahr. Der | |
Guardian titelte resigniert: „Do They Ever Speak the Truth?“ | |
Bis dato scheint gesichert: Copeland emigrierte aus Russland nach London, | |
traf dort auf Blunt. Dieser datete ein reiches Mädchen aus Islington, das | |
seine Aktivitäten zwischen Kiffen und Tonbandspielereien als „Fine Art“ | |
titulierte. Feinste Pranksterromantik also, mit einem Himmel voller | |
Fragezeichen. | |
Dementsprechend spaßig ist es, beider musikalischen Output nach Referenzen | |
aufzudröseln. Glücklicherweise funktioniert es auch ohne. Dann bleibt | |
immerhin das warme Empfinden, doch irgendwie vertraut zu sein – mit diesen | |
Songs, die eigentlich gar keine sind, sondern eher Ahnungen eines Songs, | |
Versatzstücke, die sich erst im Kopf der Hörer zu einem recht subjektiven | |
Konstrukt zusammenschrauben. | |
## Zwischen Wachen und Träumen | |
Den Begriff zum Phänomen erfand der britische Journalist David Keenan vor | |
einigen Jahren: „Hypnagogic Pop“. Musik, die dem Zustand zwischen Wachen | |
und Träumen nachempfunden wirkt, in dem plötzlich Bilder und Melodien | |
auftauchen, längst vergessen geglaubte, sanft an die Oberfläche gespült. | |
Auf „The Narcissist II“ ist es nicht unbedingt der süßeste Nachhall. Keine | |
bonbonfarbenen Töne mitsamt Knirschen und Retro-Werbespot im Hintergrund, | |
die an bunte Frühstücksflocken morgens in der Küche erinnern. Damals, mit | |
Mama und Papa. Hypnagogic nach Dean Blunt sind vielmehr jene absonderlichen | |
Dinge, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben, um fortan in geballter | |
Form zu spuken. Blunts Solodebütalbum ist düster. Sehr düster. | |
„Direct Line“ beginnt ohne Abschweifungen im zwischenmenschlichen Drama. | |
Und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Vorboten zur höchsten | |
Eskalationsstufe bereits vorausgeschickt sind: Gewitter, ein | |
aufgepeitschter Dialog, dieser gespannte hohe Ton, kurz bevor die | |
Messerklinge zusticht. Das anschließende Geflecht melancholischer | |
Synthesizer verheddert sich in kürzester Zeit zu einer unangenehmen | |
Psychospur, ehe sie sich im Wolkenbruch auflöst. | |
Und „Caught Feelings“ klingt dann auch wie der unsaubere Mitschnitt einer | |
Beerdigungsperfomance – Blunt mit schwarzer Sonnenbrille an einem Keyboard. | |
„Galice“ nimmt die Abfahrt Richtung Motown, während „XXX“ den Soundtra… | |
eines irren Totentanzes mimt. | |
## Trennung eines Paares | |
Schnell wird klar: „The Narcissist II“ ist Konzept, eine vertonte | |
Schauerlichkeit, in dessen Zentrum die nicht gerade friedliche Trennung | |
eines Paares steht. Eher ist diese sadistisch, irritierend, gewalttätig. | |
Und Blunt gibt sich dabei genüsslich seiner Rolle hin. Songs wie „And I’ll | |
Show You Heaven If You Let Me“ haben wenig gemein mit lieblichem | |
Verführungspop. | |
„The Narcissist II“ ist das Werk eines Besessenen, der seine verstörenden | |
Gedanken einem Diktiergerät preisgibt. Ein immanenter Monolog, ein nie | |
enden wollender Fluss aus Stimmen, Rauschen, Knistern – und anmutigen | |
Melodien. Kurz denkt man an den schönen jungen Helmut Berger in Sergio | |
Gobbis Ehe-Giallo „Un beau monstre“ von 1971. Und den | |
schmalzig-hinreißenden Titelsong „Stay“ der Wallace Collection. | |
## Ambivalent und pervers | |
Eine äußerst perfide Angelegenheit, beobachtet man diesen blonden Stenz | |
doch pausenlos beim Peinigen von Frauen – während im Hintergund „Stay! | |
Never go away! Because I love you so“ mit vollem Streicheraufgebot dudelt. | |
Ambivalent, durchaus pervers und demnach auch faszinierend wie „The | |
Narcissist II“. | |
Sein Höhepunkt ist im Titeltrack erreicht. Denn nun ist sie endlich da, | |
deutlich zu hören, dennoch entrückt: Inga Copeland, im sanften Duett. | |
Blunt, der sehnsüchtig „I phone you in every night“ oder „Come closer, | |
girl“ schluchzt, während sie nur „Cause I know you’re trying on me“ | |
erwidert, unfassbar weit weg. Ein echtes Dilemma. Und hausgemacht. So | |
verbleibt man nach „The Narcissist“ zwar ein wenig betroffen vom Leid | |
dieses Mannes, ist in erster Linie aber völlig fortgetragen: von diesem | |
Stück Musik, der eindringlichen Akkordfolge, dem arrangierten Dilemma, der | |
verhuschten Idee eines Songs. | |
In „Coroner“ ist dieser Moment hingegen schnell wieder vergessen. Blunt | |
befindet sich erneut im Strudel, garstig rappend, trotzig, nun wieder auf | |
sich allein gestellt. Eine ganz böse Geschichte. Aber eine gut erzählte. | |
## Dean Blunt: „The Narcissist II“ (Hippos in Tanks/A-Musik) | |
8 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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