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# taz.de -- Elektronikproduzentin Lolina in München: Schwebezustand im Trockei…
> Die in London lebende russische Elektronikproduzentin Lolina hat im
> Münchner Haus der Kunst Tracks aus ihrem neuen Album aufgeführt.
Bild: Aus erster Hand: Lolina bei ihrer Performance im Münchner Haus der Kunst
Ordnung muss sein: Nur gesammelt darf das Publikum auf Wunsch der
Künstlerin den kleinen Raum im Obergeschoss des Münchner Hauses der Kunst
betreten, aus dem dichter Nebel schlägt. Ganz vorn und ganz mittig: ein
DJ-Pult. Die Show läuft bereits, als die Zuschauer:Innen mit fast
halbstündiger Verspätung zur einstündigen Performance vorgelassen werden.
Lolina nennt sich die in London lebende russische Performerin Alina
Astrova, die zuvor unter dem Pseudonym Inga Copeland und bis 2013 als Teil
des Prankster-Duos Hype Williams mit dem britischen Künstler Dean Blunt
(alias Babyfather) aufgetreten ist.
Längst hat Astrova einen Platz in der elektronischen Undergroundszene ihrer
Wahlheimat. Unter dem Pseudonym [1][Lolina] hat die Musikerin vier Alben
veröffentlicht, darunter „The Smoke“ und das Video-Album „Live in Paris�…
## Komplexe Gegenwelt
In München zeigt sie Cut-ups ihrer bevorstehenden Veröffentlichung „Face
the Music“ – und erschafft dabei eine komplexe Gegenwelt aus Licht und
Klang, die Mitte der neunziger Jahre in New York genauso funktioniert hätte
wie in den nuller Jahren in Berlin.
Versunken steht sie im Adidas-Sweater neben dem HipHop-Produzenten Brandon
Juhans am Doppel-Pult. „L4B“ ist die Performance überschrieben, abgekürzt
wohl für „Lolina for Brandon“. Es ist der zweite Abend des Münchner
Gastspiels, bei dem sie neue Tracks mit Textversatzstücken resampelt und
dazu mit Lichteindrücken improvisiert.
Geboren ist Alina Astrova im russischen Samara. Ihre Familie emigriert früh
nach Tallinn, wo sie ihre Kindheit verbringt. Mit 17 Jahren zieht sie nach
Großbritannien, um am Central Saint Martins College of Art and Design in
London einen Kurs in kritischer Theorie zu belegen – und musikalische
Experimente zu beginnen.
Ihr Mononym „Lolina“ klingt wie die Mischung aus Vladimir Nabokovs durch
einen Roman berühmt gewordene Kunstfigur „Lolita“ und ihrem Vornamen – u…
ihre Performance regnet auf das Publikum nieder wie Rost und Sternenstaub.
## Laser in grellem Pink
Laser in warmem Gelb und grellem Pink durchschneiden den Trockennebel im
Raum. Die dickflüssige Nebelsuppe ist dabei eine Konstante ihres
künstlerischen Ausdrucks: Schon vor knapp zehn Jahren beschreibt eine
Journalistin die Sichtverhältnisse bei ihren Konzerten so, dass man sich
frage, ob die Künstlerin überhaupt persönlich anwesend sei.
Der scheppernde Beat jagt [2][Vibrationswellen] durch Boden und Wände. Das
Publikum, gefangengenommen von den tranceartigen Klängen, geht buchstäblich
in die Knie. Hygieneregeln ist München leid: Viele legen Rücken und
Hinterköpfe auf dem dicken Teppich ab, richten den Blick an die
teilverglaste, stuckverzierte Decke und lassen die Performance durch ihre
lang ausgestreckten Gliedmaßen wummern. Synthesizerhooks zerreißen die
Langsamkeit. Satzfetzen und Textcollagen strukturieren den Rhythmus neu.
Melodien deuten sich an – und verklingen wieder.
Der musikalische Kontext ist dabei nicht immer klar. Auch politischer
Aktivismus ist offenbar nicht das Ding der russischstämmigen Künstlerin: An
einem Fundraiser für die Opfer des Ukrainekriegs hätte sie teilgenommen,
lässt sie ausrichten. Sie sei gegen Krieg. Mehr nicht.
Ihre eklektischen Kakophonien versetzen aber in einen benebelten
Schwebezustand zwischen dem Sommerabend draußen auf der einen – und den
[3][Kriegsnachrichten] auf der anderen Seite des gegenwärtigen
Emotionsspektrums.
Und genau an diesem Punkt, wenn das Bier alle ist, die Welt da draußen
keine Rolle mehr spielt, aber die Lüftung drinnen versagt und Töne, Licht
und Emotionen ineinanderfließen – da löst sich auch die anfängliche
Formstarre der Veranstaltung auf. Und das ist gut so.
13 Jun 2022
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## AUTOREN
Johanna Schmeller
## TAGS
Haus der Kunst München
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Musik
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