# taz.de -- D'Angelos neues Soul-Album: Wir alle sind Erlöser | |
> Der R&B-Sänger D'Angelo hat überraschend ein neues Album veröffentlicht: | |
> „Black Messiah“ ist Rumpfschütteln mit politischem Anspruch. | |
Bild: Extrovertiert: D'Angelo. | |
Fast 15 Jahre wartete man sehnsüchtig darauf – und dann geschah am Montag | |
etwas für die meisten Fans völlig Überraschendes: „Black Messiah“, das v… | |
Ewigkeiten angekündigte, immer wieder verschobene dritte Studioalbum des | |
New Yorker Künstlers D’Angelo wurde veröffentlicht. Tatsächlich! | |
Unglaublich! Gibt’s doch gar nicht! | |
Wenn man sich wieder gefasst hat, kommen Erinnerungen an 2013 hoch. Fast | |
zeitgleich erschien vergangenes Jahr – rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft | |
– ein neues Album von Beyoncé. Kampagnengleich setzt nun auch D’Angelos | |
Produktmanager auf den Überrumpelungseffekt der Massen und spekuliert | |
darauf, dass diese Neuigkeit „viral geht“. | |
Dass sich also die Kunde von D’Angelos neuem Album schnell im Internet | |
verbreitet. Der Künstler selbst lässt sich allerdings damit zitieren, dass | |
er „Black Messiah“ vor allem wegen der rassistischen Vorfälle in Ferguson | |
und den damit verbundenen und bis heute anhaltenden „Hands Up – Don’t | |
Shoot“-Protesten gegen Polizeigewalt frühzeitig fertig gestellt hat – und | |
sich die Plattenfirma dadurch dazu gezwungen sah, die Veröffentlichung | |
vorzuziehen. So oder so, „Black Messiah“ verbreitet sich gerade in | |
atemberaubender Geschwindigkeit. | |
Aktuell kann man D’Angelos Album als CD oder Mp3 kaufen und bei den | |
bekannten Streamingportalen anhören. Sicher wird die Plattenfirma in Bälde | |
auch aufwändig gestaltete Vinylexemplare im Klappcover nachlegen. Denn bei | |
der Qualität von D’Angelos Musik ist es leicht nachvollziehbar, dass sich | |
die geneigten Fans das Album gleich doppelt zulegen. „Black Messiah“ ist | |
psychedelische, äußerst Groove-lastige Funk- und Soulmusik. | |
## Dem Zaubertrank zu verdanken | |
Ob man nun George Clintons Bandprojekte Funkadelic/Parliament, oder gar den | |
E-Gitarren-Wahwah-Meister Jimi Hendrix als Referenz heranzieht – geschenkt. | |
Die ursprüngliche Soundformel von D’Angelos Musik ist definitiv dem | |
Zaubertrank LSD zu verdanken. Erstaunlicherweise hat gerade beim | |
US-HipHop-Label Stones Throw ein in ähnlichen Gewässern wie D’Angelo | |
fischendes Duo namens Silk Rhodes sein gleichnamiges Debüt veröffentlicht. | |
Und auf deren Cover sieht man eine ausgestreckte Zunge auf der tatsächlich | |
ein mit dem Bandnamen verziertes LSD Löschpapier liegt. | |
Fliegen wir also nach dem Psychedelic-Rock-Revival (siehe MGMT) der letzten | |
Jahre nun auch in Soulgefilden wieder auf der „Cloud Nine“, um es mit einem | |
Songtitel der Temptations zu umschreiben? Wobei, „Black Messiah“ ist alles | |
andere als eine hippieesque Wiese für Blumenkinder. D’Angelos | |
verschwurbelte, auf schmutzigem R&B basierende Songs mäandern mit ihren | |
Phasenverschiebungen und rasanten Breaks in alle Himmelsrichtungen! | |
Immerzu schleppend, aber gleichzeitig extrem auf den Punkt gebracht, | |
dröhnen und schwitzen sich seine Songs ins Ziel: „Everything is on the one“ | |
– nach bewährter P-Funk-Rezeptur. Das nervenstarke Weben, Wabern und | |
Wobbeln von D’Angelo durchdringt die mit Parolen beschmierten grauen Mauern | |
der Städte mit ihren gated communities, in denen sich drinnen das Geld | |
widerwärtig mehrt, während es draußen gerade wegen der Kreditwirtschaft gar | |
nicht mehr ankommt. | |
## D'Angelo spendet Trost | |
Bereits im zweiten Song, „1.000 Deaths“, bekommen wir Jesus-Trost von | |
D’Angelo gespendet. Er ruft ihn wohlgemerkt nicht als Erlöser, sondern als | |
Proto-Revolutionär ins kollektive Gedächtnis. D’Angelo lässt seine | |
Soul-Jünger damit wissen, dass weder er selbst der neue Retter ist, noch, | |
dass wir uns an den alten Messias mit der Chiffre „Himmelreich auf Erden“ | |
wenden sollen. Vielmehr appelliert D’Angelo auf raffinierte Weise an das | |
politische Bewusstsein seiner Hörer: Nur als Gemeinschaft kann sich die | |
Gemeinschaft von den Umständen befreien. Hände hoch: Jeder Mensch ist ein | |
potenzieller Erlöser! | |
Insgesamt finden sich auf „Black Messiah“ dann doch überwiegend Songs, die | |
vor allem das Schlafzimmer als gemeinschaftlichen Raum betreffen: „Ich habe | |
alles was du brauchst, Baby! Und ich habe so lange auf dich gewartet“, | |
heißt es gleich im Refrain des Auftaktsongs „Ain’t that easy“ unter | |
Mitwirkung von Q-Tip, einem Rapper der legendären New Yorker Crew A Tribe | |
Called Quest. Aber gut, wer spricht nach dem Sex nicht auch schon mal über | |
seine Ängste und Sorgen in der Welt, wo man sich drinnen so sicher und | |
vertrauensvoll an den Körper des Anderen schmiegen kann. | |
Apropos Partnerschaft: Als Co-Texterin von D’Angelos Songtexten wird eine | |
gewisse Kendra Foster bei den Credits genannt, die im P-Funk-Universum | |
bereits des öfteren als Sängerin auftauchte. Auch das von ihr mitgetextete | |
Finale von „Black Messiah“ ist große Liebesbeschwörung, wie es die | |
Vocal-Group-Stars des Soul nicht besser hinbekommen haben: „In einem | |
anderen Leben wärst du mein Mädchen“, schluchzt der 40-jährige Sänger im | |
Falsett dahin. | |
## Schwarzer Messias | |
Aber zurück zum schwarzen Messias: Wie schon in den siebziger Jahren ein | |
gewisser Sly Stone auf Marvin Gayes Albumtitel „What’s going on?“ mit | |
seinem Meisterwerk „There’s a Riot goin’ on“ antwortete, ist der Titel | |
„Black Messiah“ vielleicht eine verspätete Antwort auf Kanye Wests | |
„Yeezus“. Oder, er spielt mit dem Titel von Isaac Hayes Konzeptalbum „Bla… | |
Moses“ (1971). Der zeitgenössische Künstler als provokanter | |
Hashtag-Lieferant. D’Angelo kontextualisiert sich eben noch selbst. Funky | |
These – und dennoch, D’Angelos Albumtitel „Black Messiah“ steigert die | |
Neugier am Werk immens. Interessanterweise hatte der britische Musiker Dean | |
Blunt mit seinem Album „Black Metal“ vor Kurzem ein ähnliches Konzept | |
vorgelegt. | |
Es mag eine weiße-Jungs-Idee sein, diese beiden großartigen Alben aufgrund | |
einer irgendwie gearteten „Blackness“ miteinander in Bezug zu setzen. | |
Ohnehin wirkt „Black Messiah“ im Vergleich zu „Black Metal“ zugänglich… | |
trotz der vielen extrovertierten, virtuos vorgetragenen | |
Afrofuturismus-Referenzen. | |
Die Tatsache, dass P-Funk-Mastermind George Clinton analog zu seiner | |
äußerst lesenswerten Autobiographie („Brothas Be, yo like George, ain’t | |
that Funkin’ kinda hard on you?“) ein opulentes Funkadelic-Album („First | |
You Gotta Shake The Gate“) veröffentlicht hat, ging im Netz leider unter. | |
Dass die Produzentenfinger von Questlove (Drummer der Roots) bei D’Angelos | |
„Black Messiah“ mit im Spiel gewesen sind, liest man hingegen überall. So | |
läuft nun mal das Spiel mit dem fame: Es geht heute weniger darum, was | |
jemand unternimmt, sondern, es geht darum, wer es unternimmt – und wer dies | |
dann weiterverbreitet. | |
Dessen ungeachtet hat the one and only D’Angelo und sein Meisterwerk „Black | |
Messiah“ natürlich unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. | |
18 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Maurice Summen | |
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