# taz.de -- Konzert D'Angelo in Köln: Shit. Damn. Motherfucker. | |
> Der Voodoo-Priester des Neo-Soul ist zurück. Nach zwölfjähriger | |
> Bühnenabstinenz triumphiert D'Angelo am Ende eines umjubelten Konzerts im | |
> Kölner E-Werk. | |
Bild: Der Priester ist zurück: D'Angelo hier beim Konzert in Amsterdam im Janu… | |
Nein, er hat ihn nicht gespielt. Den Song, wegen dem D’Angelo alle kennen. | |
„Untitled (How does it feel)“ heißt er und sein Video machte den | |
US-Soul-Sänger, der eigentlich Michael Eugene Archer heißt, vor zwölf | |
Jahren in allen Wohnstuben bekannt. | |
Halbnackt steht D’Angelo vor einem schwarzen Hintergrund, die Kamera fährt | |
langsam an seinem Körper entlang, jeder Muskel spannt und löst sich wieder, | |
so intim war Soul niemals wieder. | |
Auch am Dienstag in Köln, bei seinem ersten Deutschlandkonzert nach zwölf | |
Jahren, kann er diesen Bildern nicht entkommen. Obwohl er alles daransetzt, | |
stattdessen die Musik sprechen zu lassen. Bis die Pressefotografen vor der | |
Bühne verschwunden sind, versteckt sich D’Angelo hinter E-Piano und | |
Gitarre. Kein „Hello Cologne“, keine Moves. Der „Playa“ aus dem ersten | |
Stück seines Sets – es muss jemand anders sein. | |
Wer aber ist D’Angelo heute? Im Jahr 2000 war alles eindeutig. D’Angelo, | |
das war nicht nur ein Körper, sondern vielleicht der Talentierteste unter | |
all den Neo-Soul-Musikern. Anders als seine Freunde von The Roots waren | |
seine Tracks zwar klassisch instrumentiert, aber ihnen fehlte der Ballast | |
der Geschichte. „Voodoo“, sein zweites Album, ist ein modernistisches | |
Meisterwerk, das mit analogen Mitteln den digitalen Minimalismus | |
vorwegnahm. Bis heute hat es keinen Nachfolger. | |
## Die Makellosigkeit verloren | |
In den Nullerjahren folgte ein Absturz, wie er im Rockstar-Handbuch steht: | |
Kokain, ein gescheiterter Entzug, ein Autounfall, bei dem er fast gestorben | |
wäre. Das letzte Lebenszeichen waren Fotos, die einen aufgedunsenen | |
D’Angelo 2010 auf einem New Yorker Polizeirevier zeigten. Er hatte eine | |
Zivilpolizistin für eine Prostituierte gehalten und ihr ein Angebot | |
gemacht. | |
„Das hat er doch gar nicht nötig“, meint eine Bekannte, als ich ihr nach | |
dem Konzert davon erzähle. Und sie hat recht. An diesem Abend steht | |
D’Angelo geheilt auf der Bühne. Nur die Makellosigkeit hat er verloren. | |
Stattdessen macht er aus seiner Patina eine Tugend. Er kommt auf die Bühne, | |
beginnt mit zwei Tracks aus „Voodoo“. | |
Er und die Band tragen Schwarz, die Lightshow ist spärlich. Und auf | |
D’Angelos Gitarre ist sein Name als glitzernder Schriftzug aufgeklebt – | |
ironische Geste oder ernstgemeinter Versuch, ein wenig Glam zu erzeugen? So | |
richtig schlau wird bei diesem Comeback niemand. | |
Gut 1.000 Fans haben den Weg ins E-Werk gefunden, trotz des | |
Eintrittspreises von 50 Euro, obwohl keinerlei Werbung gemacht wurde und es | |
einer der seltenen Abende ist, an dem man sich in Köln zwischen einigen | |
guten Konzerten entscheiden musste. Und weil sich D’Angelo bitten lässt, | |
werden die ohnehin hohen Erwartungen unerträglich. | |
## Unfassbar aufregende Songs | |
Diese Nervosität überträgt sich bald vom Publikum auf die Bühne. D’Angelo | |
wirkt zaghaft, druckst sich um seine Starrolle herum, stattdessen müssen | |
seine Background-Sänger den Kontakt zum Publikum suchen. Und D’Angelos | |
langsam dahinfließende, in ihrer spärlichen Zurückhaltung unfassbar | |
aufregende Songs, sie werden zerrieben zwischen den Rockgitarren der | |
technisch perfekten Band, die sich durch ihr Set hetzt. | |
Nach 90 Minuten wird die Bühne dunkel, ein wabernder Synthesizer flutet den | |
Raum und der Exodus zur Raucherterrasse setzt ein. Sollte es das gewesen | |
sein? Der brillanteste Musiker seiner Generation hat abgewirtschaftet, | |
seine Songs durch den Griff zur Rockgitarre ruiniert, und ist verdammt, in | |
Zukunft den Retrozirkus zu bedienen? Ein trauriges Ende – schon weil er | |
mehr als dieses dröge Klischee verdient hätte. | |
Mitten im Gewaber gehen zwei Spots an. D’Angelo sitzt auf der Bühnenmitte | |
am Piano. Er schnippt mit den Fingern, wir schnippen mit. Dann haucht er | |
ein leichtes Flehen ins Mikrofon: „Woohoohoohoo“. Und wir flehen mit. Ein | |
paar Klaviertöne und dann: „I want some of your brown sugar“. Und wir | |
singen mit, werden zur Backingband: „Woohoohoohoo – I want some of your | |
brown sugar.“ | |
## Er flüstert seine Geschichte | |
Und D’Angelo beginnt, auf dem Klavier improvisierend, flüstert uns seine | |
Geschichten ins Ohr und ist auf einmal wieder der Voodoopriester des | |
Neo-Soul. Die Band findet in den Groove, den sie durch virtuose | |
Tempowechsel bricht und neu errichtet. | |
„Left & Right“ wird von einem HipHop-Jam zur Funk-Revue. Und D’Angelo zum | |
Katalysator afroamerikanischer Musikgeschichte: Mal ist er Prince, dann | |
spielt er wie James Brown mit dem Mikrofonständer, schließlich gibt er | |
Stevie Wonder hinter seinem Piano. | |
Zum Finale spielt der 38-Jährige „Shit Damn Motherfucker“. Eine alte | |
Geschichte: Bester Freund spannt bestem Freund die Freundin aus, bester | |
Freund schreibt einen Song darüber. Am Dienstag mündet er in einen | |
zehnminütigen Jam, nach dem wir D’Angelo selbst seine Gitarrensoli | |
verzeihen. Tausend Zuschauer jubeln minutenlang für eine Zugabe. Was für | |
ein Abend. Shit. Damn. Motherfucker. | |
12 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
## TAGS | |
Funk | |
Soul | |
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