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# taz.de -- Neues Album von Leslie Feist: Innehalten in einer hektischen Welt
> Kinder kommen, Eltern gehen. Um diese Veränderungen kreist das neue Album
> „Multitudes“ der kanadischen Künstlerin Feist.
Bild: Die Sängerin Feist probt visuell die Multitude
Ein bisschen zuckt vielleicht zusammen, wer Leslie Feists Lied „Borrow
Trouble“ zum ersten Mal hört. Zumindest gegen Ende. Da schreit die
Sängerin: „Trouble“. Immer wieder. Die Vortragende scheint sich lautstark
von inneren Dämonen befreien zu wollen. Dabei pirscht sich der Popsound der
kanadischen Künstlerin normalerweise eher auf Samtpfoten an.
Wer sich durch ihre Diskografie arbeitet, lernt die 47-Jährige als eine
Singer-Songwriterin kennen, die ihre Songs gern in melodischen Pastelltönen
zeichnet. Im Laufe der Jahre sind sie immer zarter geworden, seit dem Feist
2007 mit „1234“ dank eines Apple-Werbespots weltweit der Sprung in die Top
Ten der Charts gelungen ist.
Auch ihr sechstes Album „Multitudes“ passt eigentlich ganz gut in dieses
Leisetreter-Beuteschema. In der filigranen Ballade „Forever Before“ schwebt
ihre Stimme über einer akustischen Gitarre. Das folkige „Love Who We Are
Meant To“ schlägt musikalisch eine ähnliche Richtung ein. Mit dem
Unterschied, dass manchmal minimalistische Streicher wie hingetupft
aufpoppen, wenn Feist erkennt: „We will struggle with the truth / That
sometimes we don’t get to / Love who we are meant to“.
Etwas üppiger fallen die Streicharrangements bei „Of Womankind“ aus, diese
Nummer beginnt mit lieblichen A-cappella-Gesang.
## Schlaflieder bringen Songideen
All diese Titel entstanden, nachdem sich in Feists Leben einiges verändert
hatte. Ende 2019 wurde sie zum ersten Mal Mutter, als Alleinerziehende
adoptierte sie ihre Tochter Tihui. Aus den Melodien der Schlaflieder, die
sie dem Kind vorgesungen hat, entwickelten sich einige der neuen Songs.
Doch Freud und Leid liegen oft nah beieinander. Auch bei Feist. Ihr Vater,
der Maler Harold Feist, starb im Mai 2021. Immerhin: Er konnte noch Zeit
mit seiner Enkelin verbringen, das tröstete die Musikerin.
Kein Wunder also, dass [1][die Themen der „Multitudes“-Songtexte Höhen und
Tiefen der mittleren Lebensjahre umkreisen]. In „Borrow Trouble“ analysiert
Feist, wie einem die eigenen Gedanken manchmal das Leben zur Hölle machen
können. „We all borrow trouble /Seems we all know how“, singt sie. „It�…
expression from the old days / But even more true now.“ Geloopter Gesang
veredelt „Hiding Out In The Open“.
Man könnte meinen, Melancholie präge diesen Titel. Doch tatsächlich schickt
er die Hörer:innen geborgen durch schwierige Zeiten in puncto Liebe.
Nach dem Motto: Alle sitzen im selben Boot: „Everybody’s got their shit /
Who’s got the guts to sit with it?“
Aufhorchen lässt das vielschichtige „In Lightning“. Das Schlagzeug
scheppert, die elektrische Gitarre wagt sich aus der Deckung, die Streicher
lehnen sich an das Sounddesign von Björks „Vespertine“-Ära an. Inhaltlich
bleibt Feist nah bei sich selbst. Sie grübelt, wie sie in einer Welt voller
Hektik ihre Energie intakt halten kann. [2][Die Künstlerin rät], nicht
allein dem eigenen Spiegelbild zu vertrauen. Es lohne sich, tiefer zu
gehen: „And in lightning flashes flash to show our natural age / And the
lightning lights me up to be as God as I say.“
An dieser Stelle hat Feist jene Zurückhaltung aufgegeben, die ihre Musik
sonst auszeichnet. Um die richtige Balance zwischen solchen
Überraschungsmomenten und der für sie charakteristischen Entschleunigung zu
finden, holte die Künstlerin ein illustres Team an Bord. Produziert hat sie
ihr Album mal wieder zusammen mit zwei langjährigen Weggefährten: dem
kanadischen Kollegen Mocky sowie dem Produzenten und Tontechniker Robbie
Lackritz.
Für den Mix zeichnen Blake Mills, der sich schon [3][bei den Songs von
Fiona Apple bewährt hat], verantwortlich. Besonders hervor sticht das, was
der Streicher-Arrangeur Miguel Atwood-Ferguson geleistet hat. Bei ihm sitzt
jeder Ton exakt an der passenden Stelle.
Mit feiner Klinge hat Feist ein Meisterwerk erschaffen. Filigran verpackt
sie ihre Songs hier in Kammerpop, dort in Folk. Bemerkenswert ist, wie sich
einzelne Lieder aufbäumen und die Musikerin dann wieder zurück zu
eingängigen Melodien findet. Feist ist eben eine Frau, die genau weiß, was
sie will.
Als 2022 Vorwürfe des sexuellen Fehlverhaltens gegen den Sänger Win Butler
laut wurden, stieg sie aus der gemeinsamen Tournee mit dessen Band Arcade
Fire aus. „Ich stelle mich meiner Verantwortung und gehe nach Hause“,
verkündete sie in ihren Social-Media-Kanälen. Zuvor hatte sie in Dublin
noch zwei Konzerte eröffnet, sämtliche Merchandise-Einnahmen spendete sie
an „Women’s Aid Dublin“, die Opfer häuslicher und sexueller Gewalt betre…
18 Apr 2023
## LINKS
[1] /Performance-von-Feist-in-Hamburg/!5791850
[2] /Feist-Konzert-in-Berlin/!5434727
[3] /Neues-Album-von-Fiona-Apple/!5678270
## AUTOREN
Dagmar Leischow
## TAGS
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