| # taz.de -- Performance von Feist in Hamburg: Doch nicht ganz auf Augenhöhe | |
| > Feist spielt am Mittwoch das erste Mal die Performance „Multitudes“. Den | |
| > Beat auf Kampnagel Hamburg erzeugt ein Drucker. | |
| Bild: Auf Kampnagel in Hamburg: Leslie Feist Performance „Multitudes“ | |
| Leslie Feist gehört spätestens seit dem Jahr 2007 zur Oberklasse der | |
| Singer-Songwriter-Gilde – und ungefähr seit damals beschäftigt sie auch | |
| einen Manager, der die Pressemeute im Zaum hält. Die hatte zwar für die | |
| 1976 im kanadischen Nova Scotia geborene Sängerin seit jeher viel Lob zu | |
| verteilen, aber man weiß ja nie. Das bisschen Privatsphäre sei Feist | |
| gegönnt. Dabei ist es die 45-Jährige selbst, die intime Vorgänge immer | |
| wieder in die Öffentlichkeit trägt – verklausuliert durch Musik natürlich. | |
| Feist ist eine Meisterin der anmutigen [1][Heartbreak-Songs], wie ihr | |
| größter Hit „1234“ beweist. | |
| Man darf also davon ausgehen, dass ihr die Corona-bedingten | |
| Publikumsbeschränkungen dieser Tage durchaus gefallen. Schließlich | |
| entfalten diese zarten Indiepop-Songs vor 2.000 Zuschauer*innen eine | |
| ganze andere Wirkung als vor 200. Genau so viele haben sich am | |
| Mittwochabend in Hamburg-Winterhude eingefunden. Draußen tröpfelt der kühle | |
| Sommerregen, ein Oud-Spieler zupft an seinem Instrument. Das alljährliche | |
| Sommerfestival der [2][Kulturfabrik Kampnagel] lockt mit einem kostenlosen | |
| Open-Air-Programm und mehreren Weltpremieren. | |
| Eine davon ist „Multitudes“, zu Deutsch: Vielzahl. Feist will damit nichts | |
| weniger, als das Ende der Corona-bedingten Konzertpause feiern, und ihre | |
| eigene Bühnenkarriere als eine Performance-Inszenierung fortsetzten. Vier | |
| Jahre nach Veröffentlichung ihres letzten Albums wird sie elf neue Songs | |
| spielen, die zuvor noch niemand gehört hat. Zehn Konzerte an fünf Abenden – | |
| Feist ist in der ersten Festival-Woche das One-Woman-Residenzorchester | |
| von Kampnagel. | |
| Es ist warm und stickig in der großen Halle K6. Erste Überraschung: Das | |
| Publikum sitzt an der Stelle, wo sonst die Band auf der Bühne steht. 200 | |
| braune Papp-Hocker sind um ein kreisrundes Podest verteilt, keine drei | |
| Meter im Durchmesser. „Wir wissen ja alle noch, wie es früher auf Konzerten | |
| zuging“, sagt Feist im Gespräch zuvor. „Die Band hoch oben auf einer | |
| Plattform, es wird dunkel, grelle Lichter, Laserstrahlen. Das Publikum? | |
| Eine einzige Masse. Wir wollen dieses Podest zerstören und ein Erlebnis auf | |
| Augenhöhe bieten.“ | |
| ## Der geplante Zuschauer-Chor fliegt raus | |
| Der Programmtext kündigt eine „radikal gemeinschaftliche Produktion“ an, | |
| die die Rollen zwischen Publikum und Performerin durcheinanderbringe. Davon | |
| kann am Mittwochabend keine Rede sein. Ein Publikumschor war geplant | |
| gewesen – und wurde von der Künstlerin wieder verworfen. So ist man Feist | |
| zwar körperlich ungewohnt nah – und wird doch auf Distanz gehalten durch | |
| ihr [3][resolutes Charisma]. | |
| Sie beginnt alleine, singt zur Westerngitarre, und sofort weiß man wieder, | |
| warum sie einmal als „hinreißendste Stimme des Indie-Pop“ bezeichnet wurde. | |
| Feists sanfter und dennoch durchdringender Gesang, der zu solchen Höhen | |
| fähig ist und doch nie zu kippen droht – ein Wunder. Pure Bühnenmagie. | |
| Feist braucht auch deswegen keinen Chor, weil sie das selbst am besten | |
| kann: mit Loops arbeiten, die die eigene Stimme um ein Vielfaches | |
| multiplizieren und raffiniert verschachteln. | |
| ## Gedimmtes Licht | |
| Im dritten Song eine kleine Explosion: Zwei Instrumentalisten, die zuvor im | |
| Publikum gesessen haben, setzen an Violine und Keyboards ein. Das Licht | |
| wird gedimmt, gleichzeitig entflammen Projektionen auf beiden Seiten des | |
| Raumes. Riesige Nahaufnahmen werden an schwarze Vorhänge projiziert, live | |
| erzeugt durch das Publikum umkreisende Handkameras. | |
| Die elf neuen Stücke vereinen Früh- und Spätwerk der Künstlerin. Die | |
| zerbrechlich folkigen treffen auf die bluesig angehauchten Songs der | |
| letzten beiden Alben. Feist gibt kurze ekstatische Kiekser von sich, sie | |
| ist eine passable Rockgitarristin. Ein altmodischer Nadeldrucker, der das | |
| Publikum schon beim Einlass beschallte, beginnt erneut zu rattern. Dessen | |
| Rhythmus integriert sie in einen Song. | |
| Nach einer Stunde geht Feist ab und zieht an einem Seil. Der Vorhang öffnet | |
| sich und gibt den Blick auf die trostlose leere Zuschauertribüne frei. | |
| Leichte Ratlosigkeit setzt ein. Soll das Publikum sich nun als Performer | |
| fühlen? Offene Fragen bleiben, wie so oft bei großer Kunst. Die Sängerin | |
| selbst hat sich im Interview wolkig ausgedrückt. „Das Mysterium des Lebens | |
| wird subjektiver, wenn man jemanden verliert“, hatte sie über ihren einem | |
| Verstorbenen gewidmeten Song „Become the Earth“ gesagt. „Es bleiben nach | |
| dem Tod mehr Fragen als Antworten – und doch sehe ich alles in Technicolor. | |
| Alles wird magischer.“ | |
| Eine zauberhafte Performance hat Feist in der Tat absolviert. Aber – wie | |
| ist sie eigentlich auf die Idee mit dem Drucker-Rhythmus gekommen? „It’s | |
| pandemic, man. Wer weiß schon, wo der Drummer ist? Kaum versiehst du dich, | |
| da jammst du mit dem Drucker.“ | |
| 5 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Paersch | |
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