# taz.de -- Feist-Konzert in Berlin: Sie ist der Fixstern | |
> Stiller Superstar mit Superkraft: Auf ihrer aktuellen Platte steigt Feist | |
> in den Hades. Ihr Publikum im Berliner Tempodrom beglückt sie dennoch. | |
Bild: Smart in pink: Sängerin Leslie Feist | |
Normalität ist besser als ihr Ruf. Anders als das Extrem kennt sie Nuancen. | |
Und wenn sie klingt wie die Songs von Feist, muss sie noch nicht einmal | |
nerven. Denn die Kanadierin Leslie Feist, der wohl stillste Superstar der | |
Gegenwart, war immer eine schönere, strahlendere Version der heutigen | |
Normalität. | |
Es ist also kein Wunder, dass die Menschen, die am schwülen Montagabend ins | |
ausverkaufte Tempodrom in Berlin-Kreuzberg gekommen sind, sich schwer | |
einsortieren lassen. Sie sind freundlich und mittelnormal: Es sind Wir. Wir | |
sparen auf eine Espressomaschine. Wir fahren mit unseren FreundInnen zum | |
Zelten nach Dänemark. Wir haben Kummer und rufen unsere Eltern zu selten | |
an. Und wir drehten den Fernseher lauter, als wir vor zehn Jahren Feists | |
Popkunststück „1, 2, 3, 4“ zum ersten Mal in einer iPod-Werbung hörten. | |
Seitdem ist uns Feist Freundin und Begleiterin, sparsam im Output und doch | |
konkurrenzlos als Songschreiberin in ihrer Generation. Feist hat eine | |
Superkraft: Sie kann in den Hades steigen, ohne ihre HörerInnen | |
runterzuziehen. Feist ist zu humorvoll, um larmoyant zu klingen, und | |
ungefährlich genug, um in der „Sesamstraße“ singen zu dürfen: „1, 2, 3… | |
Monsters walking‚ cross the floor“. | |
## Hicksen, kieksen, geifern | |
Obwohl sie in den frühen 2000ern in Prenzlauer Berg mit Peaches und Chilly | |
Gonzales ein schönes Lotterleben lebte; obwohl sie sich einst ihre Stimme | |
als Sängerin einer Punkband ruinierte, schien niemand Leslie Feist ihren | |
Exodus aus dem Underground übel zu nehmen – außer ihr selbst. In Folge | |
ihres Durchbruchs mit der Platte „The Reminder“ versagte sie sich sowohl | |
auf dem kargen Folgealbum „Metals“ aus dem Jahr 2011 als auch auf ihrer | |
kürzlich erschienenen Platte „Pleasure“ allen schillernden Pop-Appeal. | |
Heute, im Berliner Tempodrom, betritt die 41-Jährige in Begleitung dreier | |
Musiker die Bühne in einem Kleid, das wie eine pinkfarbene, kunstvoll | |
gefaltete Serviette aussieht. Der Fixstern ist Feist, sonst passiert wenig | |
auf der Bühne. „Falls ihr es noch nicht gemerkt habt: Wir spielen das neue | |
Album für euch. ,Pleasures‘“, sagt Feist mit ihrer Kratzestimme. Das machen | |
sie tatsächlich – Song für Song. | |
Wir kennen die Kritiken, die Feist vorwerfen, mit dem Bandrauschen, dem | |
brüchigen Klang, den spröden Blues-Verweisen auf ihrer neuen Platte zu | |
plakativ Authentizität zu simulieren. Wir staunen dennoch, wenn Feist | |
gleich im Eröffnungssong überschnappt, hickst, kiekst und görenhaft | |
geifert. | |
## Ausfallschritte ins Rockistische | |
Sogar scheinbar spontane Ausbrüche sehen bei ihr irgendwie smart aus; die | |
eckigen Ausfallschritte ins Rockistische sind nie plumpe Persiflage, | |
sondern süffisante Ermächtigungsgesten. „Crazy solo“ sagt sie, bevor sie | |
ein crazy Solo spielt. Wir lachen ein bisschen. Und als Feist später | |
erklärt, sie brauche gerade zum ersten Mal ein Handtuch auf der Bühne, | |
sehen wir ein, dass wir uns niemals so charmant die Achseln trocknen | |
werden. | |
Zu „Young Up“, dem letzten Song auf „Pleasures“, fordert Feist das Publ… | |
auf, den Gang zwischen den Stuhlreihen in eine Tanzfläche zu verwandeln. | |
Ein Paar steigt auf die Bühne und tanzt Stehblues: eine Kinoszene. Allen, | |
denen es nun zu viel der kollektiven Intimität wird, eröffnet Feist den | |
Fluchtweg in die Ironie, indem sie ihre Arme ausbreitet und irgendwas mit | |
„Broadway“ singt. Kaputt macht sie damit nichts. | |
Nach einem zweiten Konzertteil, in dem Feist Lieblingslieder von ihren | |
ersten drei Alben spielt, betritt sie die Bühne zur Zugabe. Ganz allein, | |
mit akustischer Gitarre. Ihr letztes Lied kündigt Feist an als Freundin, | |
die auf einer zehn Jahre dauernden Reise war, um nun – nach Abenteuern, | |
Kämpfen, „sex and more sex“ – zurückzukehren: Es ist „1, 2, 3, 4“, … | |
Übersong, den sie jahrelang nicht spielen mochte, in einer überlebensgroßen | |
Version seiner selbst. Leslie Feist zählt den Rhythmus neu. Und wir zählen | |
mit, als ginge es um uns. | |
25 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Julia Lorenz | |
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