# taz.de -- Britpopstar Arlo Parks: Schwelgerisch beim Trübsinn | |
> Die britische Sängerin Arlo Parks denkt in ihren Songs über psychische | |
> Gesundheit nach. Besonders wütend klingt das Album „My Soft Machine“ | |
> nicht. | |
Bild: Fürsprecherin aller Depressiven von Großbritannien: Arlo Parks | |
Als „Black Dog“ bezeichnete der legendäre [1][britische Staatsmann und | |
Tory-Politiker Winston Churchill] seine depressiven Phasen. Für die | |
22-jährige Londoner Songwriterin Arlo Parks war es paradoxerweise ein nach | |
den trübsinnigen Momenten des zweimaligen britischen Premierministers | |
benannter Song, der sie im Frühsommer 2020 ins Rampenlicht katapultierte. | |
Timing-technisch war Parks’ „Black Dog“ eine Punktlandung, setzte sich | |
seinerzeit doch gerade die Erkenntnis durch, dass die neue pandemische | |
Realität uns eine längere Zeit über beschäftigen und einschränken würde. | |
Viele Menschen wurden durch den Covid-Virus zum unfreiwilligen Rückzug aus | |
der Öffentlichkeit gezwungen und in die eigenen vier Wände verbannt. | |
Mittlerweile ist hinreichend belegt, dass insbesondere Jugendliche und | |
junge Erwachsene unter den sozialen Folgen der Pandemie gelitten haben und | |
es noch immer tun. [2][Psychische Probleme sind in der Altersgruppe der 17- | |
bis 25-Jährigen] so präsent wie seit Langem nicht. So hat etwa ein Drittel | |
der Befragten laut der halbjährlich durchgeführten Studie „Jugend in | |
Deutschland“ starke Selbstzweifel geäußert. | |
## Aus der Kammer locken | |
Adressiert hatte Parks das verträumt perlende „Black Dog“ seinerzeit an | |
eine Freundin. Deren Schwermut wollte Parks gerne lindern, sie aus ihrer | |
Kammer locken und ihr zumindest ein bisschen Obst einflößen: „It’s so cru… | |
/ What your mind can do for no reason“. Nun ja, Gründe für Depressionen | |
gibt es ja zuhauf. Dass der breitere gesellschaftliche Kontext bei Parks | |
eher ausgeklammert und psychisches Leid als individuelles Problem | |
gezeichnet wird, passt in den Zeitgeist. | |
Für ihre skizzenhaften Beschreibungen postpubertärer Orientierungslosigkeit | |
findet die britische Künstlerin, die eigentlich Anaïs Oluwatoyin Estelle | |
Marinho heißt, durchaus stimmige Bilder. Bisweilen mag man sich jedoch | |
wundern, wie wenig wütend das die junge Songwriterin in ihrer Musik macht. | |
Parks, die im Londoner Bezirk Hammersmith aufwuchs – „als schwarzer Teenie, | |
der null tanzen konnte und zu viel Emo-Musik hörte“ – ist zwischenzeitlich | |
nach Los Angeles gezogen. Und seit ihrem Durchbruch als Poptalent ist sie | |
so etwas wie die Mental-Health-Fürsprecherin ihrer Generation – in | |
offizieller Mission, als Botschafterin der Wohltätigkeitsorganisation CALM | |
(Campaign Against Living Miserably). Aber auch, was ihr künstlerisches | |
Sendungsbewusstsein betrifft, ist sie sehr sichtbar. | |
Gleich in den ersten Zeilen ihres zweiten Albums „My Soft Machine“ bringt | |
sie es mit dem Song „Bruiseless“ auf den Punkt: „I wish I was bruiseless / | |
Almost everyone that I love has been abused / And I am included / I feel so | |
much guilt that I could not guard more people from harm.“ Letzteres mag ein | |
ehrenwertes Anliegen sein, bringt aber nicht unbedingt Musik hervor, an der | |
man sich produktiv reibt. | |
## Glatt poliert und sehr geschmeidig | |
Bewegte sich Arlo Parks’ Debütalbum „Collapsed in Sunbeams“ (2021) und d… | |
2019 erschienenen EPs „Super Sad Generation“ und „Sophie“ noch in einem | |
eigenwillig betexteten Spannungsfeld von introspektivem Bedroom-Pop und | |
LoFi-Folk, klingt der Nachfolger nun glattpolierter und deutlich | |
geschmeidiger. | |
Der handwerklich durchaus solide Soulpop wirkt in der Summe etwas zu | |
gleichförmig und weist zudem eine bisweilen irritierende Text-Sound-Schere | |
auf– Störgeräusche oder Stolperer, eine Vertonung der Abgründe, die sie | |
umtrieben, finden sich in Arlo Parks’ Musik kaum. Songs über Liebeswirren, | |
Drogenkonsum, ein diffuses Gefühl von Verlorenheit und innerer Erschöpfung | |
kommen geradezu fluffig daher. Etwa im schwelgerischen Song „Purple Phase“, | |
in dem bittet sie ihr aufgelöstes Gegenüber im Text, sich doch | |
professionelle Hilfe zu suchen. | |
Gelegentlich gelingen Arlo Parks beim Texten dennoch überraschende | |
Hakenschläge. Im Song „Devotion“ lässt sie auf die etwas abgelutschte | |
Phrase „You make me feel free“ folgen: „Ripping it out of me like Kim | |
Deal.“ Schön, dass [3][die einstige Bassistin und Sängerin der | |
US-Indiedarlings Pixies und Breeders], die selbst mit inneren Dämonen zu | |
kämpfen hatte, immer noch als Role-Model taugt. | |
Unterm Strich wirken auf „My Soft Machine“ vor allem die Liebeslieder | |
stimmig; „Impurities“ etwa, offenbar ihrer Freundin, der US-Rapperin | |
Ashnikko gewidmet. Parks besingt in dem Song, wie aufgehoben sie sich in | |
der Beziehung fühlt – immer im vollen Bewusstsein, dass auch das nur eine | |
Momentaufnahme ist. | |
1 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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